Sunday, 2 January 2022

Geoff Muldaur – Folkpionier mit Hang zur Klassik

Einmal Endstation und zurück

 

Er trat mit den Doors auf, und Janis Joplin spielte bei ihm im Vorprogramm – jetzt legt Geoff Muldaur ein neues Album vor

 

cw. Anfang der 1980er Jahre war Endstation: Geoff Muldaur stieg aus dem Popgeschäft aus. Er zog sich auf die kleine Insel Martha’s Vineyard vor der amerikanischen Ostküste zurück, rührte keinen Alkohol mehr an und ging stattdessen fischen und jagen. „Wenn ich mit meiner damaligen Lebensweise weitergemacht hätte, wäre es schlimm ausgegangen,“ sagt der 78jährige heute. 1984 zog er nach Detroit, nahm einen Job in der Autoindustrie an und programmierte von nun an Software für die Stahlproduktion. 

 

Bei seinem Abgang war Muldaur bereits 20 Jahre als Musikprofi im Geschäft. 1962 hatte er als 19jähriger mit seinem Kumpel Jim Kweskin in Boston die Kweskin Jug Band gegründet. Ein kometenhafter Aufstieg folgte: Die Gruppe trat mit Jim Morrison und den Doors auf, während bei einem anderen Konzert Janis Joplin im Vorprogramm spielte. Bei Festivals lernte die Band etliche Bluesveteranen kennen, von denen sie Lieder übernahm. „Die alten, schwarzen Bluessänger gingen bei mir ein und aus, wenn sie zu Auftritten in Boston waren,“ erinnert sich Muldaur. „Der Sänger Son House saß in meiner Küche und erläuterte, wie man illegalen Schnaps brennt.“


Geoff Muldaur (dritter von links) mit der Kweskin Jug Band


1969 geriet die Kweskin Jug Band in eine Schaffenskrise und löste sich auf. Ihr Manager Albert Grossman, der auch Bob Dylan vertrat und einer der mächtigsten Männer im Popgeschäft war, besorgte Muldaur ein Haus in der Ortschaft Woodstock, zwei Autostunden von New York entfernt, wo viele der damaligen Popstars lebten. Bob Dylan und The Band waren nur die bekanntesten von ihnen, auch Van Morrison und Jimi Hendrix wohnten zeitweise dort. „Bei Parties waren sie alle da und es ging ziemlich ausgelassen zu,“ schmunzelt Muldaur. 

 

Besonders gut verstand er sich mit dem Harmonikastar Paul Butterfield, und bald hoben die beiden die Bluesband Better Days aus der Taufe. „Wir reisten im Flugzeug zu Auftritten. Im Spiel waren jede Menge Alkohol und Drogen – der ganze Rockstar-Wahnsinn,“ so Muldaur. Die Exzesse ruinierten seine Ehe mit der Sängerin Maria Muldaur. Die Fahrt in den Untergang nahm Tempo auf, bis zu jenem Tag als er voll auf die Bremse trat und den Notausgang wählte.

 

Nach ein paar Jahren Einsiedlerdasein zog Muldaur nach Detroit, um als Software-Entwickler zu arbeiten: morgens mit Anzug und Krawatte ins Büro, abends nach Hause zur Familie. Musik spielte in seinem Alltag nur noch eine Nebenrolle. 




1996 schaute ein alter Kumpel vorbei. Gitarrist Bob Neuwirth war in Detroit, um mit der Rocksängerin Patti Smith Plattenaufnahmen zu machen. Außerdem hoffte er Muldaur für eine gemeinsame Tournee zu gewinnen. „Eigentlich wollte ich ablehnen, aber dann stimmte ich doch zu!“ Er hängte seinen hochbezahlten Job an den Nagel und stürzte sich erneut ins turbulente Musikerleben, wobei er mehr und mehr Spaß am Arrangieren fand. Er tauchte in die klassische Musik ein und vertiefte sich in Partituren von Beethoven, Schubert und Strawinsky. Eine Idee reifte: Warum nicht alte Blues-, Hillbilly- oder Jazznummern mit frischen Arrangements zu neuem Leben erwecken? Sein Huldigungs-Album für den Jazztrompeter Bix Beiderbecke von 2003 war ein erster Schritt in diese Richtung, nun legt Muldaur mit „His Last Letter“ nach. 

 

Das Doppelalbum enthält frühe Blues- und Hillbilly-Songs sowie ein paar alte Jazznummern, dazu eine Komposition von Muldaur selbst. Lange hat der Perfektionist an der Platte gefeilt, immer wieder neue Arrangements ausprobiert und wieder verworfen, bis er schließlich das Ganze mit einem Dutzend Spitzenmusikern in Amsterdam einspielte. Jeder Titel sieht sich derart gekonnt ins Szene gesetzt, dass sich die traditionellen Songs in delikate, kammermusikalische Miniaturen verwandeln, bei denen die Folkinstrumente Banjo, Gitarre, Mundharmonika mit den Orchesterinstrumenten Cello, Klarinette, Fagott und Horn in wunderbarer Weise zusammenklingen. Für ein solch exquisites Klanggemälde haben sich zehn Jahre Arbeit wohl gelohnt.


Geoff Muldaur: His Last Letter (Moon River Music)  

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