Saturday 24 December 2022

SCHEIBENGERICHT 11: Excavated Shellac – An Alternate History of the World's Music

Eine Welt- und Zeitreise in Schellack auf den Spuren traditioneller Musikstile 




 

cw. Die Erfindung der Schellackplatte und des Grammophons Ende des 19. Jahrhunderts bildete den Startschuss für einen Wettlauf um die Märkte der Welt. Da die jungen Unternehmen der neuen Phonobranche sowohl Schallplatten als auch Abspielgeräte herstellten und verkaufen wollten, entstand innerhalb kürzester Zeit ein enormer Bedarf an Musik aus allen Teilen der Welt, die in Schellack gepresst als Kaufanreiz für Grammophone dienten. Die Hersteller hatten die Erfahrung gemacht, dass die Plattenspieler mit Schallhorn nur dann gekauft würden, wenn ein attraktives Schallplattenangebot bestand mit Musikstilen, die vor Ort populär waren. 

 

Diese Einsicht setzte eine Schar von Aufnahmeteams in Bewegung, die nun rund um den Globus reisten, um mit lokalen Musikern Einspielungen zu machen. Die Wachsplatten, auf denen die Musik „eingeritzt“ wurde, ließen nur Stücke mit einer Länge von ein bisschen mehr als drei Minuten zu, was vielen Musikstilen Beschränkungen auferlegte.

 

Die “recording trips”, ob in Afrika, Asien, der Karibik oder Lateinamerika, gingen selten reibungslos vonstatten. Fremde Sprachen und Gebräuche, andere Mentalitäten und Gepflogenheiten, extremes Klima, politische Wirren sowie Transportprobleme konnten die Aufnahmeexkursionen zu einem Alptraum werden lassen. Starke Nerven waren gefragt. 


Bildmaterial: Sammlung C. Wagner





Neben der englischen Grammophone Company, aus der später His Master Voice (HMV) wurde, den amerikanischen Labels Victor und Columbia war die deutsche Firma Odeon aus Berlin einer der Hauptakteure auf dem neuen internationalen Phonomarkt. 1906 enthielt allein der Odeon-Katalog bereits 11000 Titel mit außereuropäischer Musik, was eine Ahnung von der explodierenden neuen Branche gibt.

 

Das amerikanische Schallplattenlabel Dust to Digital, hat sich seit seiner Gründung 1999 mit mustergültigen Wiederveröffentlichung historischer „Weltmusik“ einen exzellenten Ruf erworben, woran die aktuelle Veröffentlichung nahtlos anknüpft.

 

Die aus vier CDs bestehende Box ist unter dem Titel „Excavated Shellac“ erschienen, was ausgegrabenes oder geborgenes Schellack bedeutet. Sie enthält – bunt gemischt – hundert Titel aus aller Welt, aufgenommen zwischen 1907 und 1967, dem Zeitpunkt, als Schellackplatten nur noch in ein paar periphären Regionen in Gebrauch waren. 



Jonathan Ward heisst der Sammler, aus dessen Kollektion die raren Schellacks stammen und der für die exzellente Zusammenstellung und die detaillierten Kommentare verantwortlich zeichnet. Eine bewundernswerte Fleißarbeit von höchster Qualität! Unter den einhundert Aufnahmen finden sich etliche Perlen, während man sich für ein paar Länder, etwa die Schweiz und Deutschland, musikalisch aufregendere Titel gewünscht hätte.


Die 4-CD-Box wird ergänzt von einem 185 Seiten dicken Booklet, das mit Plattenhüllen, Fotos und Plakaten wunderbare illustriert ist und gleichzeitig zu jedem Titel so viel Information liefert, wie man sich nur wünschen kann. Das verwandelt die Produktionen in eine musikalische Welt- und Zeitreise, eine spannende Abenteuerfahrt in abseits gelegene musikalische Gegenden und Regionen längst vergangener Epochen.  


Excavated Shellac – An Alternate History of the World's Music (Dust To Digital)

Thursday 22 December 2022

Simon Steiner: Die transkulturelle Reise einer jüdischen Melodie

 Gastautor Simon Steiner

"Ich will eine Prinzessin"

 Die transkulturelle Reise einer jüdischen Melodie 

Musik ist immer grenzüberschreitend und verbindet. Das Rembetiko "Ich will eine Prinzessin" ist ein Beispiel für die Koexistenz unterschiedlicher Interpretationen in verschiedenen Ländern, in die sich der Song einbürgerte. 

