Saturday 27 May 2023

Spitzenjazz in Singen - Bill Stewart Trio

Musikalisches Höhenerlebnis

 

Mit Schlagzeuger Bill Stewart und seinem Trio kommt ein Jazzensemble der Spitzenklasse aus New York nach Singen


Bill Stewart (Promophoto: John Rogers)

 



 cw. Manchmal kommt einem Musik wie ein Wunder vor. Dann erstarrt man vor der schieren Kraft und Exzellenz des Gehörten. Rudolf Kolmstetter, Vorsitzender des Jazzclubs Singen, hatte so ein euphorisches Erlebnis, als er 2018 auf Jazzreise in New York war. Im berühmten Jazzclub Village Vanguard hörte er das Trio des Schlagzeugers Bill Stewart und war wie elektrisiert: So eine fantastische Band hatte er lange nicht erlebt, obwohl er jedes Jahr Dutzende Konzerte besucht. In Kolmstetter erwachte augenblicklich das Bedürfnis, das Trio nach Singen zu holen, um den Jazzfans im Hegau nicht ein solches musikalisches Höhenerlebnis vorzuenthalten. 

 

Die Pandemie machte alle Pläne zunichte. Doch Kolmstetter blieb am Ball, und jetzt hat er es geschafft: Am Donnerstag, den 8. Juni (20:30) tritt das Bill Stewart Trio im Kulturzentrum Gems beim Jazzclub Singen auf. 

 

Stewart (Jahrgang 1966) ist einer jener Musiker, dem es nie richtig gelungen ist, aus dem Schatten von Jazzgrößen wie Pat Metheny oder John Scofield herauszutreten. Die Liste der Plattenaufnahmen, bei denen er in den letzten drei Jahrzehnten mitwirkte, hat die Zahl von 100 längst überschritten. Jazzmusiker schätzen sein melodisches Trommelspiel, das nie aufdringlich wirkt, dazu elastisch und voller Swing ist, aber auch enormen Druck entfalten kann, was den modernen Jazz seines Trio zu einer ebenso aufregenden wie vielfältigen Angelegenheit macht.

 

Durch Vermittlung des Saxofonisten Maceo Parker kam Stewart an seinen bisher spektakulärsten Job, als er von James Brown angeheuert wurde. Der „Godfather of Funk“ weihte ihn umgehend in die Geheimnisse der schwarzen Groove-Rhythmen ein. 

 

Zwei Spitzenkönner komplettieren Stewarts Trio. Sie können beide ebenfalls auf eine lange Referenzliste mit großen Namen verweisen. Kontrabassist Larry Genadier hat sich international vor allem als Mitglied im Trio des Pianisten Brad Mehldau einen Namen gemacht, während Saxofonist Walter Smith III. immer noch als Geheimtipp gilt, obwohl er beim renommierten Blue Note-Label unter Vertrag ist und in der Kaderschmiede des Jazz, am berühmten Berklee College of Music in Boston, die Saxofon-Abteilung leitet. Wenn das keine Empfehlungen sind!

 

Und jetzt wird Jazzclub-Chef Rudolf Kolmstetter nur noch darauf hoffen, dass beim Auftritt des Bill Stewart Trios der heiligen Geist des Jazz abermals überspringt.

 

 

Monday 22 May 2023

'LICHTWÄRTS'–Besprechung in der 'SCHWÄBISCHEN HEIMAT'

 Zeitschrift SCHWÄBISCHE HEIMAT, Mai 2023




Im November 2023 bin ich (zusammen mit Ekkehard Rössle, Klarinette) mit einem Multimedia-Vortrag zur Geschichte von Lebensreform, Jugendbewegung und Wandervogel im Südwesten
 im Club Voltaire, Tübingen, Haaggasse (So, 12. Nov 2023), 
in Sindelfingen (Di, 14. Nov 2023 ),
 in der Stadtbücherei Schlossmühle, Bad Urach (Do, 16. Nov 2023)
 und im Kulturhaus Schwanen, Waiblingen (So, 18. Nov 2023)

