Wednesday 28 November 2012

Review 2012 #5: Robert Lippok's Highlights

ROBERT LIPPOK, Elektroniker von To Rococo Rot, Berlin



My Highlights 2012

Releases:

ÉLG:  Mil Ploton (Alter)
Mark Fell: Sentielle Objectif Actualité (Editions Mego)

Concerts & DJ:

Tolouse Lowtrax DJ Set - Salon Des Amateurs - Düsseldorf / 10.10.
Palais Schaumburg / Hannover / 24.08.
Grischa Lichtenberger / Villa Massimo Rom / 07.09.

Other cultural events:

The drive from Bamako to Segou / Mali / 10.02.
Late afternoon sky over Chemnitz / Germany / 16.11. / 16:30 pm
A walk with the English Journalist Sheikh Ahmed through Soho. 22.07.


Latest release:
to rococo rot / rocket road 1997 -2001 / City Slang 2012

Tuesday 27 November 2012

AUGE und OHR 14: Instrumentalduo aus Minnesota

Instrumentalduo aus Minnesota mit Fiddle und einer eigenwilligen Gitarre, ca. 1910


JAZZTRENDS: Erik Friedlander's Bonebridge


Süffiger Folkjazz

Erik Friedlander’s Bonebridge schwelgt in Singen in träumerischen Klängen

                                                                                            Foto: Claudia Casanova
                                                                                         
CW.John Cage hatte es vorgemacht. Zum 200. Jubiläum der amerikanischen Verfassung entwarf der Avantgarde-Komponist 1976 ein Werk, das alte Kirchenhymnen, Spirituals und Folksongs per Zufallsverfahren neu zusammensetzte, um den Geist der frühen amerikanischen Volksmusik auf moderne Weise einzufangen.

35 Jahre später versucht sich der New Yorker Cellist Erik Friedlander an einem ähnlichen Projekt.  “Bonebridge” heißt das Unterfangen, das vom Jazz ausgehend eine Musik erträumt, die in organischer Manier die Vielfalt der amerikanischen Folkstile zu einem Sound verschmelzt, in dem alles enthalten ist: Country, Blues, Gospel und Folk, ja selbst New Yorker Latin-Traditionen wie Rumba und Mambo klingen an und verbinden sich zu einer wunderbaren Melanche.

Die Musik ist eine Zeitreise ins Jahr 1971, als die Friedlander-Familie das "Galax Fiddlers' Festival" in der Stadt Galax in Virginia besuchte.  Man campte mit Hunderten anderer Bluegrass-Fans, und der junge Erik, damals elf Jahre alt, zog durch das Zeltlager, wo überall spontane Bluegrass-Sessions stattfanden. Er sperrte mächtig die Ohren auf. "Zupfst Du?" war normalerweise die Frage, die eine Spontansession auf den Weg brachte.
                                                                                                                          Foto: Nathan Rosborough
Schon die Besetzung des Bonebridge-Quartetts ist für eine Jazzcombo außergewöhnlich. Friedlander ist ein Meister des Cellos, das im Jazz relativ selten zum Einsatz kommt. Der New Yorker gehört zu nur einer Handvoll von Cellisten, die das Instrument in der improvisierten Musik mit Autorität zu spielen vermögen. Sein Gegenüber ist der E-Gitarrist Doug Wamble, der am liebsten Slide-Gitarre mit einem Metallröhrchen um den Zeigefinger spielt. Damit erzeugt er die gleitenden Töne, die Blues und Countrymusik prägen. Kontrabassist Trevor Dunn passt ausgezeichnet in dieses Kabinett der Exzentriker, da er eigentlich aus der Rockmusik kommt und es jahrelang in der Rockband Mr. Bungle mit Mike Patton von Faith No More ordentlich krachen ließ. Am Schlagzeug sitzt Michael Sarin, dessen Erfahrungsschatz vom Jazz bis zur experimentellen Improvisation reicht.

