Saturday 21 January 2023

JAZZTRENDS: Tom Skinner auf den Spuren von Tony Williams

Der Drummer gibt die Richtung vor

 

Als Schlagzeuger der Sons of Kemet wurde er bekannt, jetzt veröffentlicht Tom Skinner ein Album unter eigenem Namen – Shabaka Hutchings und Nubya Garcia sind mit von der Partie

 

Tom Skinner (Foto: C. Wagner)


 

cw. Tom Skinner wirkt immer leicht gehetzt. Es ist auch nicht einfach in der Metropole London, ein Leben als junger Familienvater von zwei Kleinkindern mit dem Beruf eines professionellen Schlagzeugers und Komponisten zu vereinbaren. Da hastet man dann doch öfters von einer Bandprobe, einer Session oder einem Studiotermin schnell nach Hause, um den Nachwuchs pünktlich vom Kindergarten abzuholen. 

 

Hektik zeichnet Skinners Alltag aus, noch mehr, wenn er auf Tour ist, wobei die Sons of Kemet in den letzten zehn Jahren die Band war, mit der er am häufigsten unterwegs war. Aber auch Gruppen wie Melt Yourself Down sowie Musiker und Musikerinnen wie Mulatu Astatke, Alexander Hawkins, Eska oder Matthew Herbert haben seine Dienste in Anspruch genommen, aus dem einfachen Grund: Skinner gilt als einer der besten Drummer der britischen Szene. Das haben wohl auch Thom Yorke und Jonny Greenwood von Radiohead erkannt, die mit ihm zusammen vor zwei Jahren die Gruppe The Smile ins Leben riefen. 

 

Im Frühjahr 2020 hatte Skinner auf einmal etwas, was er sonst nie hatte: Zeit! Die Pandemie brachte alle Aktivitäten zum Erliegen. Und nun – was tun? Glücklicherweise hatte er ein Plattenprojekt in der Mache, das bereits aufgenommen war. Skinner verwendete die Auszeit, um sich intensiv dem Abmischen der Aufnahmen zu widmen. Zwei Tage pro Woche nutze er das kleine Studio eines Bekannten, um den Einspielungen den letzten Schliff zu geben. Das Endergebnis ist das Album „Voices of Bishara“, das gerade auf Gilles Petersons Brownwood-Label erschienen ist.

 

Der Ursprungsimpuls reicht bis ins Jahr 2018 zurück. Skinner bekam damals das Angebot, einen Abend im Londoner Club „Brilliant Corners“ (nach dem berühmten Album von Thelonious Monk benannt) zu bestreiten, in einer Reihe, die unter der Überschrift „Played Twice“ läuft. Die Spielregeln lauten: Jeweils ein Musiker kuratiert einen Abend und wählt dafür ein klassisches Album aus, das in der besten Vinylpressung, die aufzutreiben ist, in der ersten Hälfte der Veranstaltung auf einer hochwertigen Stereoanlage in Gänze gespielt wird. Danach reagiert dann eine vom Kurator zusammengestellte Band auf das soeben gehörte.

 

Skinners Wahl fiel auf das Album „Life Time“ von Tony Williams, das 1964 bei Blue Note erschienen ist. Es war die erste Einspielung des damals 19-jährigen Drummers unter eigenem Namen. Mit Sam Rivers (Tenorsaxofon), Herbie Hancock am Piano und Bobby Hutcherson (Vibrafon), dazu abwechselnd Richard Davis, Gary Peacock oder Ron Carter am Bass entwarf Williams einen modernen Jazz, der sich kompositorisch und improvisatorisch in Neuland vortastete, sich dabei sogar  in die Zonen des freien Jazz vorwagte. 

 

Die Band, die Skinner für den Gig zusammenrief, war ein fünfköpfiges Ensemble, das auf der einen Seite aus den Bläsern Shabaka Hutchings (Tenorsaxofon und Baßklarinette) und Nubya Garcia (Tenorsaxofon und Querflöte) bestand, auf der anderen die Streich- und Zupfmusiker Tom Herbert (Kontrabaß) und Kareem Dayes (Cello) umfasste, mit dem Bandleader in der Mitte, der als Drummer und Perkussionist die Richtung vorgab. Der Abend verlief so vielversprechend, dass Skinner über eine Fortführung des Projekts nachdachte. 

 

Er entwarf ein halbes Dutzend Stücke, komponierte Melodien, dachte über Strukturen und Formen nach, um die ausnotierten Passagen und die Improvisationen in ein sinnvolles Verhältnis zu bringen. Unter dem Titel „Red 2“ wurde auch eine Komposition von Tony Williams interpretiert – das Eröffnungsstück „Two Pieces Of One: Red“ vom „Life Time“-Album.