Tuesday 16 May 2023

MUSIC JOKE 3: The German accordion – a nightmare


 

Dazu zur Lektüre empfohlen:

Christoph Wagner: Das Akkordeon oder die Erfindung der populären Musik (Mainz, 2001 / Schott)


Tuesday 9 May 2023

Taj Mahal mit neuem Album

Harlem Swing

Taj Mahal belebt den Sound der Bigband-Ära neu


 Taj Mahal (Foto: Abby Ross)



 

cw. Im Alter gewinnt die Musik der eigenen Kindheit und Jugend zunehmend an Bedeutung, und nicht wenige Musiker sehnen sich nach den Klängen ihrer frühen Jahre zurück. Dieser Befund gilt auch für den amerikanischen Bluesmusiker Taj Mahal (bürgerlich: Henry St. Claire Fredericks), der letztes Jahr 80 Jahre alt wurde. 

 

Unter dem Titel „Savoy“ hat Mahal gerade ein Album veröffentlicht, das die Klänge der 1940er Jahre neu belebt, als im berühmten Savoy Ballroom in der Lenox Avenue in Harlem die Post abging. Im „Savoy“, das als eine der wenigen Dancehalls keine Rassensegregation praktizierte, war der Schlagzeuger Chick Webb König. Er trat dort mit seiner Bigband auf und einer jungen Ella Fitzgerald. Unter den Tausenden Tanzwütigen, die das Lokal mit zwei Tanzböden bevölkerten, um sich dem Jitterbug, Jive oder dem Lindy Hop hinzugeben, befanden sich auch Taj Mahals Eltern, die sich hier kennenlernten.

 

Das macht das Album zu einem Spaziergang „down Memory Lane“ und taucht gleichzeitig tief in Mahals verästelte Familiegeschichte ein. Im Mai 1942 in Harlem geboren, war sein Elternhaus voller Musik. Sein Vater spielte als Jazzpianist mit karibischen Wurzeln beim Jump-Blues-Bandleader Buddy Johnson – Mahals Patenonkel. Seine Mutter, eine Lehrerin aus South Carolina, fiel sonntags in der Kirche durch ihren inbrünstigen Gospelgesang auf. „Ich wuchs sehr bewußt mit meinen afrikanischen Wurzeln auf“, erinnert sich Mahal, dessen Vater ein Anhänger von Marcus Garvey war, einem „Black Nationalist“ aus Jamaika. „Meine Eltern hatten sich durch die Musik gefunden, was damals Swing und die Anfänge des Bebop bedeutete. Das waren die Klänge, die mich in meiner Kindheit umgaben.“


Der Künstler als junger Mann



 

Kein Wunder, dass das neue Album mit „Stompin‘ at the Savoy“ beginnt, dem Jazzklassiker, mit dem Chick Webb 1934 einen Hit landete und der später auch von Ella Fitzgerald mit Louis Armstrong aufgenommen wurde. Im Gespann mit dem Produzenten John Simon, der sich durch seine Arbeit mit The Band, Leonard Cohen und Blood, Sweat & Tears einen Namen gemacht hat, läßt Mahal die Atmosphäre wieder aufleben, die einst in den Nachtclubs und Tanzhallen von Harlem herrschte, als die Bigbands den Ton angaben. 

 

Eine gestopfte Trompete leitet „Stompin‘ at the Savoy“ ein, Bläsersätze schmiegen sich an, während die Background-Sängerinnen Mahals rauhes Stimmorgan in weiches Timbre hüllen. Und dann bläst ein Tenorsaxofon ein Solo, bevor Mahal den Ball aufnimmt mit einer Scat-Gesangseinlage, die vor Energie nur so sprudelt – sabadibididu-dabedidum!