Der Auftritt der Gruppe im Singener Kulturzentrum Gems bildete das Debut einer mehrwöchigen Europa-Tournee. Das Auftaktkonzert machte deutlich, dass die Band noch Zeit braucht, richtig zusammenzuwachsen, vor allem auch weil sie etliche Stücke einbezog, die erst kürzlich entstanden sind und auf Hurrikan “Sandy” zurückgehen.

Der Orkan kappte für vier Tage den Strom von Erik Friedlanders Appartment, so dass er Zeit hatte abends bei Kerzenschein neue Stücke zu ersinnen. Häufig zupft er ein Cellosolo zur Einleitung, wobei er sich als souveräner, fingerflinker und hochmusikalischer Turbovirtuose erweist. Die Kompositionen münden meistens in einen entspannten Beat, über den Slide-Gitarre und Cello träumerische Melodien legen, um sich danach in den Soli die improvisatorischen Bälle zuzuwerfen. Eine Rumba wird so schräg angegangen, dass man meint, gleich würde Tom Waits die Bühne betreten, um eine seiner verbeulten Blues-Arien zu heulen.

Insgesamt erinnerte die Musik an Klänge, wie sie in den letzten Jahren auch vom Jazzgitarrenstar Bill Frisell zu hören waren, der ebenfalls Exkursionen in musikalische Traditionen wie Bluegrass und Gospel unternahm und sie zeitgemäß aufzuarbeiten versuchte. Genau das glückt Erik Friedlander mit Bavour. Die vier verwandeln Jazz in eine imaginäre Folkmusik des 21. Jahrhunderts. Prädikat: äußerst süffig!

Erik Friedlander Bonebridge: Beaufair Street (SkipStone Records) 

Tourdaten 2012: 30.Nov Mainz / 1. Dez Köln, Stadtgarten 

Wednesday 21 November 2012

ELECTRONICA: Max Loderbauer recycelt ECM


Elektronische Wiederaufbereitung
 
Max Loderbauer ist einer der kreativsten Elektroniker der Berliner Szene - von Ambient bis zu einem ECM-Remix reichen seine Aktivitäten
 
 
CW. Max Loderbauer hat sich am experimentellen Ende der Berliner Elektronik-Szene positioniert. Der Synthesizerspezialist ist einen weiten Weg gegangen von der “Intelligent Dance Music” des Duos Sun Electric über Minimal-Techno seiner Gruppe NSI bis zu Klangfarbenimprovisationen mit dem Moritz von Oswald Trio. Jetzt hat er sich mit dem Elektroniker Ricardo Villalobos den ECM-Katalog vorgenommen, um ausgewählte Aufnahmen einem radikalen Remix zu unterziehen, sie minimalistisch zu zerteilen und in ein synthetisches Klangbad zu tauchen.
 
Deine Musik ist keine lupenreine Clubmusik. Wo würdest Du sie ansiedeln?
 
Max Loderbauer: Schon mit Sun Electric waren wir eher im Ambient-Bereich tätig, also in Randbereichen der elektronischen Clubmusik. Wir haben keine Musik zum Abtanzen gemacht, sondern Hörmusik.
 
Wie war Dein Werdegang?
 
Max Loderbauer: Ich hatte eine klassische Klavierausbildung, habe mich aber schon früh für andere Sounds interessiert. Wir hatten ein Cembalo zu Hause, und das hat mich inspiriert, einfach weil es ein  Tasteninstrument war mit einem anderen Klang als ein Klavier. Ich habe auch schon mal unser Klavier - zum Entsetzen meiner Eltern - mit Reißnägeln präpariert, um einen ‘Honky-tonk‘-Sound zu bekommen.
 
Was brachte dich zur Elektronik?
 
Max Loderbauer: Ich fing schon als Teenager an, akustische Tasteninstrumente mit Elektronik zu verfremden. Mein Vater hatte ein Zwei-Spur-Tonbandgerät, mit dem man Mehrspuraufnahmen machen konnte. Mit dem habe ich rumgespielt, das Tempo verändert und solche Sachen. Dann spielte ich in meiner ersten Band. Wir machten Prog-Rock. King Crimson war unser großes Vorbild. Von meinen Eltern habe ich eine Hohner-Orgel zu Weihnachten bekommen, die ich heute noch besitze und bei Sun Electric einsetzte. Diese Orgel war mein erster Synthesizer. Man konnte mit ihr schon recht ungewöhnliche Sounds machen.
 