 

Nachdem das Konzept stand, buchte Skinner ein Studio. Dort wurden sechs Titel eingespielt, wobei ein spiritueller Jazz zu hören war, der den Geist der 1960er Jahre atmete, dabei eine Gratwanderung zwischen themenbasierter Improvisation, freiem Spiel und auskomponierten Teilen unternahm, wobei er die gelegentlich eruptiven Ausbrüche als hymnische „fire music“ zelebrierte. 


Tom Skinner Voices of Bishara: The Journey (Youtube)



 

Mit diesem Material machte sich Skinner pandemiebedingt an die Post-Produktion. „Da wir die Musik live im Studio eingespielt hatten, ließ das nicht viel Spielraum für größere Eingriffe,“ erklärt der Drummer. „Ich habe behutsam hier ein bisschen Hall hinzugefügt, dort den Klang ein bisschen räumlicher gestaltet oder die Balance der Instrumente verändert, auch ein paar deutlichere Cuts vorgenommen, um Kontraste zu schaffen.“    

 

Als im Frühjahr 2022 die Sons of Kemet den „kollektiven Entschluß“ (Tom Skinner) fassten, die Band aufzulösen, verringerte das den Streß in Skinners Alltag etwas und machte neue Aktivitäten möglich: Der Drummer fasste ein paar Auftritte mit dem „Bishara“-Ensemble ins Auge, wobei er nicht an die Originalbesetzung dachte, da Shabaka Hutchings und Nubya Garcia in der Zwischenzeit zu internationalen Stars geworden waren, mit einem Terminkalender, der wenig Spielraum für anderes läßt. Aus diesem Grund hat Skinner bereits zwei andere Holzbläser einbezogen: den Saxofonisten und Klarinettisten Robert Stillman sowie die Tenorsaxofonistin und Flötistin Chelsea Carmichael. Mit ihnen wurden erste Auftritte absolviert, was Lust auf weitere machte. Gut möglich, dass aus der ad-hoc-Band doch noch ein festes Ensemble wird. 

 

Tom Skinner: Voices of Bishara (Brownwood)

 

 

Sunday 15 January 2023

SCHEIBENGERICHT 12: Twinkle3 featuring David Sylvian

Haikus als Zauberformeln 

Twinkle3 mit David Sylvian


Twinkle3


Wertung: 4 von 5 

 

cw. Es kommt nicht häufig vor, dass Popstars zu Avantgardisten werden: Scott Walker war so ein Fall. David Sylvian ist ein anderes Beispiel. Seit der Sänger 1983 die Popgruppe Japan verließ, folgte er seiner künstlerischen Intuition, die ihn mehr und mehr in experimentelle Breitengrade führte. Für seine Alben zog er Musiker wie Holger Czukay, John Tilbury, Arve Henriksen, Evan Parker und Keith Rowe heran, die unter seiner Regie Klanglandschaften zwischen Ambient, Experiment und freier Improvisation kreierten. 

 

Jetzt leiht Sylvian einem Album des englischen Trios Twinkle3 seine Stimme, das aus den Elektronikern Richard Scott und Dave Ross sowie dem Spezialisten für asiatische Blasinstrumente, Clive Bell, besteht. Die drei erzeugen abstrakte „Soundscapes“, die vor Elektrizität nur so brickeln und knarzen. Da tickt es geigenzählermäßig, danach heben sturmartige Turbulenzen an, während in einem anderen Stück mächtige Soundwellen an eine imaginäre Küste schlagen.


David Sylian (SAMADHISOUND)


Die mit Bedacht gesetzten, angerauhte Langtöne, die Clive Bell der japanischen Bambusflöte Shakuhachi entlockt, geben den Improvisationen eine dramatische Note. Mit der thailändischen Mundorgel Khene wechselt Bell zeitweise zu einem rhythmischen Spiel mit Intervallen und Akkorden, wobei er bei einem anderen Titel verhangene Töne auf einem Blasinstrument namens Pi Saw aus Laos bläst. 

 

Im freien Interagieren entfaltet sich dabei ein faszinierendes Vexierspiel zwischen akustischen und elektronischen Instrumenten. Dass die Blastöne zusätzlich noch verfremdet und mit Hall und Echo verändert werden, trägt zur zusätzlichen Verrätselung bei. 