 

Es ist nicht das erste Album, mit dem Taj Mahal Geschichtsforschung betreibt. Bei Licht betrachetet, hat er in seiner langen Karriere nie etwas anderes gemacht, als sein Leben der Erkundung dem weitverzweigten Geflecht afro-amerikanischer Musiktraditionen zu widmen. 

 

Alles begann in Los Angeles im heute legendären Folkclub „Ash Grove“, wo der junge Bluesenthusiast alte Barden wie Mississippi John Hurt, Lightnin‘ Hopkins oder Muddy Waters hörte und so betört von ihrem Gesang und Gitarrenspiel war, dass er ihnen genau auf den Mund und die Finger schaute. Im „Ash Grove“ fand dann auch seine erste Band zusammen, die er 1965 unter dem Namen „Rising Sons“ mit Ry Cooder aus der Taufe hob. Nach diesen frühen Blues-Studien steuerte Mahal in den 1970er Jahren die Karibik an, um mit Reggae- und Calypso-Titeln seine Familiengeschichte väterlicherseits zu erkunden. Auch auf Hawaii machte er Station. Danach folgten Exkursionen nach Mali und Zansibar, um mit dem aktuellen „Savoy“-Album abermals eine andere Seite seiner musikalischen Genealogie aufzuschlagen.

Taj Mahal & the Tuba Quartet, 1971



 

Daneben wird mit dem Album eine alte Freundschaft neu belebt, die vor mehr als einem halben Jahrhundert begann, als der Produzent des Albums, John Simon, Keyboard in Mahals Band spielte und auf seinem Album „The Real Thing“ von 1971 mit von der Partie war, das mit vier Tuba-Spielern „live“ eingespielt wurde. 

 

Außer als Produzent ist John Simon bei den „Savoy“-Sessions als Pianist zu hören in einer Band, die aus lauter Größen der Studio-Szene der Bay-Area besteht. Gitarre spielt Danny Caron, der auf Referenzen von Clifton Chenier über Bonnie Raitt bis zu Van Morrison verweisen kann. Den Baß zupft Ruth Davies, die schon mit John Lee Hooker, Elvin Bishop und Maria Muldaur gearbeitet hat. Eine illustre Crew also, die für das nötige Feeling sorgt.


Taj Mahal – Do nothin' till you hear from me (youtube)

 

Unter den zwölft Standards aus dem Great American Songbook befinden sich alte Schlachtrösser wie „Mood Indigo“, „Sweet Georgia Brown“ oder „Gee Baby, Ain’t I Good to You“, denen Mahal dennoch neue Seiten abzugewinnen weiß. Den Evergreen „Baby It’s Cold Outside“ zelebriert er im Wechselgesang mit Maria Muldaur. Auf „Caldonia“, einer Jive-Nummer von Louis Jordan, die auch Muddy Waters im Repertoire hatte, ist er mit einem quirrligen Mundharmonika-Solo zu hören. Und „Summertime“ präsentiert Mahal nicht im Rock-Idiom à la Janis Joplin, sondern als Swing-Nummer ganz im Stil der Interpretation von Miles Davis und Gil Evans aus dem Jahr 1958. „Das war mein Vorbild,“ räumt er unumwunden ein, um gleich wieder ins Schwärmen zu geraten: „Die Musik damals war schon toll, und das ist sie heute immer noch.“

 

Taj Mahal: Savoy (Stony Plain Records)

Saturday 6 May 2023

Arhoolie-Gründer Chris Strachwitz verstorben

“Habe Lightnin' Hopkins gefunden!”

Zum Tod von Chris Strachwitz (1.7.1931 – 5.5.2023), Gründer von Arhoolie Records und der Arhoolie Foundation

CW. Die Geschichte der Emigration schreibt die abenteuerlichsten Biographien: Nach dem 2. Weltkrieg kommt ein 16jähriger Teenager von Deutschland nach Amerika, wo er ein paar Jahre später ein Schallplatten-Label gründet, das zu einem der bedeutendsten Klangarchive amerikanischer Regionalmusik wird. Der Einwanderer heißt Chris Strachwitz, sein Label: Arhoolie Records. Im September 1960 gegründet, hat sich die Firma in den mehr als 50 Jahren ihres Bestehens zu einem der einflussreichsten Rootsmusic-Labels der USA entwickelt und der “Weltmusik” den Weg geebnet.
 