Wie kamst Du zum ersten Synthesizer?
 
Max Loderbauer: Ich habe mir Ende der 70er Jahre einen Moog Prodigy gekauft und hobbymäßig damit zu Hause rumgeprobiert, beeinflußt von Klaus Schulze und Tangerine Dream. Das Interesse war so stark, dass ich mich entschloss, daraus einen Beruf zu machen und Toningenieur in Düsseldorf zu studieren. Ich habe das Studium nicht bis zum Ende durchgezogen, weil ich keine Karriere im Rundfunk einschlagen wollte. Lieber wollte ich in einem Studio mit Synthesizern praktisch arbeiten. Ich fand einen Job in einem Studio in München, das den europäischen Vertrieb für den Fairlight hatte, den ersten Sampler - einen Riesencomputer. Die Speicherkapazität war im Sekundenbereich - doch immerhin war es ein Sampler, mit dem man mittels Tastatur oder Sequenzer mit Natursounds spielen konnte. Eine echte Revolution! Das Ding war unglaublich teuer, weswegen es nicht allzu viele gab. Ich fühlte mich wie im Paradies. Ich hab als Service-Techniker für Fairlight gearbeitet, musste bei Kunden Hardware- oder Software-‘Up-dates’ machen oder Reperaturen. Durch den Job bin ich interessanten Leuten begegnet, etwa Yello oder Eberhard Schoener, die alle damals den Fairlight hatten.
 
Wie begann deine Karriere als Profi-Musiker?
 
Max Loderbauer: Auf meinen Service-Reisen für Fairlight traf ich Stephan Fischer und Tom Thiel in einem Studio in Nürnberg. Aus dieser Begegnung ging die Gruppe Fischerman’s Friends hervor. Wir sind zusammen nach Berlin gezogen, weil dort musikalisch mehr geboten war als in der fränkischen Provinz. Nach der Trennung von Stephan Fischer habe ich mit Tom Thiel als Sun Electric weitergemacht.
 
Wo tratet ihr auf?
 
Max Loderbauer: Anfang der 90er Jahre war es üblich, bei Club-Events einen “Chill-Out”-Raum zu haben - dort haben wir unseren Ambient-Set gespielt. Wir waren von Anfang an eng mit The Orb befreundet und haben unsere ersten Live-Auftritte mit The Orb in England absolviert, dann auch eine gemeinsame Amerika-Tour unternommen. Rasch bekamen wir einen Plattenvertrag beim belgischen Techno-Label R&S, wo auch Aphex Twin und Jaydee Platten herausgaben. Es lief sehr gut!

Gelegentlich wird Sun Electric als Erfinder von ‘IDM’ genannt - Intelligent Dance Music?
 
Max Loderbauer: Dieser blöde Begriff wurde unserer Musik übergestülpt, weil wir keine Ambient-Musik wie Brian Eno machten, sondern rhythmisch, aber auch keine Tanzmusik auf Teufel komm raus. Alle Sounds haben wir damals ‘live’ auf der Bühne kreiert mit Sequenzern, Samplern und Synthis - analog, mit der Hand! Das habe ich bis heute beibehalten, weil mir der intuitive Eingriff in die Musik wichtig ist. Ich fühle mich wesentlich freier mit Hardware, als mit Laptop und Software. Der entscheidende Punkt für mich ist die Spontanität der Bedienbarkeit, die mit analogen Maschinen leichter zu erreichen ist. Ich schraube nicht gerne mit einer Maus herum. Außerdem bietet die analoge Technologie die Möglichkeit, Sachen zu machen, die so nicht vorgesehen sind. Digitale Technologie erlaubt das nicht. Darüber hinaus klingen die analogen Synthis immer noch etwas besser als gesampelte Software, die inzwischen schon ziemlich gut ist, doch noch nicht ganz an die echten Synthis heranreicht.
 
