Gegen den Strom
Zum Tod der Countrymusik-Legende Loretta Lynn, "The Hillbilly Feminist"
cw. Jack White von den White Stripes war es, der sie 2004 ins Rampenlicht zurückbrachte. „Van Lear Rose“ hieß das Album, vom amerikanischen Rockstar produziert, das Loretta Lynn erstmals einem Poppublikum bekannt machte, welches sich möglicherweise nicht einmal bewußt war, in der älteren Dame von 72 Jahren die Königin der Countrymusik vor sich zu haben. Denn nichts weniger war Lynn: neben Dolly Pardon die bekannteste Countrysängerin der Welt. Ihr letztes Album, das 60ste, erschien vor einem Jahr und enthielt noch einmal, mit erstaunlich fester Stimme intoniert, viele der Songs, die sie einst berühmt gemacht hatten. Jetzt ist Loretta Lynn im Alter von 90 Jahren im Schlaf auf ihrer Ranch in Tennessee verstorben.
Lynn musste sich nicht wie andere Countrysängerinnen (etwa Patsy Montana) eine Biographie zusammendichten. Sie kam wirklich aus dem amerikanischen Süden und zwar aus der kleinen Bergarbeitersiedlung Butcher Hollow in Kentucky, im Herzen der Appalachen gelegen, und war wirklich in ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen. Ihr Vater war Minenarbeiter und hatte Mühe die vielköpfige Familie durchzubringen, weshalb er nebenher noch eine kleine Landwirtschaft betrieb, wobei es selbstverständlich war, dass die Kinder mitarbeiteten. Das Holzhaus der Familie war ohne Strom und fließendes Wasser mit Ziehbrunnen im Garten.
Noch keine sechzehn Jahre alt, heiratete Lynn und zog – hochschwanger – mit ihrem 22jährigen Ehemann 4000 Kilometer nach Nordwesten in ein kleines Holzfäller-Kaff im Bundestaat Washington. Hier kam das erste von sechs Kindern zur Welt. Nach drei weiteren Geburten kaufte die 21jährige eine Gitarre und begann mit der Band The Trailblazers in den Bars und Tavernen der Umgebung aufzutreten, meistens nur für den Applaus und ein paar Drinks. Ihr Ehemann, der sich als ihr Manager versuchte, überzeugte den Countrystar Buck Owens sie in seiner Fernseh-Show auftreten zu lassen, was zum Durchbruch führte. Loretta Lynn bekam einen festen Platz in der samstäglichen Talentshow und jede Woche eine Gage von 5 Dollar.
Ein Geschäftsmann, der sie im Fernsehen sah, finanzierte 1960 ihre erste Studioaufnahme und brachte die Single auf seinem eigens dafür gegründeten Label heraus. Der Song war im modernen Honky-Tonk-Stil gehalten, verwendete elektrische Gitarren und Schlagzeug, und wurde zum Erfolg.
Um nahe am Geschehen zu sein, zog Lynn nach Nashville, Tennessee, der Hauptstadt der Countrymusik, wo sie 1962 in die legendären Radioshow „The Grand Ole Opry“ aufgenommen wurde. Eine lange Reihe von Hits folgte, die sie selbst schrieb und in den 1970er Jahren im Duo mit Conway Twitty sang.
Loretta Lynn ließ sich nicht vom männlichen Musikgeschäft herumschubsen. Mit etlichen ihrer Songs schlug sie einen neuen Ton an, vor allem was die Texte betraf, die sich kritisch mit der Männerwelt und deren Macho-Eskapaden auseinandersetzten. Lieder wie „The Squaw is on the Warpath“ und “I wanna be free” gaben inhaltlich die Richtung vor. Mit dem Song „The Pill“ schockierte die Rebellin dann die konservative Fangemeinde vollends, da das Lied zum ersten Mal das Tabu der Geburtenkontrolle anpackte, was etliche Radiostationen veranlaßte, den Song aus dem Programm zu kippen.
Die Verfilmung ihrer Autobiographie „Coal Miner‘s Daughter“ mit Oscar-Auszeichnung machte Loretta Lynn endgültig zur Legende und gleichzeitig zum Vorbild einer jüngeren Generation von Countrysängerinnen, die sie als Pionierin verehrten, wobei es sich Reba McEntire, Carrie Underwood, Tanya Tucker und Margo Price nicht nehmen ließen, auf dem letzten Album mit ihrem Idol im Duett zu singen – als Verneigung vor einer ganz Großen der Countrymusik.
Loretta Lynn & Jack White 'live', 28. Januar 2015 (youtube)
No comments:
Post a Comment