Was für ein Schock muss es gewesen sein, aber auch was für eine Befreiung, als der Teenager 1947 in Amerika an Land ging, geflohen aus Schlesien mit Mutter und Geschwistern vor den russischen Soldaten. Glücklicherweise hatte die Familie eine Großmutter in den USA, die nur zu gerne half. Sie wurde zur ersten Anlaufstelle. Bald fanden sie bei einer der Tanten in Nevada Unterkunft. 
 
In Amerika war alles anders. Verwirrend und überwältigend empfand Christian “Chris” Strachwitz die fremde Umgebung. Neue Eindrücke prasselten auf ihn ein. Wenn man das Radio einschaltete, ertönte eine Musik, wie sie der Teenager noch nie gehört hatte, Klänge, die ihm ziemlich exotisch vorkamen. Aber vielleicht war es gerade dieser fremde Reiz, der ihnen eine so ungeheure Faszination gab. 
 
Rasch lernte Strachwitz zu unterscheiden: Blues, Hillbilly, Gospel, mexikanische Musik. “Ich habe Hillbilly-Platten gekauft, auch Boogie-Woogie und Rhythm & Blues,” erinnert er sich. “Die Schellacks waren richtig teuer und ich habe mein ganzes bisschen Taschengeld dafür ausgegeben.” Im Kino hörte er zum ersten Mal Jazz und war wie benommen. 
 
Nach Schule, College und Wehrdienst trat Strachwitz eine Lehrerstelle in Kalifornien an. In der Freizeit klapperte er Flohmärkte ab auf der Suche nach Schellacks. Sie wurden Ende der 50er Jahren billigst verramscht, als Läden und kleine Schallplattenfirmen für die neuen Vinyl-Singles ihre Lager räumten. Manchmal standen ganze Lastwagen-Ladungen zum Verkauf. Strachwitz nutzte die Gelegenheit. Seine Sammlung wuchs rapide. Viel verkaufte er an Sammler nach Europa. “Auf diese Weise habe ich im Plattengeschäft angefangen. Ich habe alles erstanden, wo ‘Bluessänger mit Gitarre’ draufstand,” erzählt er. 
 
Die Einnahmen investierte der Junglehrer in ein Tonbandgerät und erkundigte sich bei Freunden nach Bluessänger mit der Absicht, sie aufzunehmen. Jesse Fuller wohnte nicht weit, auch K.C. Douglas. “Ungeheure Musiker lebten in der Gegend um San Francisco,” erinnert sich Strachwitz. “Einen lernte man durch den anderen kennen. Ich fing an, Detektiv zu spielen, um Bluessänger aufzuspüren.”
 
1959 erreichte ihn eine Postkarte seines Freunds Sam Charters (heute ein bedeutender Bluesforscher): “Habe Lightnin Hopkins gefunden!” Strachwitz war wie elektrisiert. Sofort schmiedete er Pläne für eine Pilgerreise in den amerikanischen Süden, um den legendären Bluessänger in Houston, Texas aufzustöbern. “Als ich ihn am ersten Abend in dieser winzigen Kneipe hörte, war das unglaublich!” begeistert sich Strachwitz noch heute. “So etwas hatte ich noch nie erlebt, wie er das Publikum in seinen Auftritt einbezog, spontane Verse über die Ereignisse des Tages erfand. Das war phänomenal! Ich dachte: ‘Das müsste man doch einmal so aufnehmen - nicht im Studio, sondern ‘live’ vor Heimpublikum’!” 