  

Überraschenderweise tritt David Sylvian nicht als Sänger auf, sondern agiert ausschließlich als Rezitator mittelalterlicher Gedichte, die um Tod, Abschied und Vergänglichkeit kreisen. Im Kontrast dazu rezitiert die ehemalige Vokalistin der Frank Chickens , Kazuko Hohki, Haikus sowie japanische Verse aus dem 16. Jahrhundert, die für westliche Ohren wie geheimnisvolle Zauberformeln klingen. 


Twinkle3 featuring David Sylvian & Kazuko Hohki: I Borrow Moonlight (Youtube)


Die Worte werden äußerst sparsam gesetzt, was ihnen umso größeres Gewicht verleiht, doch machen sie auch ohne Bedeutungsgehalt als reine Lautphänomene Sinn. Sylvian und Hohkiverzichten beim Sprechen auf jedes Pathos, tragen ruhig, ja fast nüchtern vor. Im Zusammenspiel entsteht so eine in vielen Farben schillernde Musik, die ein ureigenes Gepräge besitzt und in wahrhaft wundersame Welten aus Klängen und Worten entführt. 


Twinkle3 featuring David Sylvian & Kazuko Hohki: Upon This Fleeting Dream (Cortizona)

 

Monday 2 January 2023

Radioportrait: LYLE LOVETT; SWR2, 19. Januar 2023 (20:05) / Wiederholung: 3. Oktober 2023 (23:05)

Keine Angst vor großen Gefühlen

 

Lyle Lovett und die Klangvielfalt des amerikanischen Südens 

 

 Lyle Lovett (Promofoto: Michael Wilson)



Radio Radio Radio: Über Nashville hinaus – Countrysänger Lyle Lovett

SWR2 Musikpassagen, SWR2 Donnerstag, 19.1.2023 / 20:05-21:00 Uhr –––––– Über Nashville hinaus: Countrysänger Lyle Lovett –––––– von Christoph Wagner –––––– Er gilt als „elder statesman“ der Countrymusik, obwohl er sich nicht einmal als echter Countrysänger versteht. Seit der texanische Singer-Songwriter Lyle Lovett 1986 mit seinem Erstlingswerk Furore machte, hat er mit jedem neuen Album seinen ganz persönlichen Stil gepflegt. Seine Musik ist ein Mix all der musikalischen Traditionen des amerikanischen Südens von Blues und Gospel über Soul und Jazz bis zu Folk und Country. Seine Lieder stecken oft voll feiner Ironie, doch er schreckt auch vor großen Gefühle nicht zurück. Auf seinem aktuellen Album findet man ein paar Lieder voller Pathos und Einfühlsamkeit. ––––––zum Nachhören: 



cw. Bei manchen progressiven Musikfans hat die Countrymusik keinen guten Ruf. Sie gilt als konservativ in der Form und reaktionär, was die Inhalte betrifft: „Redneck Music“ eben! Allerdings stellt sich der Sachverhalt bei genauerer Inspektion etwas komplizierter dar, hat der Nashville-Stil doch in seiner mehr als 100jährigen Geschichte regelmäßige Häutungen erfahren. Egal ob die frühe Countrymusik die Hawaii-Gitarre und das alpine Jodeln übernahm, der weiße Hillbilly-Sänger Jimmie Rodgers den schwarzen Jazztrompeter Louis Armstrong ins Studio holte oder Loretta Lynn nach dem 2. Weltkrieg gegen ein Macho-Frauenbild ansang, stets zeigte sich das Genre aufgeschlossen für aktuelle musikalische und gesellschaftliche Umbrüche und Tendenzen. 

 

Mitte der 1980er Jahre entstand unter dem Banner „Alternative Country“ eine Bewegung junger Musiker, die dem polierten und genormten Nashville-Sound eine kühnere Ästhetik entgegensetzten. Der Singer-Songwriter Lyle Lovett (Jahrgang 1957), der vor Jahren durch seine kurze Ehe mit dem Filmstar Julia Roberts in die Klatschspalten der Presse geriet, kommt aus dieser Ecke. Aus dem einstigen Rebellen mit buschigem Haar ist inzwischen ein graumelierter „elder statesman“ der Südstaatenmusik geworden, der die ganze Palette an traditionellen Stilen beherrscht, die er aber immer wieder gegen den Strich bürstet.

 

Lovett stammt aus Texas, wo in den 1940er Jahren eine Musikrichtung Konjunktur hatte, die den populären Bigbandjazz von Bandleadern wie Count Basie, Glenn Miller und Duke Ellington mit der Countrymusik eines Hank Williams und Bill Monroe verband. „Western Swing“ wurde der Mix genannt, zu dessen Aushängeschild Bob Wills & His Texas Playboys wurden.

