Saturday, 27 June 2020

Jüdische Musik in der Bundesrepublik

Klezmer zwischen Rap und Rock

Das Klezmer-Revival der 1970er Jahre hat die jüdische Musik wieder auf die Tagesordnung gesetzt – auch in Deutschland gibt es heute eine lebendige Szene

Daniel Kahn & The Painted Bird (Foto: Promo)
                                                                                                                        

cw. Bis in die 1970er Jahren hinein wäre es gerechtfertigt gewesen, die Klezmermusik auf die Liste der vom Aussterben bedrohten Musikarten zu setzen. In Amerika verschwand sie mehr und mehr aus dem Milieu der „Landsmannschaft“, der Einwandererfamilien aus Osteuropa, die die jüdische Hochzeitsmusik einst aus Polen, Rußland, der Ukraine, der Bukowina oder Galizien in die USA gebracht hatten. Ihre Nachfahren streiften mehr und mehr ihre jüdische Identität ab mit der Absicht richtige Amerikaner zu werden. 

Dann brachte das Jahr 1976 die Wende. Eine junge Generation jüdischer Musiker in den USA begann, wieder nach der eigenen Identität zu suchen und den verschiedenen Traditionssträngen nachzuspüren. So unbedarft und naiv ihre Rekonstruktionen anfangs auch gewesen sein mögen, bildeten sie doch den Startschuß für eine Revivalbewegung, die sich rasch ausbreitete. Die „Klezmer Revitalisierung“, wie sie der Musiker und Klezmerhistoriker Walter Zev Feldman nennt, wurde in ein paar Jahrzehnte zu einem nahezu weltumspannenden Phänomen, wobei die Klezmermusik noch nie so vielfältig war wie heute.

Lange Zeit gab es nicht einmal einen Namen für die jüdische Tanzmusik aus Osteuropa, die vor allem bei Hochzeiten gespielt worden war, da Klezmer (Plural: Klezmorim) einfach nur das jiddische Wort für „Musiker“ war – keine Stilbezeichnung wie heute. Erst mit dem Revival ab Mitte der 1970er Jahre bürgerte sich der Terminus „Klezmer“ als Stilbegriff ein.

Im Klezmer-Revival kristallisierten sich zwei Hauptstränge heraus: Die eine Strömung steuerte zurück in die Vergangenheit, um die als archaisch empfundenen Klänge des 19. Jahrhunderts wieder zu neuem Leben zu erwecken, während die andere versuchte, mit Neuinterpretationen, Fusionen und avantgardistischen Experimenten die Klezmermusik auf die Höhe der Zeit zu bringen.

Auch in Deutschland, dem Land der Holocaust-Täter, hat sich seit den 1960er Jahre eine lebendige Szene entwickelt, die sich der jüdischen Musik angenommen hat. Das Label Bear Family Records hat sie in ihrer ganzen Breite und Vielfalt in einer eindrucksvollen CD-Serie mit dem Titel „Sol Sajn – Jiddische Musik in Deutschland und ihre Einflüsse (1953 – 2009)“ dokumentiert. 

Zuerst war es die Folkszene der Burg-Waldeck-Festivals gewesen, die das jiddische Lied entdeckte, was nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß. Dann kam in den 1980er Jahren die Klezmer-Musik aus Amerika in Mode, die von jungen Musikern aus der Bundesrepublik nachgeahmt wurde. Einer fiel aus der Reihe: Goira Feidman (Jahrgang 1936) war damals schon ein älterer Klezmer-Klarinettist gewesen, der ursprünglich aus Argentinien kam und einer Familie von Klezmermusikern entstammte, die einst im osteuropäischen Schtetl bei Festen und Feiern aufgetreten waren, bevor sie, um der Verfolgung zu entgehen, nach Südamerika flüchteten. Feidman feierte in Deutschland seine größten Erfolge und trat selbst mit Sinfonieorchestern auf. 
                                                                                   Daniel Kahn & The Painted Bird (Foto: Promo)
Ihm folgt heute eine junge Generation von Musikern aus der Bundesrepublik nach, die sich jedoch eher an zeitgenössischen Spielformen orientieren und Rock, Rap, Jazz und Weltmusik in ihre Klezmerklänge einbeziehen, wobei auch etliche nahmhafte amerikanische Musiker wie Alan Bern, Paul Brody und Daniel Kahn mittlerweile in der Bundesrepublik leben und die Szene bereichern. Sie haben Berlin und Weimar wieder zu Zentren jiddischer Musik gemacht. In der Goethestadt findet seit 2000 jedes Jahr eines der weltweit bedeutensten Festivals jüdischer Musik statt: der „Yiddish Summer“.   

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