Thursday, 14 April 2022

Edgar Winter und "Brother Johnny"

Missionar des Blues

 

Mit einem Tributalbum verneigen sich Popstars posthum vor dem Ausnahmegitarristen Johnny Winter




 

cw. Seine Konzerte begannen oft mit einem markerschütternden Schrei: „Allright – Rock ‘n‘ Rrrrrrrollll!“ lautete der Schlachtruf, mit dem sich Johnny Winter in die Auftritte stürzte. Seit Ende der 1960er Jahre war der amerikanische Gitarrist unermüdlich auf Tour und machte dabei auch häufig in der Bundesrepublik Station. Besonders sein Auftritt 1979 im „Rockpalast“ hinterließ einen starken Eindruck. Gelegentlich trat er mit seinem jüngeren Bruder auf, dem Tastenmusiker und Saxofonisten Edgar Winter, der es mit der Instrumentalnummer „Frankenstein“ 1973 sogar zu Hitparadenruhm brachte. 


In die Charts hat es Johnny Winter nie geschafft, was seiner Reputation allerdings keinen Abbruch tat: Sein Ruf beruhte ausschließlich auf seinem musikalischen Können, wobei er auf der Gitarre als Ausnahmebegabung galt. Der 1944 in Texas geborene, spindeldürre Albino mit strähnig blondem Haar und bunten Tattoos, war ein begnadeter Saitenvirtuose, dessen Kreativität bei Blues- und Rock ‘n‘ Roll-Nummern am besten zur Geltung kam. Gelegentlich als „Schnellfinger“ abgetan, konnte Winter in langsamen Nummern seine Gitarre gleichwohl mit viel Einfühlungsvermögen zum Singen bringen, wobei sein Spiel durch einen schneidenden Ton bestach. Und dieser Sound war einer außergewöhnlichen Spieltechnik geschuldet: Winter riß die Saiten nicht mit einem gewöhnlichen Plektrum an, sondern mit einem stählernen Plektrumring am rechten Daumen.


Edgar & Johnny Winter, 1955





Als begeisterter Hobbymusiker hatte der Vater dafür sorgte, dass der kleine Johnny Klarinette lernte, bald kam die Ukulele dazu. Der Knirps trat zusammen mit seinem jüngeren Bruder Edgar in Talentshows im Lokalfernsehen seiner Heimatstadt Beaumont in Texas auf. An den Wochenenden schleppten die beiden ihre Instrumente und selbstgebauten Verstärker zu Parties, Kirchen- und Schulfesten. „Wir spielten überall, wo sie uns ließen“, erinnert sich Winter. Eingerahmt von tanzenden Go-Go-Girls stand der 15jährige in Anzug und Krawatte mit seiner Band Johnny & The Jammers bald auch in den lokalen Nachtclubs auf der Bühne. „Es dauerte lange, bis meine Eltern das akzeptierten“, so Winter. 


Johnny Winter besaß ein Faible für den Blues, sowohl für die akustische Urform aus dem Mississippi Delta, als auch für die elektrische Großstadt-Variante. Schallplatten von Howlin‘ Wolf und Muddy Waters hatten früh seine Begeisterung geweckt. Einen örtlichen Bluesmusiker nervte er so lange, bis er ihm ein paar Griffe und Kniffe auf der Gitarre zeigte. Als Profi suchte Winter später die Zusammenarbeit mit den Großmeistern des Genres. Ob er mit B.B. King, Sonny Terry oder Willie Dixon jammte – immer bestach sein untrügliches Feeling. Ab 1976 spielte er fünf Jahre lang in der Band von Muddy Waters, dessen Alben er auch produzierte, was ihm viel Lob aus Kennerkreisen und eine Anzahl von Grammys einbrachte. „Mit Muddy zu arbeiten, sah er als Höhepunkt seines Musikerlebens an“, erinnert sich Bruder Edgar.