Du hast gerade mit Ricardo Villalobos ein Album für ECM gemacht, eine Art ECM-Remix. Was war die Idee?
                                                                                                            Ricardo Villalobos & Max Loderbauer 
Max Loderbauer: Wir haben aus Plattenaufnahmen unterschiedlicher ECM-Musiker Bruchstücke herausgetrennt, haben sie geloopt und dann versucht, aus diesem Material auf technischem Wege neue Stücke zu generieren. Wir haben also mit dem vorgegebenen Material gearbeitet und versucht, so wenig wie möglich von außen dazu zugeben, sondern Musik aus sich selbst heraus zu entwickeln. Wir wollten dabei irgendwie dem Geist von ECM gerecht werden. Es ist ziemlich freie Musik, impressionistisch, die manchmal eine gewisse Düsterkeit besitzt.
 
Wie war der Arbeitsprozeß?
 
Max Loderbauer::Die Platte wurde im Studio von Ricardo Villalobos eingespielt, wobei uns Spontanität wichtig war und ein “Hands-On”-Approach, was bedeutet, dass wir Wert darauf legten, den Sound sprichwörtlich in den Händen zu halten. Ricardo hat ein sehr großes Synthesizer-Modularsystem, das es erlaubte, die meisten Operationen in Echtzeit auszuführen.
 
War dieses Instrument euer Hauptwerkzeug?
 
Max Loderbauer: Ja, es ist ein Modularsystem der Firma Doepfer in München, die in diesem Bereich in den letzten Jahren Revolutionäres geleistet hat. Sie bauen Module, die man zusammenstecken und miteinander verkabeln kann. Das ist fantastisch, und wie bei einer elektrischen Eisenbahn, wo man nicht genug kriegen kann und immer wieder neue Komponenten dazu kauft. Es ist unheimlich spannend, was da im Moment passiert. Dieser modulare Synthesizer war die Basis der Einspielung. Wir haben die Extrakte von den ECM-Platten genommen, sie verändert, manipuliert, verformt und in die unterschiedlichsten klanglichen Kontexte gestellt. Wir haben also mit jeden Bruchstück eine Art ‘Live-Mix’ gemacht - vielleicht 30 Minuten lang. Alles wurde aufgenommen, danach abgehört und ediert. Der Auschnitt war das fertige Stück, vielleicht 10 Minuten lang. Wir haben noch vier bis fünf Schnitte vorgenommen - mehr nicht. Auf Overdubs haben wir nahezu völlig verzichtet. Es wurde nichts nachher noch darübergelegt, außer vielleicht Perkussion und einen Trommel-Rhythmus, aber Ricardo Villalobos ist ja auch von Hause aus Schlagzeuger. 
 
Neuerscheinungen:
Ricardo Villalobos & Max Loderbauer: Re: ECM (ECM)
Moritz von Oswald Trio (mit Max Loderbauer): Horizontal Structures (Honest Jons Records)
 
Auswahldiskographie:
Sun Electric: Lost & Found (1998 - 2000) (Shitkatapult)
NSI: Sync (Non Standard Productions)

Das Interview erschien zuerst in der Zeitschrift Jazzthetik (www.jazzthetik.de)

Flashbacks 60s: Handzettel für ein Konzert mit The Grateful Dead, James Cotton, Lothar And The Head People

Werbekarte für ein paar Konzerte mit The Grateful Dead, James Cotton Blues Band (Chicago) , Lothar & The Head People (New York) im Fillmore West, San Francisco Dezember 1968 presented by Bill Graham




Sunday 18 November 2012

INTERVIEW: Jazzsaxofonist ELLERY ESKELIN


Klangträumer
 
Ellery Eskelin zählt zu den prägnantesten Saxofonisten der New Yorker Downtown-Szene. Seit ein paar Jahren bastelt er an einem neuen Sound. Er sucht nach der Singbarkeit im modernen Jazz

