Elektronische Abenteurer
The Young Gods spielen die Ursonate der Minimalmusik
The Young Gods (Promo / Charlotte Walker)
cw. Als Popband sind sie eine Institution: The Young Gods aus Fribourg sind vielleicht die international einflussreichste Schweizer Rockgruppe. Pop-Größen wie David Bowie, Mike Patton (Faith No More) oder The Edge von U2 haben sich von ihrer Musik inspirieren lassen. Seit 37 Jahren befindet sich die Band auf einer musikalischen Odyssee, die sie von Post-Punk und Industrial Rock über akustische Klänge und Ambient-Sounds zu den Songs von Kurt Weill und des Woodstock-Festivals führte. Solche Abstecher wurden meistens durch Impulse von außen angestoßen, von Personen, denen die Musiker begegneten, oder durch Musik, die ihnen gefiel. „Dadurch hat sich unsere Fahrtrichtung immer wieder geändert,“ stellt Bandleader Franz Treichler fest.
The Young Gods wurden seit Ende der 1980er Jahre vor allem durch ihre Arbeit mit Samplern berühmt. Die Instrumente, die auf ihren Platten zu hören sind, wurden nicht wirklich gespielt, sondern aufgenommen, um sie mittels Keyboard abzurufen. Auch wenn die Band zu Beginn noch nicht durch und durch elektronisch klang, kamen doch alle Sounds vom Sampler, egal ob Natur- oder Umweltgeräusche, Gitarre, Geige oder Baß. „The Young Gods entstanden wegen der Technologie, davor habe ich in einer anderen Band Gitarre gespielt,“ erklärt Treichler. „Als der erste erschwinglicher Sampler auf den Markt kam, veränderte das vollkommen meine musikalische Praxis. Mit den Young Gods begann mein elektronisches Abenteuer.“
Die kreative Arbeit mit dem Sampler, der inzwischen vom Laptop abgelöst wurde, ist ein sehr persönlicher Prozeß: Ideen werden gesammelt, Klänge und Geräusche aufgenommen und bearbeitet. Dann treffen sich die drei Bandmitglieder im Proberaum zu Jam-Sessions, bei denen improvisiert und mit dem Klangmaterial gespielt wird, bis sich Strukturen, Melodien oder Riffs herausschälen. „Jeder bringt Ideen ein,“ beschreibt Schlagzeuger Bernard Trontin die Arbeitsweise. „Ich steuere nicht nur Drum-Beats bei, sondern komme auch mit Sounds daher, die ich gesampelt habe, oder elektronischen Loops, die mir interessant erscheinen.“ Während der Jam-Sessions entwickeln sich die Arrangements, wobei Trontin versucht, jeder Nummer einen speziellen Rhythmus maßgerecht auf den Leib zu schneidern.
Gerade haben The Young Gods ein Album eingespielt, das von dieser bewährten Praxis abweicht. Sie haben die Komposition „In C“ von Terry Riley aufgenommen, das Stück, das als Initialzündung der amerikanischen Minimalmusik gilt. Die Ursonate des Minimalismus erlebte im November 1964 in San Francisco ihre Uraufführung, bei der viele, der später tonangebenden Minimalisten und Elektroniker als Musiker mitwirkten, von Steve Reich über Pauline Oliveros bis zu Morton Subotnick. Phil Lesh, der Bassist der psychedelischen Rockband The Grateful Dead, schaute öfters bei den Proben vorbei.
„In C“ wurde als Sensation gefeiert und machte Terry Riley über Nacht zu einem Star der Subkultur. The Who widmete ihm das Stück „Baba O’Riley“ und die progressive Rockgruppe Curved Air benannte sich nach seiner Komposition „A Rainbow in Curved Air“. Bis heute erfreut sich „In C“ anhaltender Beliebtheit in der Popszene. In London waren Musiker von Stereolab vor ein paar Jahren an einer Aufführung beteiligt, wofür sie eigens das Notenlesen lernten. Der Gitarrist von Portishead Adrian Utley präsentierte das Stück 2013 mit einen „Guitar Orchestra“, während Blur-Sänger Damon Albarn ein Jahr später nach Mali reiste, um mit der Gruppe Africa Express eine Version mit Balafonen, Kalimbas, Koras und Djembe-Trommeln einzustudieren.
Und jetzt The Young Gods. Gekonnt verwandeln sie „In C” in ein elektronisches Wunderwerk, bei dem Beats und Loops in aufregender Manier ineinandergreifen. Wieder kam der Anstoß von außen und von ungewöhnlicher Seite. Benedikt Hayoz, der junge Dirigent des hochkarätigen Fribourger Blasorchesters Landwehr, dessen Geschichte mehr als 200 Jahren zurückreicht, brachte die Young Gods auf die Idee. Treichler kannte das Stück, hatte aber nie in Betracht gezogen, es selber einmal zu spielen. „Als uns Benedikt Hayoz eine Kooperation vorschlug, stellte ich mir das Stück gespielt von hundert Bläsern und den Young Gods vor,“ so Treichler. „Eine reizvolle Vision.“
Proben wurden anberaumt, die Spielregeln der Partitur erläutert und einstudiert. Langsam nahm das Projekt Gestalt an. Dann präsentierten die Young Gods mit dem Landwehr-Blasorchester das Stück etliche Male „live“. „Es gefiel uns so gut, dass wir Lust bekamen, die Komposition als elektronisches Powertrio aufzunehmen,“ erinnert sich Treichler. Nach etlichen weiteren Aufführungen mit einem Tanzensemble, ging es ins Studio, wo ein halbes Dutzend Versionen aufgezeichnet wurden und dann die beste ausgewählt. „Nie ist es das gleiche Stück, obwohl es Vorgaben gibt, die aber so flexibel sind, dass es jedesmal anders klingt,“ erklärt Drummer Bernard Trontin.
The Young Gods play Terry Riley 'In C' / part 1 (youtube)
Für ihn stellte die Komposition eine besondere Herausforderung dar. Weil in der Partitur kein Schlagzeug vermerkt ist, musste Trontin seinen eigenen Part erfinden. Aus den 53 vorgegebenen musikalischen Modulen, von denen manche nur aus drei Noten bestehen, entwickelte er individuelle Trommelrhythmen. „Ich übersetzte jede Sektion in ein spezielles Schlagmuster,“ erzählt der Drummer. „Dann musste ich äußerst genau hören, was zwischen den beiden elektronischen Instrumenten passierte, um schnell darauf reagieren zu können.“
Das Ergebnis ist eine knapp 60minütige, vor Spannung und Elektrizität knisternde Version des Ursprungswerk der Minimalmusik, knapp 60 Jahre nach seiner Geburt. Jetzt sind die Young Gods gespannt, was Komponist Terry Riley dazu sagen wird.
The Young God play Terry Riley In C (Two Gentlemen Records)
Dazu meine Radio-Sendung auf SWR Kultur:
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