 
Im folgenden Jahr reiste Strachwitz abermals nach Houston, diesmal mit einem Tonbandgerät im Gepäck. Auf dem Hinweg machte er in Dallas Aufnahmen mit zwei Bluessängern, doch sein eigentliches Ziel hieß Lightnin Hopkins. Als er in Houston ankam, war die Enttäuschung groß: Der Bluessänger war gerade nach Kalifornien zum Berkeley Folk Festival abgereist! Strachwitz beschloss, seinen Aufenthalt zu nutzen, fuhr aufs Land raus, um andere Bluesmusiker aufzustöbern. Leute, die er fragte, brachte ihn mit Mance Lipscomb in Kontakt, den Strachwitz noch am selben Abend in seinem Wohnzimmer aufnahm. Lipscomb war ein Songster, mit einem riesigen Repertoire. Er kannte Dutzende von Songs, darunter viele Bluestitel, aber auch Balladen, Ragtime-Nummern, Lullabies, Spirituals und Worksongs - viele älter als der Blues. 
 
Die Session war so ergiebig, dass Strachwitz genügend Tonmaterial beisammen hatte, ein eigenes Label aus der Taufe zu heben. Ein Freund schlug den Namen “Arhoolie” vor, ein Wort, das von “Hoolie” herrührt, das wiederum von “Field-Hollers” abgeleitet ist und die Bezeichnung für die heulenden Rufgesänge der schwarzen Baumwollpflücker auf den Plantagen ist. 
 
Im November 1960 lag die erste Arhoolie-Platte vor - Heimarbeit! Das Cover bestand aus schwarzem Karton, auf den Strachwitz mit Freunden am Küchentisch ein Deckblatt geklebt hatte, bedruckt mit dem Name des Künstlers und des Titels: Mance Lipscomb: Texas Sharecropper & Songster. Arhoolie 1001. Vorsichtshalber hatte Strachwitz nur 250 Stück pressen lassen. 
 
Doch das Blues-Revival sorgte für Absatz. Der Verkauf war so ermutigend, dass bald weitere Produktionen folgten: Bluesscheiben von Big Joe Williams, Black Ace und Lil’ Son Jackson. Mit der Zeit weitete sich das Spektrum. Jazz, Barrelhouse-Piano und Gospel brachten andere Töne ins Sortiment. Am Ende der Dekade hatte Arhoolie bereits 50 Titel im Katalog.
 
Oft spielte der Zufall Schicksal. “Als ich 1965 Lightnin Hopkins besuchte, sagte er eines Abends: ‘Hast du Lust meinen Cousin zu hören - Clifton Chenier!’” erzählt Strachwitz. “Ich kannte ein paar Platten von Chenier. Wir gingen in diese kleine schäbige Kneipe, wo er mit seinem riesigen Akkordeon auftrat. Er sang tollen Blues in diesem merkwürdigen Französisch, was sich wunderbar anhörte.”
 
Strachwitz erkannte die Chance. Eine Single wurde aufgenommen, nur Akkordeon, Schlagzeug und Waschbrett. In den Juke-Boxes von Louisiana und Texas hatte der Titel Erfolg, was Clifton Chenier half, wieder Auftritte zu finden und künstlerisch abermals auf die Beine zu kommen. Als “King of Zydeco” wurde er später weltberühmt. Zydeco war die Bezeichnung für den “Louisiana-Blues”, auch “French Blues” genannt, den Chenier spielte.
 
Das Plattengeschäft war beileibe keine Goldgrube, doch verdiente Strachwitz genug, um den Lehrerberuf an den Nagel hängen zu können. Im Sommer 1965 erhielt er einen Anruf, ob er eine Aufnahme für einen Friedensmarsch machen könnte, der in ein paar Wochen in San Francisco stattfinden würde. Eine Single sollte aufgenommen werden, um sie bei der Demonstration zu verkaufen. 
 
