Sunday 10 February 2019

Stimmen Bayerns: MÜNCHEN

Zwischen Herzlichkeit und Größenwahn

Eine CD-Veröffentlichung spürt der Seele der bayerischen Landeshauptstadt München nach

Hans Söllner (Foto: Stefan Wiebel)

cw. Schon am Morgen war der Comics-Zeichner Robert Crumb bester Laune. München hatte es ihm angetan. „Weißwürste zum Frühstück  – wie gut ist das!“ schwärmte der Amerikaner, als er 2013 Stargast des Münchner „Comicfestivals“ war. Mit seiner Begeisterung für München ist Crumb sicher kein Einzelfall. Ob Touristen, Geschäftsreisende, Zugezogene oder Urmünchner – viele sind der Meinung, dass in der bayerischen Landeshauptstadt die Balance zwischen Weltläufigkeit und Bodenständigkeit, zwischen Gemütlichkeit und Betriebsamkeit noch im Lot ist. Herzlichkeit und Größenwahn halten sich die Waage. Trotz akuter Wohnungsnot, exorbitanter Mietpreisen und krassen sozialen Gegensätzen leben die meisten Münchner gerne in ihrer Stadt.

Das Münchner Trikont-Label hat nun seiner Heimatstadt ein Album gewidmet und in der Reihe „Stimmen Bayerns“ herausgegeben. Unter diesem Motto hat die Schallplattenfirma in den letzten Jahren bereits mehr als ein halbes Dutzend CDs mit Titeln wie „Der Tod“, „Die Liebe“ , „Der Rausch“, „Der Irrsinn“ oder „Die Freiheit“ veröffentlicht, auf denen eine Vielzahl von bayerischen Musikern, Literaten und Kabarettisten in Songs, Sketchen, Couplets, Gedichten und Soundcollagen den jeweiligen Inhalt umkreisten und zu erhellen versuchten.

Nun also München! Die älteste Aufnahme mit dem Titel „Der Zufall“ stammt aus der Schellack-Ära und wurde am 14. Juni 1928 von Karl Valentin und Liesl Karlstadt in München gemacht. Das Komikerpaar zählte damals zu den Stars des Münchner Volkssänger-Milieus, das in Vorstadtkneipen, Singspielhallen und Brettlbühnen allabendlich das Publikum bestens unterhielt und ordentlich zum Lachen brachte. Im Gegensatz zu solchen antiken Aufnahmen sind andere Titel der CD taufrisch: Maxi Pongartz’ Moritat vom „Elvis von Schwabing“ hat der Sänger von Kofelgschroa erst im Oktober 2018 mit Akkordeon eigens für diese Veröffentlichung eingespielt. 

                                                                                                 Bally Prell (1922-1982)
In der Zeitspanne von 90 Jahren zwischen Valentin und Pongartz fächert sich ein Panoptikum an feschen Liedern, tiefgründigen Essays, fetzigen Popsongs und Kurzgeschichten auf, das von Stars der populären Unterhaltung wie Bally Prell (1922-1982) bis zur Indie-Band F.S.K. reicht und vom Schriftsteller Franz Dobler bis zum Liedermacher Hans Söllner. Jeder wirft einen ganz eigenen Blick auf München, was in der Summe eine Art Charakterstudie der „Stadt am Isarstrand“ (Bally Prell) ergibt.

Münchner Charakteristika werden ins Visier genommen, Eigenheiten und Schrulligkeiten der Bayernmetropole ausgeleuchtet, dazu mit Mythen und Legenden aufgeräumt. Natürlich bekommt das Oktoberfest ordentlich Fett ab. Dennoch spiegeln sich in den Beiträgen eine Verbundenheit der Künstler mit der Stadt in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit wider, ja – fast könnte man sagen – eine Art Zuneigung, die im Eröffnungssong zu einer wahren Hymne gerinnt: „München, du bist unsere Stadt, wie schön, dass ich hier mein Zuhause hab,“ feiert Veronika Bittenbinder in schnodrigem Hochdeutsch die Bayernmetropole.

Es ist schon beeindruckend, was das Trikont-Label mit diesen Veröffentlichungen der „Stimmen Bayerns“ geleistet hat. Man fragt sich: „Warum gibt es so etwas im Südwesten nicht?“ Originelle Musiker wie MC Bruddaal (Titel: „Stuagert, Du bist mei Number One“) oder die Fantastischen Vier (Titel: „Bring it back the old Stuttgart Rap“), hintersinnige Schriftsteller (Thaddäus Troll) und witzige Komiker (von Willy Reichert über Uli Keuler bis Christoph Sonntag) gibt es doch auch in Schwaben nicht wenige. 

 Der Text erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Zeitung in Baden-Württemberg

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