Zauber des Orients
Ravi Shankar brachte die indische Musik in den Westen – eine neue Biographie beleuchtet sein bewegtes Leben
cw. Ravi Shankars Auftritte bei den ersten großen Popfestivals in Monterey 1967 und Woodstock 1969 setzte die indischen Musik auf die Landkarte des internationalen Musikbetriebs. Schon zuvor hatten die Beatles den Sitarvirtuosen hoffiert. George Harrison reiste extra nach Indien, um bei ihm Unterricht zu nehmen. Bereits 1965 nahmen die vier Pilzköpfe mit „Norwegian Wood” den ersten Titel mit Sitar auf – eine Premiere in der Popgeschichte! Über Nacht war das Saiteninstrument auf unzähligen Poptiteln zu hören.
Die sogenannte „Great Sitar Explosion” ereignete sich nicht über Nacht. Ravi Shankar hatte dafür Jahre hart gearbeitet. Seit den 1950er Jahre tourte er regelmäßig durch Europa und die USA.Mit Europa war Shankar schon bestens vertraut. Bereits in den 1930er Jahren war er mit der Tanzkompanie seines 20 Jahre älteren Bruders Uday Shankar regelmäßig in Europa unterwegs gewesen, wobei er auch öfters in der Deutschland auftrat. Neben den Tanzeinlagen half er bald auch im Musikensemble der Truppe aus. Die Sitar wurde sein bevorzugtes Instrument. Als er in Allauddin Khan einen geachteten Lehrmeister fand, begann er mit eiserner Diziplin acht bis zwölf Stunden täglich zu üben.
Bei Studioaufnahmen in Los Angeles hörte der junge Folkrocker David Crosby von den Byrds den Sitarvirtuosen und war derart überwältigt, dass er mit seiner Begeisterung die Beatles ansteckte. Als „Lehrer der Beatles“ stand Shankar plötzlich im Rampenlicht. Sein Auftritt beim Woodstock-Festival, auf Film festgehalten, machte ihn endgültig zum Superstar. Zu solchem Weltruhm hat es kein Musiker vom indischen Subkontinent mehr gebracht.
Foto: Manfred Rinderspacher
Shankar erweiterte die Bandbreite seiner musikalischen Aktivitäten. Er gründete Musikakademien, nahm Filmsoundtracks auf und schrieb Musik für Sitar und Sinfonieorchester. Doch die aufreibenden Tourneen, ein zerrüttetes Familienleben, dazu zahllose Liebschaften und etliche außereheliche Kinder zehrten an den Nerven und der Gesundheit. Eine Herzattacke erzwang eine Auszeit. Nach der Genesung fasste Shankar den Entschluß, von nun an kürzer zu treten.
Doch der innovative Impuls der indischen Musik im Westen verebbte zusehens. Wohl war Ravi Shankar weiterhin auf der internationalen Konzertszene präsent, doch Aufsehen erregte er damit nicht mehr. Der Erfolg seiner Töchter, der Popsängerin Norah Jones und der Weltmusikerin Anoushka Shankar, brachten ihn ein letztes Mal ins Rampenlicht.
Mit akribischer Detailversessenheit hat Oliver Craske das Leben des „Pandit“ auf über 650 Seiten nachgezeichnet. Was für den glühenden Shankar-Fan ein Plus sein dürfte, ist für den durchschnittlich Musikinteressierten zu viel des Guten. Man muss nicht über jede Tournee, die Shankar jemals unternahm, Bescheid wissen. Weniger wäre hier eindeutig mehr gewesen.
Buch:
Oliver Craske: Indian Sun – The Life and Music of Ravi Shankar. Hachette Books, New York 2020. 658 Seiten mit etlichen SW-Fotos. Preis: E 12.73 (Kindle) / E 18,47 (gebundenes Buch)
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