 Schellack des Rembetiko Hits (Kounadis-Archive, alle Rechte)


Die wunderschöne Melodie des Rembetiko - Hits "Ich will eine Prinzessin", von Panagiotis Tountas, Piräus, 1936, wurde bereits 1910 von der jüdischen Klezmer-Band Stupels Vilna Orchestra in Vilna, Litauen, als Schlussteil des "Karaite Medley" aufgenommen, später auf dem Balkan und dem östlichen Mittelmeerraum, den USA und wieder in Griechenland. Der Musikwissenschaftler und Pianist Nikos Ordoulidis vom Eastern Piano Project verfolgte die Reise dieser wandernden Melodie anhand einer historischen Diskographie und konnte gemeinsame Einflüsse und originelle Veränderungen nachweisen.

Panagiots Tountas (Kounadis-Archiv, alle Rechte)


 Die Reise ist unendlich, denn Melodien sind grenzenlos. Es ist selbstverständlich, dass in Zukunft noch weitere Aufnahmen zu unserem Thema auftauchen werden. Wer sich in die Arrangements hinein fühlt, hört die Besonderheiten und Gemeinsamkeiten der Melodie und versteht, warum sie Musiker aus Litauen, Serbien, der Ukraine, der Slowakei, Griechenland, Ungarn und Rumänien ermutigen, die Melodie in ihr lokales Repertoire aufzunehmen und zu verwerten. Auch der Gast-Autor dieser Zeilen hat sich mit Alain Domagala aus Marseille und dem Stuttgarter Stromraum-Tandem "eo" an die Prinzessin gewagt.

Mehr zum Thema: 

link zu diablog, in deutscher und griechischer Sprache:

https://diablog.eu/kuenste/musik/ich-will-eine-prinzessin-die-reise/

link zur Griechenland Zeitung:

https://www.griechenland.net/nachrichten/kultur/32257-%E2%80%9Eich-will-eine-prinzessin%E2%80%9C-eine-spurensuche

Sunday 11 December 2022

SCHEIBENGERICHT 10: Bernd Konrad & Ilja Ruf unterwegs nach 'Utopia'

Perfekte musikalische Partnerschaft

 

Ein neues Album von Jazzaltmeister Bernd Konrad gibt Einblicke ein sein ungebremstes kreatives Schaffen

 

Ilja Ruf und Bernd Konrad (Foto: Milena Winter)

 

cw. Bernd Konrad ist der bekanneste Jazzmusiker, den Konstanz hervorgebracht hat. Dass der pensionierte Jazzprofessor noch lange nicht zum alten Eisen gehört, beweist er gerade mit einem neuen Album namens „Utopia“ (Label: GP Arts), das er mit einem jungen „shooting star“ der aktuellen Szene aufgenommen hat: dem 21-jährigen Pianisten Ilja Ruf. Die Einspielung bietet aufregenden Jazz der modernen Art und spannt den Bogen zwischen lyrisch-verträumt bis aufbrausend-wild.

 

1947 in Schleswig-Holstein geboren, kommt Bernd Konrad mit fünf Jahren nach Südwestdeutschland, wo sich die Familie 1952 in Konstanz niederläßt. Von seinem Onkel erhält er ersten Klarinetten- und Saxofonunterricht. Als Teenager tritt sein musikalisches Talent deutlich hervor. Im Konstanzer Jazzclub „Seekuh“ hört er internationale Solisten und eifert ihnen nach. 

 

Mit 21 Jahren erhält Konrad den Jugend-Solistenpreis des Bodensee-Symphonie-Orchesters. Er beginnt ein Klarinettenstudium an der Musikhochschule in Stuttgart, dem ein Kompositionsstudium folgt. Ab 1970 gewinnt er mit eigenen Bandprojekten etwa der „Jazzcrew Stuttgart“ mehr und mehr Profil. Eine fruchtbare Zusammenarbeit entwickelt sich Ende der 1970er Jahre mit dem Saxofonisten Hans Koller. 

 

Später ist Konrad in das Bandprojekt „Südpool“ involviert, wobei er auch maßgeblich zur Gründung des Jugendjazzorchesters Baden-Württemberg beiträgt. Von 1986 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2012 war der Saxofonist Leiter der Jazzabteilung der Stuttgarter Musikhochschule. 2001 wird er für sein Lebenswerk  mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Seit seiner Pensionierung lebt Bernd Konrad wieder in Konstanz.