Vier Hippiemusiker kreuzten mit ihren Gitarren in Strachwitz’ Wohnung auf, der ein Mikrofon von der Decke baumeln ließ. Alles lief glatt und nach ein paar Anläufen war die Einspielung im Kasten. Beim Gehen, zwischen Tür und Angel, erkundigte sich der Bandleader, was sie ihm für die Arbeit schuldeten. Strachwitz fragte, ob er den Song in seinem Musikverlag veroffentlichen könnte - deal done!
 
Das Lied mit dem Titel “I Feel Like I'm Fixing to Die Rag” von der mysteriösen Jug-Band, die sich als Country Joe & The Fish entpuppte, wurde ein massiver Hit, das bekannteste Lied gegen den Vietnamkrieg und eine der Hymnen einer ganzen Generation. Auf den Woodstock-Alben und im Woodstock-Film spielt der Song eine zentrale Rolle, was Strachwitz einen warmen Geldregen bescherte. Von den Verlagstantiemen konnte er in El Cerrito, Kalifornien, einem Nachbarort von San Francisco, ein Gebäude für seine winzige Firma kaufen. 


 Zu Blues, Gospel, Jazz und Zydeco kam Cajun, Bluegrass, Klezmer und Tex-Mex. Mit der Zeit füllte die ganze Vielfalt der amerikanischen Volksmusikstile den Arhoolie-Katalog. Doch Musik nur akustisch zu dokumentieren, war Strachwitz nicht genug. In den 70er Jahren hatte er 20 000 Dollar erspart, um mit dem Filmemacher Les Blank einen Dokumentarfilm über die Musik im Grenzland zwischen Mexiko und den USA zu drehen. “Die erste Reise führte nach Texas, wo wir Lydia Mendoza ausfindig machen konnte, die große Tejano-Sängerin,“ erinnert sich Strachwitz. “Die zweite Reise war noch ergiebiger. Wir haben viele Musiker getroffen, die wir filmen konnten. Alle waren ungeheuer freundlich, haben uns zu Parties eingeladen. Wir wollten unbedingt die Gruppe Los Alegres De Teran dabei haben, die damals richtige Superstars waren. Durch einen Mittelsmann schaffte wir es, mit Eugenio Abrego, dem Akkordeonspieler, in Verbindung zu treten. Er war überhaupt nicht abweisend, sondern freute sich, dass endlich einmal ein paar Gringos sich für seine Musik interessierten.”
 
Dann machte in den 90er Jahren das Schlagwort “Weltmusik” die Runde, als ethnische Stile aus Afrika, Lateinamerika, Asien und der Karibik im Westen immer populärer wurden. Der neue Trend war Wasser auf die Mühlen von Chris Strachwitz, der durch die Beschäftigung mit der ethnischen Musik Amerikas bereits tief in die sogenannte “Weltmusik” eingedrungen war und darüber hinaus Aufnahmen mit Musikern aus Hawaii, Kuba, Afghanistan, Belize, Mexiko oder Venezuela vorweisen konnte.
 
Eine Exkursion führte nach Peru. Der Folkmusiker und Fotograf John Cohen lag Strachwitz in den Ohren, weil er dort ein fantastisches Plattenlabel entdeckt hatte: “Discos Smith”. Die Firma hatte seit den 60er Jahren exzellente Aufnahmen traditioneller Huayno-Musik veröffentlicht, ein Stil, der aus den Bergen in die Städte gekommen war. 
 
Die Bandbreite der Huayno-Klänge war enorm und reichte von Blaskapellen bis indianischen Gesängen. “Eigentlich wollten wir nur für ein paar Stücke die Linzenzen erwerben, was sich angesichts des Bergs an Tonbändern, die sich in dem kleinen Büro stapelten, als undurchführbar erwies. Wie hätten wir die alle durchhören sollen?” erinnert sich Strachwitz. ”Wir fragten den Labelchef, was es kosten würde, die ganzen 800 Bändern zu kaufen. Wir wurden handelseinig, haben die Bänder in eine große Kiste verpackt und nach Amerika geschafft.” Arhoolie hat dann die besten Aufnahmen auf mehreren CDs veröffentlicht.

