Sunday, 6 November 2022

Mimi Parker (1967 -2022) verstorben

Ein Nachruf auf Mimi Parker, Songwriterin, Schlagzeugerin und Sängerin der amerikanischen Rockgruppe Low. 

Ich habe Mimi Parker und ihren Ehemann Alan Sparhawk zweimal länger interviewt, einmal im nordenglischen Halifax, wo sie im Münster auftraten, und ein andermal ein paar Jahre davor, das muß so um 1996 gewesen sein, in Sheffield. Damals traten sie in einem Programm zusammen mit Mercury Rev auf, und hatten ihre beiden kleinen Kids auf der Tour dabei. Sie waren ausgesprochen anregende Gesprächspartner, weil sie sich über Musik ungewöhnliche Gedanken machten und auch Komponisten wie Morton Feldman auf dem Radar hatten.


Der Artikel erschien vor 10 Jahren zum 20-jährigen Bandjubiläum: 


Die Entdeckung der Langsamkeit

 
Mit ihrem 10. Album feiert die Rockgruppe Low ihr 20-jähriges Bandjubiläum – produziert von Jeff Tweedy (Wilco) wirkt ihre alternative Popmusik immer noch wie ein Vademecum gegen Hektik und Streß 
 


 
cw. Der Bandname Low steht für “low speed” und “low volume”: Langsamkeit und Stille. Vor genau zwanzig Jahren gegründet, hat sich die alternative Rockband aus den USA einem Stil verschrieben, der wie ein Anachronismus in einer Welt des Überschalls wirken muss. Low machen Pop in Zeitlupe, Songs im Schneckentempo – Rockminimalismus! „Slow-Core“ sagt die Presse dazu, was als Gegensatz zu “Speed-Metal” zu verstehen ist. 
 
“Unser Sound stellt sich heute von selbst ein, wenn wir spielen. Früher war das anders: Da traten wir häufig bei Band-Wettbewerben zwischen einer Punk- und einer Grungeband auf. Es fühlte sich an, als ob wir gegen die Stimmung der Leute anspielten,“ erzählt Mimi Parker, Schlagzeugerin und Sängerin von Low. „Wir bekamen Panik-Attacken, weil wir leise und minimalistisch musizierten. Ich hatte oft das Gefühl, als ob jeder Knochen im meinem Leib zerplatzen würde. Am liebsten wäre ich davongelaufen. Doch gelegentlich gab es eine magische Verwandlung. Die Zuhörer ließen sich auf unsere Musik ein.“
 
Mit der Zeit fanden Low ihr eigenes Publikum, das die ruhige Popmusik der Band als Vademecum gegen Hektik und Streß schätzen lernte. Denn Low nehmen sich bewußt zurück. Die Beschränkung auf das Allernotwendigste verwandelt ihre Songs in Miniaturen von fragiler Einfachheit. Ein anderes Zeitmaß wird etabliert. Durch die Entschleunigung nimmt der Zuhörer die Musik anders wahr, einzelne Worte und Töne gewinnen mehr Bedeutung. „Langsame Musik klingt leise am besten,“ weiß Mimi Parker. Und leise Musik bewirkt, daß das Publikum aufmerksamer zuhört. Die Stille funktioniert paradoxerweise wie eine Verstärkeranlage: Wenn man die Lautstärke zurückdreht, fangen die Ohren der Zuhörer zu wachsen an. “Als wir anfingen, wollten wir ganz bewußt minimalistische Musik machen. Wir spielten Nummern, die monolitisch und meditativ waren,“ erinnert sich Gitarrist Alan Sparhawk, Mimi Parkers Ehemann. „Ich war immer schon von dieser Ästhetik fasziniert. Das Geheimnis des Minimalismus ist: Je einfacher und leichter die Musik beim ersten Hören erscheint, desto mehr Tiefe entdeckt man, je vertrauter sie einem wird. Als Zuhörer wird man in das entsprechende Stück hineingezogen, was komplexere Kompositionen oft nicht schaffen. Der Minimalismus macht die kleinste Bewegung sehr groß.“ 



 
Mit ihrer sachten Rockmusik setzen Low einen Kontrapunkt gegen die Zeitkrankheit des “immer mehr und immer schneller”.  Hyperaktivität und Hysterie sind aus ihrer Musik verbannt, die eher wie ein Plädoyer für Muße und Kontemplation wirkt. Dabei fliehen sie jedoch nicht in eine schwülstige New Age-Esoterik. Vielmehr geben Bedächtigkeit und eine Ästhetik der Einfachheit die Richtung vor. Kargheit und Simplizität werden zum Ideal, der Wert des Weglassens neu entdeckt. Low macht Popmusik der gemächlichen Art.
 
Als wichtige Einflüsse nennen Low zwei Komponisten der E-Musik-Avantgarde. Der eine ist LaMonte Young - Urvater des Minimalismus. In den frühen Stücken seines Ensemble ‚Theatre of Eternal Music’, das u.a. von Terry Riley, John Cale und Tony Conrad gebildet wurde, waren schon Mitte der 60er Jahre langanhaltende bordunhafte Klänge bestimmend, sogenannte „Drones“, wie sie heute bei jungen Elektronikern wieder groß in Mode sind. 


Die andere Inspirationsquelle war Morton Feldman. Vor allem die frühe Piano-Stücke des 1987 verstorbenen Freunds von John Cage haben es den Musikern von Low angetan. Sie dehnen die Zeit. Zwischen den Tönen und Akkorden entfaltet sich eine wunderbare Spannung.  Dazu kommen Vorbilder aus der Popmusik. The Velvet Underground und die Beatles werden als erste genannt, wenn es um die Kunst des ‚Songwriting’ geht. Beide Bands verstanden es, ihre kleinen Songs in große Kunstwerke verwandeln, in denen die Gleichzeitigkeit von Einfachheit und Komplexität nicht als Widerspruch empfunden wurde.
 
Jetzt ist zum 20jährigen Bandjubiläum das zehnte Album von Low erschienen. Sein Titel: The Invisible Way. Produziert von Jeff Tweedy von Wilco, gehen Low ihren vor Jahren eingeschlagenen Weg konsequent weiter. Elf Songs enthält das Album, die alle voller Poesie sind und Texte mit Tiefgang besitzen, wobei die Melodien von einem einfühlsamen Harmoniegesang getragen werden. Eine gedämpfte Stimmung durchzieht die Musik. Nur gelegentlich wird etwas handfester zugepackt. Dann greift Alan Sparhawk kurz kräftig in die Saiten und läßt seine Gitarre aufheulen und kreischen, um wenige Takte später bereits wieder in ruhigeres Fahrwasser einzubiegen. Diszipliniertes Musizieren ist bei Low Trumpf.
 

Allerdings ist diese Sorte von Pop-Minimalismus nicht ohne Tücken. „Der Minimalismus gibt einem die Möglichkeit, mit sehr wenig auszukommen, vielleicht nur mit ein paar klugen und bedeutsamen Versen und einer starken Melodie,“ sagt Alan Sparhawk. „Doch müssen diese paar Zeilen dann auch wirklich gut sein und alles sagen.” Dem Wenigen wirklich Gewicht zu verleihen, das ist die Aufgabe, der sich Low verschrieben haben. „Man muß nicht alles sagen, um das zu sagen, was es zu sagen gibt,“ meint Alan Sparhawk.

 

Low: The Invisible Way (Sub Pop)


No comments:

Post a Comment