 

Die Einspielung mit Ilja Ruf ist das Ergebnis einer spontanen Session, bei der die spontane Improvisation im Mittelpunkt steht. Dabei greifen die beiden weit aus und ziehen alle Register ihres Könnens. Da wird im Innenraum des Klaviers mit Verfremdungseffekten gearbeitet, während Bernd Konrad sein Saxofon überbläst und den Atem augenblicklich in Musik verwandelt. Manchmal geht bei Konrads Saxofonspiel Jazzgott John Coltrane durch den Raum, während Ruf Bach’sche Barockkontrapunktik anklingen läßt oder sich in romantischem Tastenspiel ergeht. In diesem aufregenden Duo gehen Jugend und Alter eine perfekte musikalische Partnerschaft ein, wobei sich der Jazz in eine Brücke zwischen den Generationen verwandelt. 


Ilja Ruf und Bernd Konrad (Youtube)


 

Monday 5 December 2022

Charlie Watts Biographie

 Freie Sicht auf den Drummer

 

Eine Biographie zeichnet den Rolling Stones-Schlagzeuger Charlie Watts (1941 - 2021) als eigenwilligen Musiker, der durch Zufall zum Superstar wurde

 


 

cw. Ob Ringo Starr der beste Drummer der Welt sei, wurde John Lennon einst gefragt. „Er ist nicht einmal der beste Drummer der Beatles“, gab er schnoddrig zur Antwort. Charlie Watts, dem Schlagzeuger der Rolling Stones, wäre ein solcher Affront nicht widerfahren, genossen seine Trommelkünste doch bei seinen Bandkollegen höchsten Respekt. Watts galt als Idealbesetzung für die Stones. Selbstverständlich war er nicht der beste Schlagzeuger der Welt, so wenig wie Mick Jagger der beste Sänger oder Keith Richards der beste Gitarrist war. Doch darauf kam es nicht an. Von größerer Relevanz war, dass Charlie Watts‘ Schlagzeugspiel Charakter besaß. Es strahlte Persönlichkeit und Individualität aus, ebenso wie Mick Jaggers Gesang und Keith Richards‘ Gitarrenspiel. Und genau diese Mischung aus Eigenheiten machte den unverwechselbaren Stil der Rolling Stones aus. Dazu trug Charlie Watts einen beträchtlichen Anteil bei. 

 

Watts war ein Jazzdrummer, der sich in eine Rockband verirrt hatte. Schon in jungen Jahren, als er auf einer kleinen Marschtrommel, die er aus einem alten Banjo gebastelt hatte, zur Musik aus dem Radio trommelte, hießen seine Idole nicht Elvis Presley oder Bill Haley, sondern Charlie Parker und Gerry Mulligan. Watts eiferten deren Drummern nach, ob Max Roach oder Chico Hamilton. Mit vierzehn schenkten ihm seine Eltern ein Schlagzeug zu Weihnachten. Wenn der Teenager nun samstagabends zum Auftritt einer Jazzband ging, plazierte er sich direkt am Bühnenrand mit freier Sicht auf den Drummer, um ihm genau auf die Finger zu schauen. Auf diese Art brachte sich „Charlie Boy“ das Trommelspiel bei.


Charlie Watts mit der Bluesband von Alexis Korner



 

Nach ersten öffentlichen Auftritten mit traditionellen Jazzformationen trat Watts der Gruppe von Alexis Korner bei, die als Karrieresprungbrett für viele junge Blues-Musiker fungierte. Durch Korner lernte er Brian Jones, Mick Jagger und Keith Richards kennen, die 1962 versuchten, ihn in ihre Band zu holen. Doch Watts, der nach einem Designstudium als Grafiker arbeitete, zögerte. Er wollte den Rolling Stones nur beitreten, wenn sie ihm mindestens zwei regelmäßige Auftritte pro Woche (und damit ein einigermaßen gesichertes Einkommen) garantieren konnten. Erst als es besser lief, gab Watts seinen Brotberuf auf und ließ sich auf das Abenteuer einer Profimusikerkarriere ein.

 

Obwohl Watts lieber Jazz gespielt hätte, entwickelte er rasch ein tieferes Verständnis für die Rhythmen von Rock ‘n‘ Roll und Rhythm & Blues. Er ersetzte den Swing des Jazz durch einen schnörkellosen Backbeat, der den Songs Rückgrat und Klarheit verlieh. Sein „Timing“ kam dem eines Uhrwerks gleich. In relaxter Manier spielte Watts immer leicht hinter dem Beat, wobei er sich an den Drummern der schwarzen Soulmusik orientierte, denen ein prägnanter Groove immer wichtiger war als technische Raffinesse. Watts brachten den schwarzen „Funk“ in die weiße Rockmusik. Er entwickelte eine Spieltechnik, die den Beat auf der Snare-Drum nicht wie üblich mit einem Schlag auf der Hi-hat verdoppelte, wodurch der Akzent deutlicher hervortrat. 