Chris Strachwitz über das Sammeln (Youtube)
 
Über die Jahre hatte Strachwitz’ Schellackplatten-Sammlung solche Ausmaße angenommen, dass er für die Wiederveröffentlichung alter Schellackaufnahmen nicht selten auf Schätze seiner eigenen Sammlung zurückgreifen konnte. Ob für eine Doppel-CD mit früher kroatischer Tamburitza-Musik oder ein Album mit historischen puerto-ricanischen Aufnahmen, Strachwitz hatte genug interessantes Material im Kontor.
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Zur Musik kommt die Information. Jede Veröffentlichung von Arhoolie wird von einem dicken Booklet begleitet, das Erklärungen und diskographischer Details über den jeweiligen Stil und die Musiker enthält und den kulturellen und historischen Background beleuchtet. Mit diesem Konzept knüpfte Strachwitz an die Tradition seines Vorbilds, des legendären Folkways Labels an, das der Information fast soviel Gewicht beimaß wie der Musik. 
 
Inzwischen 81jährig hat Strachwitz in den letzten Jahren etwas Tempo weggenommen. Dennoch kommt er noch jeden Nachmittag ins Büro. Eine Stiftung, die Arhoolie Foundation, kümmert sich inzwischen um seine riesige Schellacksammlung und unterstützt Forschungs- und Filmprojekte über regionale Musikstile. Gerade hat die Arhoolie Foundation mit den Autoren Augustin Gurza und Jonathan Clark ein umfassendes Werk über "Strachwitz Frontera Collection of Mexican and Mexican American Recordings" herausgegeben, in dem man alles, aber auch wirklich alles, über die sogenannte Tex-Mex Musik am Rio Grande findet. 

Außerdem gibt Arhoolie immer noch ein paar Alben pro Jahr heraus. Doch das Geschäft wird schwieriger. Der Niedergang der Musikindustrie setzt auch Arhoolie zu. “Kann ein kleines Label wie Arhoolie in einer Zeit überleben, die durch eine totale Überflutung mit Musik aus der ganzen Welt gekennzeichnet ist?” fragt der Labelchef und ist sich der Antwort nicht sicher. Er denkt an Amazon, Youtube, Spotify und illegale Downloads, die Entwertung konventioneller Tonträger generell. Schade, dass es für Arhoolie nicht mehr zum Feiern gibt. Gründe gäbe es genug!
 
Information: www.arhoolie.com
 
Auswahldiskographie:
 
Lightnin Hopkins: The Best of Lightnin Hopkins (Arhoolie CD 499)
Mance Lipscomb: Texas Country Blues  (Arhoolie CD 9026)
Clifton Chenier: Louisiana Blues and Zydeco (Arhoolie CD 9053)
Lydia Mendoza: The Best of Lydia Mendoza (Arhoolie CD 536)
Los Alegres De Teran: Original Recordings 1952-1954  (Arhoolie CD 9048)
Tamburitza! Early Recordings (Arhoolie CD 7051)
Lamento Borincano - Puerto Rican Lament (Arhoolie CD 7037)
Huayno Music Of Peru - Vol. 1 (Arhoolie CD 320)
Huayno Music Of Peru - Vol. 2 (Arhoolie CD 338) 
 

SCHEIBENGERICHT 14: Samuel Leipold nimmt den Faden von Jimmy Giuffre auf

Scheibengericht 14:

Gedämpfter Jazz

Samuel Leipold, Jürg Bucher, Luca Lo Bianco: Ostro

(ezz-thetics 1042)

 

4 von 5 Sterne


 

cw. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahren schlug The Jimmy Giuffre 3 im Jazz einen neuen Ton an, der amerikanischen Cool Jazz von der Westküste mit Elementen der Moderne europäischer Klassik verband. Giuffres kleines Ensemble, besetzt mit Klarinette bzw. Tenor- oder Baritonsaxophon, Gitarre und Kontrabaß, klang intim, atmosphärisch, ja manchmal fast traumversunken: Klänge wie hinter Milchglas.

