Saturday 2 February 2019

TRÄUME AUS DEM UNTERGRUND in Metzingen

Reutlinger GENERALANZEIGER, 2.2.2019

Als Rockmusik die schwäbische Provinz eroberte

Konzertlesung – Christoph Wagner stellt in der Metzinger Festkelter begleitet von Livemusik sein neues Buch vor


VON JÜRGEN SPIESS


METZINGEN. Eine Reise in die 60er- und 70er-Jahre der südwestdeutschen Konzertszene: Das ist Thema des Buches »Träume aus dem Untergrund«, das der Balinger Autor Christoph Wagner am Donnerstag in einem Multimedia-Vortrag in der voll besetzten Metzinger Festkelter vorstellte. Die zum Teil kuriosen Geschichten und Begegnungen wurden zwischen den Lesepassagen mit psychedelischer Livemusik von Fritz Heieck (Keyboards) und Manfred Kniel (Schlagzeug) untermalt, die damals auch schon musikalisch aktiv waren.
Alles begann mit dem Jahr 1968: Eine Zäsur, ein Auf- und Umbruchjahr, das einer ganzen Generation den Namen gab und zum Signet für Aufruhr und Rebellion wurde. Die Schlagworte dieser Zeit lauteten: Nonkonformismus, Selbstbestimmung, Konsumverweigerung und sexuelle Revolution. Junge Leute gingen auf die Barrikaden, suchten nach neuen Lebensmodellen und wehrten sich gegen den Lebensplan, den die Gesellschaft für sie vorgesehen hatte. Ein neues Lebensgefühl verschaffte sich Ausdruck. Sein wichtigstes Verbreitungsmittel war die Rockmusik: »Das Rockkonzert war ein utopischer Ort«, erinnert sich Christoph Wagner, »an dem sich das Anderssein der Subkultur manifestierte.«

In Kellern und alten Fabriken
Die Szene im Ländle traf sich in Jugendzentren, Kellern, alten Fabrikanlagen und Jugendinitiativen der Region. Schließlich entstanden subkulturelle Clubs, allen voran der Club Voltaire in Stuttgart, der Club Bastion in Kirchheim und die Manufaktur in Schorndorf, die auf den Konzert-Zug aufsprangen und die heimische Subkultur förderten.
Der gebürtige Balinger, der seit Jahren in England lebt, berichtet von einer lebendigen Musikszene im Südwesten, die neue Trends begierig aufnahm und das erstarrt-autoritäre System kräftig aufmischte. Beat-, Rock-, Jazz- und Folkmusik kamen nicht nur in Gestalt bekannter Stars wie Pink Floyd, Jimi Hendrix, The Doors oder The Who auf heimische Bühnen, sondern auch mit hiesigen Bands. Wolfgang Dauners Et Cetera, Guru Guru, Nine Days’ Wonder, Gila, Kraan, Exmagma, Eulenspygel oder Schwoißfuaß waren zu der Zeit überaus präsent.
Wagner berichtet etwa von der »Nackt-Performance« des Aktionskünstlers Otto Mühl in der Bastion Kirchheim oder von der allerersten Deutschlandtournee der damals noch unbekannten Hardrockband Black Sabbath, die Ozzy Osbourne und seine Mannen im Dezember 1969 nach Schwäbisch Hall, in die kaufmännische Berufsschule in Göppingen und in die Manufaktur Schorndorf führte. Auch in Reutlingen schloss sich Ende der 60er-Jahre eine Non-Profit-Initiative aus Studenten zusammen, die die Rockmusik als Vehikel zur Veränderung der Gesellschaft begriff. GIG, so der Name des Vereins, verstand sich als Alternative zum kommerziellen Popbetrieb und fungierte als nicht-kommerzielle Tourneeagentur für englische und deutsche Rockbands.
So holten GIG etwa Kraftwerk in die Neue Mensa Tübingen. Bei einem Konzert von U.F.O. ebendort kam es im Mai 1972 zum Eklat, weil die britische Band zu spät kam und dann auch noch die Fans körperlich attackierte.
Christoph Wagner hat mit vielen solchen Anekdoten eine 180-seitige Bibel der heimischen Konzertszene der 60er- und 70er-Jahre geschaffen, die zeigt, dass der Südwesten seinerzeit rockte. (GEA)

Christoph Wagner: Träume aus dem Untergrund, 180 Seiten, 24,90 Euro, Silberburg Verlag, Tübingen.

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