Acht Jahre nach Johnny Winters Tod – er war 2014 im Alter von 70 Jahren in einem Hotel am Zürcher Flughafen verstorben –  veröffentlicht nun Edgar Winter ein Album, auf dem eine Starbesetzung der Gitarrenlegende die Ehre erweist. Mit unterschiedlichen Songs verneigen sich musikalische „Schwergewichte“ wie Billy Gibbons von ZZ Top, Joe Walsh von der Eagles, Phil X (Bon Jovi), John McFee von den Doobie Brothers und Steve Lukather (Toto) vor „Brother Johnny“, so der Titel der Platte. Selbst ein Veteran wie der Beatle Ringo Starr ließ es sich nicht nehmen, auf einem Track die Trommelstöcke zu schwingen. Bei einem anderen Stück sorgte der kürzlich verstorbene Taylor Hawkins von den Foo Fighters für den rockigen Beat. 


Johnny Winter war nicht nur ein ungestümer Powergitarrist, der die Verstärker erzittern ließ, sondern auch für leise Töne gut. Dann holte er die blecherne „National Steel“ aus dem Gitarrenkoffer, stülpte sich ein „Bottleneck“-Stahlröhrchen über den kleinen Finger der linken Hand, um das akustische Instrument wimmern und schluchzen zu lassen, eine Spielweise, die auf dem Tributalbum von Keb‘ Mo‘ im Stück „Lone Star Blues“ und von Doyle Bramhall in „When You Got A Good Friend“ – einer Robert-Johnson-Nummer – meisterhaft praktiziert wird.


Edgar Winter's White Trash – I've got news for you, 1971 (youtube)


 

Die Studiosessions für das Tributalbum erforderten viel Fingerspitzengefühl. Edgar Winter erwies sich dabei als der richtige Mann. Bereits 1971 hatte er ein superbes Album mit dem Titel „Edgar Winter's White Trash“ eingespielt, das von Blues über Gospel und Boogie-Woogie bis zu Soul die ganze Vielfalt der Stile des amerikanischen Südens auf höchst kompetente Art durchbuchstabierte. Diese profunden Kenntnisse der Traditionen "of the deep South" kommen ihm erneut bei dieser aktuellen Produktion zugute und erlauben es ihm, auf einem Stück das Klavier in wilder Barrelhouse-Manier zu bearbeiten, während er bei anderen Tracks die Orgel gospelmäßig singen läßt oder das E-Piano à la Ray Charles spielt. Geschmacksicher findet er jeweils den richtigen Ton, ohne sich eitel in den Vordergrund zu drängen. Ja selbst mit dem Saxofon versteht es Edgar Winter originelle Akzente zu setzen.


Edgar Winter & Keb' Mo' – Lone Star Blues vom Album "Brother Johnny", 2022 (youtube)


Was Johnny Winters Repertoire anbelangt, hatte er für Klassiker aus Rock und Blues ein besonderes Faible. Bei Auftritten bildeten sie den Kern seiner „tracklist“. Ob „Jumpin‘ Jack Flash“ von den Rolling Stones oder „Got My Mojo Working” von Muddy Waters – bei solchen Titeln war der Gitarrist ganz in seinem Element und drückte den Evergreens seinen persönlichen Stempel auf. Zur eigentlichen Trumpfkarte avancierte jedoch Chuck Berrys „Johnny B. Goode“, das zu Winters Erkennungsmelodie und Paradenummer wurde, bei der er seine Fingerfertigkeit voll ausspielen konnte. Auf dem aktuelle Tributalbum braucht es dazu gleich zwei ausgesprochene Gitarrenkönner – Joe Walsh und David Grissom –,  um einen ähnlichen musikalischen Feuersturm zu entfachen. Doch dann biegt das Stück nach dem Gitarrensolo völlig unerwartet in Richtung Jump-Jive ab, indem das Saxofon für acht Takte die Führung übernimmt und Edgar Winter sich die Seele aus dem Leib bläst. Derlei originelle Einfälle, gepaart mit einer unbändigen Spielfreude und großem handwerklichen Können, machen das Album zu einem Meisterkurs in Sachen „Good Old Rock ‘n‘ Roll“. So gekonnt in Szene gesetzt, erweist sich Johnny Winters Musik auch heute noch als „Still Alive And Well“, wie einer seiner bekanntesten Titel lautete.

 

Edgar Winter: Brother Johnny (Quarto Valley Records)

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