                                  Bob Wills & His Texas Playboys



 

Im „Lone Star State“ aufgewachsen, hat Lyle Lovett den „Lone Star Swing“ mit der Muttermilch eingesogen. Schwarzer Jazz und weiße Countrymusik stellen für ihn kein Gegensatzpaar dar, im Gegenteil: Für Lovett sind sie natürliche Verbündete – populäre Musikstile der unteren Schichten. Schon in seiner Schulzeit lernte der Teenager neben Gitarre und Klavier auch Saxofon spielen, um im Blasorchester der Schule mitmachen zu können, das etliche „Jazztunes“ im Repertoire hatte. 

 

Die Spur des „Western Swing“ zieht sich wie ein roter Faden durch Lovetts inzwischen fast 40jährige Karriere. 1986 erschien sein Debutalbum, zwei Jahre später gründete er die „Large Band“, eine Bigband mittleren Formats, die sowohl Jazzinstrumentalisten mit Saxofon, Trompete und Posaune als auch Countrymusiker mit Pedal-Steel-Gitarre, Mandoline und Fiddle umfasste. 

 

Zehn Jahre nach seinem letzten Studioalbum, nimmt Lovett nun diesen Faden wieder auf, indem er geschickt Country- und Folktraditionen mit Jazzelementen verbindet, dabei er auch Kompositionen von Jazzgrößen wie Nat King Cole übernimmt. „Die meisten Musiker in der Band sind mit Jazz vertraut, vor allem die Bläser,“ erklärt Viktor Krauss, Kontrabassist der „Large Band“, der selbst einen Jazz- und Rockbackground hat. „Das sind Eigenschaften, die Lyle Lovett schätzt. Er sucht Musiker mit einem breiten Spektrum, weil er selbst in vielen Stilen daheim ist.“

 

„12th of June“ ist Lovetts zwölftes Studioalbum, was nur unterstreicht: Der Singer-Songwriter ist kein Vielschreiber. Der vierfache Grammy-Gewinner arbeitet lange an einem neuen Song, läßt sich Zeit mit seinen Plattenproduktionen, probiert die Titel zuvor ausgiebig bei Konzertauftritten aus, um sie gegebenenfalls noch einmal zu überarbeiten. „Die meisten Stücke des neuen Albums hatten wir seit längerem im Repertoire, sie waren uns völlig geläufig, als wir ins Studio gingen,“ erzählt Viktor Krauss. „Das nimmt einem die Nervosität vor dem Mikrofon.“ 


Lyle Lovett – 12Th of June (youtube)




Lässig und entspannt klingen dann auch die Aufnahmen, die ausnahmslos „live“ im Studio eingespielt wurden. Die Titelfolge des Albums folgt der Dramaturgie einer Vaudeville-Show. Als Intro spielt die Band eine rasante Instrumentalnummer – „Cookin' at the Continental" von Horace Silver –, bevor der Sänger die Bühne betritt und sich in den ersten Song stürzt, eine fetzige Nummer namens „Pants is overrated“. Danach wird die Dynamik runtergefahren. Es folgt eine Swing-Nummer von Nat King Cole, dem sich ein weiterer Jazzklassiker anschließt, eine Nachtclub-Ballade aus den 1920er Jahren. Diesen Song singt Lyle Lovett im Duett mit der schwarzen Bluessängerin Francine Reed – schummrig-schön inszeniert mit Klavierspiel wie aus der Cocktail-Bar und einem röchelnden Saxofon. Lovett erweist sich einmal mehr als vokaler Tausendsassa, der in nahezu jedem musikalischen Genre zu glänzen weiß. Ob Country, Southern Soul, New Orleans Funk, Gospel, Swing oder Blues – Lovett meistert sie alle.  

 

Wegen seiner Ohrwurm-Qualität ragt der Titelsong „12th of June“ heraus, eine Dankbarkeitshymne an das Leben, die Lovett mit gebührendem Pathos intoniert und mit der er ganz ungeschützt den Tag feiert, an dem 2017 seine Zwillingskinder zur Welt kamen. In der Countrymusik geht man großen Gefühlen nicht aus dem Weg – im Gegenteil: Lyle Lovett zelebriert sie geradezu.


Radiosendung:

Über Nashville hinaus – Countrysänger Lyle Lovett

Donnerstag, 19.1.2023 / 20:05-21:00 Uhr SWR2 Musikpassagen, SWR2


Zum Nachhören:

https://www.swr.de/swr2/musik-jazz-und-pop/ueber-nashville-hinaus-countrysaenger-lyle-lovett-swr2-musikpassagen-2023-01-19-100.html


Die Sendung wird am Dienstag, 3. Oktober 2023 (23:05–24:00) auf SWR2 wiederholt.