                                                                                                              Foto: Manuel Wagner
 Ein Interview von Christoph Wagner
 
Der Hut ist sein Erkennungszeichen. Ellery Eskelin besitzt viele Hüte, dazu eine markante Saxofonstimme, die erstmals in der Band von Joey Baron aufleuchtete. Dann ließ er in den 90er Jahren im Trio mit Andrea Parkins (Akkordeon) und Jim Black (Drums) aufhorchen. Diese Band wurde vom “Trio New York” abgelöst, das der Saxofonist mit dem B3-Hammond-Orgelspieler Gary Versace und dem Schlagzeuger Gerald Cleaver ins Leben gerufen hat. Daneben.spielt Eskelin in einer Zwillings-Tenorsaxofongruppe mit dem Ex-Miles-Davis-Gefährten Dave Liebman. Eskelin wohnt in Manhattan in der West 43ten Straße in einem Hochhaus, das Musikern vorbehalten ist. Wenn man ins Wohnzimmer kommt, steht der Hutständer gleich neben der Tür.
 
Sie kamen 1983 nach New York. Was zog sie hierher?
 
Ellery Eskelin: New York war schon immer das Mekka des Jazz. Ich wuchs in Baltimore, Maryland auf und träumte als junger Musiker davon, nach New York zu ziehen. Mit 23 wagte ich den Sprung. Es war ein Riesenschritt, aber wenn man jung ist, empfindet man das als Abenteuer. Ich hatte Kontakte zu Musikern in der Stadt und fand schnell ein billiges Apartment in Manhattan und auch ersten Auftritte. Heute wäre das schwieriger, weil die Mieten in Manhattan extrem hoch sind. Deshalb wohnen junge Musiker in Brooklyn, New Jersey oder Queens, wodurch sich die Szene fragmentiert hat.
 
Wie fasst man Fuß in der New Yorker Jazzszene? 
 
Ellery Eskelin: Als Newcomer in New York versuchte ich bei Bandleadern wie Elvin Jones oder Art Blakey mein Glück. Die alten Jazzmeister ließen uns junge Musiker manchmal spätabends im letzten Set einsteigen. Allerdings gab es Hunderte junger Saxofonisten und nur etwa ein Dutzend alter Bandleader, bei denen man unterkommen konnte. Es war nahezu aussichtslos.
 
Wie ging es weiter?
 
Ellery Eskelin: Ich traf andere Musiker und wir beschlossen, unsere eigene Musik zu entwickeln. Der Schlagzeuger Phil Haynes wohnte in einen Loft in Brooklyn, wo man proben und Konzerte veranstalten konnte. Dieser Loft wurde zu einem Zentrum unserer Aktivitäten. Wir begriffen, dass wir die Dinge selbst in die Hand nehmen mussten. Es war das gleiche Do-It-Yourself-Prinzip, das schon früher die Musiker des “New Thing” und der Loft-Szene praktiziert hatten. Damals entdeckte ich die alternative Musikszene in Downtown Manhattan, wo ich Joey Baron traf. Bald spielte ich in seiner Band.

                                          Ellery Eskelin mit Christian Weber (b) und Michael Griener (dr) Foto: Doris Hüsler

Wie veränderte sich ihr musikalisches Weltbild?
 
Ellery Eskelin: Ich war anfangs sehr an traditionellem Jazz interessiert. Doch diese Szene war im Niedergang begriffen. Ich spielte deshalb auf Hochzeiten und bei anderen sozialen Anlässen, um Geld zu verdienen. Erst als ich Musiker der Downtown-Szene traf, wurde mir bewußt, dass es Formen von Improvisation jenseits der Jazztradition gab, die interessant     und kreativ sein konnten. Diese Musiker machten Dinge, an die ich als Jazzmusiker nicht im Traum gedacht hätte. Neue Horizonte eröffneten sich. In der Gruppe mit Andrea Parkins und Jim Black konnte ich all die fragmentierten Erfahrungen, die ich in diversen musikalischen Stilen gesammelt hatte, zusammenzubringen. Diese Band war die Antwort auf viele musikalische Probleme, die ich mit mir herumschleppte. Auf einmal machte alles Sinn.
 