 

Das Rockstar-Leben war seine Sache nicht. Watts hasste Tourneen und nahm auch nur selten an den berüchtigten After-Show-Exzessen der Stones teil. Immer elegant gekleidet mit makellosen Manieren war er ein Gentleman alter Schule. Ganz „Family Man“ war er zeitlebens mit derselben Frau verheiratet, die er bereits vor seiner Zeit mit den Stones kennengelernt hatte. Bis auf eine düstere Periode in den 1980ern ließ der Vegetarier seine Finger von Drogen.

 

Um Auszeiten der Stones mit musikalischen Aktivitäten zu füllen, hob er Ende der 1980er Jahre ein Jazzquintett und eine Bigband aus der Taufe. Mit ihnen wollte er noch einmal in die Atmosphäre der Jazzclubs seiner Jugend eintauchen. Als er mit seiner Combo im „Blue Note“ in New York auftrat, ging ein lebenslanger Wunschtraum in Erfüllung. 


Charlie Watts mit Alexis Korner, Jack Bruce und Ian Stewart auf dem North Sea Jazz Festival 1979




 

Eine Sucht wurde Watts nie los. Er sammelte historische Drumkits, nicht irgendwelche, sondern die seiner Jazzidole, ob von Kenny Clarke, Max Roach, Joe Morello oder Sonny Greer, dem langjährigen Swingmeister von Duke Ellington. Über hundert hat er für viel Geld bei Auktionen erstanden, mit denen er gerne ein Schlagzeug-Museum eingerichtet hätte. Gelegentlich zog sich Watts in die langen Gänge seines Lagerraums zurück, wo die Trommeln in ihren Originalboxen in den Regalen lagerten, um Zwiesprache mit den Rhythmusgöttern der Vergangenheit zu halten.




 

Der englische Musikjournalist Paul Sexton zeichnet die bewegte Biographie des Drummers, der durch Zufall zum Superstar wurde, detailgenau nach, die sich allerdings durch die vielen Lobpreisungen von Freunden und Musikerkollegen passagenweise wie eine Hagiographie (=Heiligenerzählung) liest. Ein kritischeres Lektorat und eine gestraffte Edition hätte dem Buch gutgetan. 

 

Paul Sexton: Charlie’s Good Tonight. Die autorisierte Biographie von Charlie Watts. Mit einem Vorwort von Mick Jagger und Keith Richards384 Seiten mit zahlreichen Fotos in Schwarzweiß. Ullstein Paperback;

 

 

Thursday 1 December 2022

Nachruf auf Fredy Studer

Singende Trommeln

 

Zum Tod des Schweizer Schlagzeugers Fredy Studer und seinem Vermächtnis: einem neuen Album von OM zum 50. Bandjubiläum


Phall Fatale mit Bandleader Fredy Studer (links)

 



 

cw. Dass Schlagzeuger Gitarristen als Vorbild wählen, ist ziemlich außergewöhnlich: Doch für den Drummer Fredy Studer war Jimi Hendrix Idol und Lehrmeister. Der Schweizer sah in dem schwarzen Gitarristen einen Außerirdischen, der die Musik in andere Umlaufbahnen schoß und ihm deshalb lebenslang als Leitstern diente. Denn darauf zielte auch der Luzerner Trommler ab: die Grenzen der Musik hinauszuschieben. Dieser Vision folgte er mit viel Energie und Drive in unterschiedlichen Formationen, bei spontanen improvisatorischen Begegnungen und mit seinen eigenen Gruppen – dabei immer Hendrix‘ Gitarre im Ohr.

 

1967 war Studer noch keine zwanzig Jahre alt, da bebte die musikalische Welt. Rebellion lag in der Luft. Konzerte der Schweizer Sauterelles oder der Kinks aus England weckten in dem Teenager das Bedürfnis, selber Musik zu machen. Da er schon ein paar Jahre Basler Trommeln gelernt hatte, lag Schlagzeug nahe. Auf einer Reise nach London hörte er im Marquee Club Jimi Hendrix – ein Erweckungserlebnis! Studer eiferte nun Hendrix-Drummer Mitch Mitchell nach, durch den er auf Jazzdrummer Elvin Jones aufmerksam wurde und so bei John Coltrane landete. Durch die Schweizer Pianistin Irène Schweizer kam er zur freien Improvisation. Studer hatte seine Bestimmung gefunden: Mit Elan erkundete er von nun an das magischen Dreieck zwischen Rock, modernem Jazz und freiem Spiel. 