 

An diese Vision knüpft der Schweizer Gitarrist Samuel Leipold mit seinen zwei Kollegen – Jürg Bucher, Klarinette und Luca Lo Bianco, Baß – an, wobei die drei Giuffres Konzept für die Gegenwart fruchtbar machen, ohne es einfach zu übernehmen oder zu kopieren. 

 

Neun Kompositionen enthält ihr Album – „Ostro“ betitelt –, von denen sechs vom Bandleader stammen, eine vom Bassisten Luca Lo Bianco, während jeweils ein Stück Bearbeitungen von Kompositionen von Jimmy Giuffre und Igor Stravinsky sind.

 

Was sofort auffällt, ist der kammermusikalische Ton: Nie klingt die Musik aufbrausend, schon gar nicht brachial, vielmehr bestimmt ein lyrisch-verhaltener Gruppenklang das Geschehen, der auf Ebenmäßigkeit abziehlt und oft eine melancholisch-verhangene Stimmung verbreitet. Darüber hinaus ist er voller Poesie.


Leipold, Bucher, Bianco: Schaffhauser JazzFestival 2022 (youtube)

 

Nicht selten beginnen die Stücke mit einer atmosphärischen Einstimmung eines einzelnen Instruments, die aus Flageoletts oder einem flirrenden Bordun von der Gitarre bzw. tiefen Streichtönen vom Baß bestehen kann, bevor die Klarinette mit einer geschwungenen Melodie die Führung übernimmt, um alsbald in eine wohldosierte Improvisation überzugehen, die entweder von der Gitarre oder der Klarinette gestaltet wird, während der Baß üblicherweise die harmonischen Eckpunkte markiert. 

 

Die Improvisationen ufern nie aus, sondern sind genau abgesteckt und präzise in die jeweilige Komposition eingepasst. Dabei geht es nicht um Virtuosität oder technische Bravourleistungen, sondern vielmehr darum, die Stimmung der jeweiligen Komposition zu treffen und noch deutlicher herauszuarbeiten.

 

In diesem organischen Wechselspiel von ausnotierten Sequenzen und fantasiegeleitetem Stegreifspiel entsteht eine kontrapunktische Verschlungenheit, die mit großer Disziplin durchgehalten wird, wobei jeder der drei Musiker genau die ihm zugeteilte Rolle spielt, sich manchmal in den Vordergrund schiebt, um sogleich wieder ins zweite Glied zurückzutreten. In ihren besten Momenten erreicht die Musik von Leipold, Bucher und Bianco eine Art Schwebezustand, der schon beinahe transzendent wirkt. 

 

Tuesday 2 May 2023

RADIO RADIO RADIO: Studiomusiker

SWR2 MUSIKPASSAGEN; DONNERSTAG, 11. Mai 2023 (20:05-21:00)

Studiomusiker - Klänge für jede Gelegenheit

von Christoph Wagner

Ray Russell 1970 im Studio


Studiomusiker sind die Schattenarbeiter des Musikbetriebs: Während die Stars im Rampenlicht stehen, werden sie oft nicht einmal auf den Plattencovers erwähnt. Dabei leisten sie ganze Arbeit, sind die eigentlichen Könner und Virtuosen, die jeden Stil beherrschen müssen, um bei einer Session jeder Zeit ein passendes Arrangement aus dem Ärmel zu schütteln. Mit Ray Russell (UK) und Dean Parks (USA), die von Tina Turner über Michael Jackson bis zu Bob Dylan mit den Größten im Popgeschäft gearbeitet haben, schaut Christoph Wagner auf die vergessenen Dienstleister der Musikindustrie und würdigt die Alleskönner im Hintergrund. 



Im Internet zum Nachhören: 


Dean Parks im Studio