Ihr Saxofonspiel klingt heute anders als früher?
 
Ellery Eskelin: Das ist richtig. Mir wurde mehr und mehr klar, dass im modernen Saxofonspiel etwas verloren gegangen ist. Diese Qualität versuche ich wieder zu finden. Ich möchte einen wärmeren, singenderen und volleren Klang erreichen. Deshalb habe ich ein Interesse an alten Saxofonen entwickelt, Instrumente der 20er, 30er und 40er Jahre. Ich habe entdeckt, dass das Design alter Instrumente anders ist als das moderner Saxofone. Darum besitzen sie einen anderen Ton. Ich beschaffte mir ein älteres Instrument, um darauf diesen anderer Sound zu erreichen. Allerdings sind die alten Instrumente nicht so leicht zu spielen wie neuere.
 
Ging damit eine stilistische Wende einher?
 
Ellery Eskelin: Keineswegs! Ich bin nur hinter diesem besonderen Sound her. Ich möchte damit weiterhin zeitgemäße Musik machen. Es war ein echtes Abenteuer, in den letzten beiden Jahre herauszufinden, wie sich dieser Klang verwirklichen läßt.

Wie geht man eine solche Herausforderung an?
 
Ellery Eskelin: Ich höre viele alte Schallplatten, um hinter das Geheimnis der frühen Jazzsaxofonisten zu kommen. Eine ihrer Stärken war, das Saxofon ähnlich wie die menschliche Stimme klingen zu lassen. Das Saxofonspiel hatte damals eine vokale Qualität. Wenn man Ben Webster hört, wie er die Töne formt, die Melodien entwickelt, erkennt man, dass er wie ein Vokalist agiert. Er spielt die Melodie genauso wie ein Sänger sie intonieren würde.
 
Welche Schlussfolgerungen zogen sie aus dieser Erkenntnis?
                                                                                                                                  Foto: Manuel Wagner
Ellery Eskelin: Ich spiele heute viel weniger Noten als früher, versuche,  jede unnötige Ornamentierung zu vermeiden. Es geht mir darum, die Essenz dieses alten Sounds zu finden, in sein Innerstes vorzudringen. Da ist eine Qualität in dieser Musik, der ich auf die Spur kommen möchte. Ich möchte diese alte Ausdrucksweise für zeitgenössischen Jazz fruchtbar machen, keinen alten Stil wieder aufwärmen.

Wie reagiert das Publikum?
 
Ellery Eskelin: Wenn man seine technische Virtuosität nicht herausstellt, geht man ein Risiko ein. Doch es gibt eine andere Virtuosität, die nichts mit oberflächlicher Rasanz zu tun hat. Ben Webster spielte virtuos Balladen, obwohl er keine technischen Kapriolen schlug. Das bewundere ich. Das ist das Gegenteil von einfach. Es ist viel leichter, auf schnelle Phrasen zu setzen, als nur die wesentlichen Noten zu spielen. Eine Melodie in überzeugender Weise darzubieten, ist eine Herausforderung.
 
Sie haben sich ein anderes Instrument zugelegt?
 
Ellery Eskelin: Mein Saxofon ist ein Instrument der Marke Conn von 1927.   Es stammt aus dem goldenen Zeitalter des Saxofons, als es in den USA etliche Hersteller gab. Ich habe dieses Saxofon hier in New York in einem Musikgeschäft gekauft und hatte Glück, dass ich zum richtigen Zeitpunkt im Laden war. Kein Saxofon ist wie das andere. Allerdings ist das Instrument eine Sache, der wichtigere Teil ist der Musiker. Ein Saxofon wird anders klingen, wenn ein anderer Musiker darauf spielt. Keine zwei Saxofone sind gleich, aber auch keine zwei Saxofonisten.
 
Aktuelle Alben:
Ellery Eskelin Trio New York (Prime Source)
David Liebman / Ellery Eskelin /Tony Marino / Jim Black: Non Sequiturs (HatHut)

Dieses Interview erschien zuerst in der Zeitschrift JAZZTHETIK (www.jazzthetik.de)