 

Als Nachfolger von Pierre Favre bei der Cymbal-Firma Paiste in Nottwil kam Studer mit vielen berühmten Drummerkollegen in Kontakt. Er fachsimpelte mit John Bonham von Led Zeppelin über den Klang verschiedener Gongs und testete mit Carl Palmer (Emerson Lake & Palmer) unterschiedliche Ride-, Splash- und Crash-Becken. Studer war im Trommelhimmel. 

 

Im Wiebelfetzer Workshop spielte er zum ersten Mal mit internationalen Jazzgrößen wie John Tchicai zusammen. Mit OM, 1972 gegründet, gelang dann in den 1970er Jahren der Durchbruch. Die aufregende Musik des Quartetts zwischen elektrischem Rock und ekstatischem Jazz machte in ganz Europa Furore, was Studer in die erste Liga der internationalen Drummer katapultierte. Bei manchen Konzerten war als Stargast der brasilianische Perkussionist Dom Um Romão von Weather Report dabei. Nach zehn Jahren war die kreative Energie aufgebraucht und OM fiel in einen langen Dornröschenschlaf.

 

Mit extremer “Hardcore Chambermusic” verschob Studer im Trio mit Hans Koch (Saxofon, Klarinetten) und Martin Schütz (Cello) abermals musikalische Barrieren. Zwischen ohrenbetäubendem Lärm und andächtiger Stille wogte die Musik. Mit seiner eigenen Gruppe Phall Fatale kehrte er in den letzten Jahren zu Groove und Songformat zurück. Der soulige Gesang der beiden Sängerinnen wurde von verschlungenen Linien der beiden Bassisten umspielt, während der Bandleader für die komplexen Rhythmuspattern sorgte. Bewußt suchte Studer den musikalischen Anschluß an die junge Generation mit einem abgeklärten, coolen Stilmix, der aus den Katakomben der Clubkultur zu kommen schien. Der Drummer behielt den Finger am Puls der Zeit. Vor zehn Jahren erweckte er mit seinen drei Bandkollegen OM zu neuem Leben, nicht um nostalgisch die siebziger Jahre aufzuwärmen, sondern Musik auf der Höhe der Zeit zu machen.


Koch-Schütz-Studer mit Shelley Hirsch in New York (Foto: Promo)



 

2018 legte Studer mit „Now’s The Time“ ein aufregendes Soloalbum vor, für das er sich noch einmal mächtig ins Zeug legte. Die Einspielung war die in vierzehn Kompositionen geronnene Essenz eines bewegten Trommlerlebens, mit der er demonstrierte, was auf dem Schlagzeug alles möglich ist! 

 

Im März dieses Jahres ging OM ins Studio von Thomas Gabriel in Stalden im Kanton Obwalden, um pünktlich zum 50jährigen Gründungsjubiläum ein neues Album aufzunehmen. Unter der Regie des prominenten Produzenten Roli Mosimann (u.a. The Young Gods, Faith No More) entstand dabei in einer Woche eine bemerkenswerte Platte, die in vielen Farben schimmert, ganz im Hier und Jetzt steht und von Hardcore-Rock bis zu elegischen Klangerkundungen reicht. „ElectroAcoustiCore“ lautet die Zauberformel. 


Fredy Studer Soloauftritt 2017 auf dem Jazzfestival Schaffhausen (Youtube)




Studer steuerte zu der Einspielung eine Komposition bei, die sich wie die Stücke seines Soloalbums aus einem speziellen Klangphänomen heraus entwickelt und kaum hörbar beginnt. Nur ganz allmählich formen sich die piepsenden Pfeiftönen und Zirpgeräuschen zu einem steten Beat, der mehr und mehr anschwillt. Die Gitarre steigt mit schillernden Akkorden ein, das Saxofon bläst Spalttöne, während Studer seine Metallbecken in Stellung bringt. Dann reißt die Musik plötzlich ganz unvermittelt ab und versinkt in einer unheimlichen Stille, die nur zaghaft wieder von Klängen okkupiert wird. Hören wir zerhackstückelte Radarmeldungen? Kriegslärm in der Ferne? „Im Unterholz von Kiew“ hat Studer sein Stück genannt. So politisch kann Jazz sein!

 

Im Herbst stand mit OM eine mehrwöchige Tournee im Terminkalender, an der Studer nicht mehr teilnehmen konnte. Er verstarb am 22. August im Alter von 74 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit. Gerry Hemingway wird für ihn auf dem Schlagzeugstuhl sitzen.

 

Neuerscheinung:

OM – 50 (Intakt)


Hörprobe: