Monday, 9 October 2023

Die Harfe neu erfunden: Zeena Parkins

Ein Kosmos unentdeckter Klänge

 

Durch die Zusammenarbeit mit Björk, Yoko Ono und John Zorn ist Zeena Parkins zu einer zentralen Figur der experimentellen Szene geworden – in ihren Händen verwandelt sich die Harfe in ein Zauberinstrument


 

cw. Obwohl Zeena Parkins mehrere Instrumente spielt, ist ihr Name untrennbar mit einem einzigen Instrument verbunden, das in der experimentellen Musik bis in die 1980er Jahre hinein kaum eine Rolle spielte. Die Musikerin, die in Detroit aufwuchs, hat die Harfe zu einem angesehenen und vielbeachteten Klangerzeuger der Avantgarde gemacht und als elektrisches Instrument neu erfunden. Deshalb kann es kaum verwundern, wenn Zeena Parkins‘ Name mittlerweile als Synonym für Harfe gilt.

 

 

Mitte der 1980er Jahre wurde man in Europa erstmals auf Parkins aufmerksam. Mit der Gruppe Skeleton Crew (mit Fred Frith und Tom Cora) kam sie zu Tourneen und Festivalauftritten auf den alten Kontinent, um das Engelsinstrument auf eine Weise zu spielen, wie man es bis dato noch nicht gehört hatte: Sie präparierte die Saiten, klemmte Wäscheklammern fest und verfremdete die Töne mit elektronischen Gerätschaften. Kurz: Parkins erkundete die Harfe als einen Kosmos bislang unentdeckter Klänge.


Skeleton Crew mit Tom Cora (links) und Fred Frith (rechts)

 

Durch Frith und Cora kam die Harfenistin, die inzwischen nach New York gezogen war, mit John Zorn in Kontakt, der Ende der 1980er Jahre regelmäßig Proben in seinem Apartment auf der Lower East Side abhielt. Bei diesen Sessions kamen „Game“-Kompositionen zur Aufführung, die Zorn mit Schildern und Tafeln lenkte und die Parkins die Augen öffneten – so kühn und verwegen konnte Musik sein! Das gab ihr den Kick, bei ihren Erkundungen der Harfe noch mehr zu wagen.

 

Anfang der 1990er Jahre markierte das Album „Nightmare Alley“ einen Durchbruch, weil es auf vielfältige Art und Weise das noch ungehobene Klangreservoir der Harfe hörbar machte. Das Album war eine Offenbarung, weil Parkins dem unbegleiteten Instrument Sounds entlockte, die man ihm nicht zugetraut hätte. Seither hat sie ihre Klangpalette stetig erweitert und die Stationen der Entdeckungsreise auf fünf weiteren Soloalben dokumentiert.


 

Die Häutung zur radikalen Avantgardistin wirkte umso drastischer, weil Parkins ursprünglich aus der klassischen Klaviermusik kam. Als Teenager liebäugelte sie mit der Idee, Konzertpianistin zu werden. Doch auf der Musikhochschule wurde ihr irgendwann klar, dass die klassische Musik nicht der Weg war, den sie weiter beschreiten wollte.

 

Zuvor hatte ihr der Zufall eine Alternative zugespielt. Um neben dem Klavier noch ein zweites Instrument zu erlernen, wurde die Schülerin eines Tages in den hinteren Trakt des Schulgebäudes geführt, in ein dunkles Zimmer ohne Fenster. Als das Licht anging, stand sie acht großen Konzertpedalharfen gegenüber: „In Gold gefaßt, kamen sie mir wie märchenhafte Zauberinstrumente vor. Ich habe mich sofort in sie verliebt. In diesem einen Augenblick hat sich mein ganzes Leben entschieden.“

 

Parkins begann klassische Harfe zu erlernen und je mehr sie sich in das Instrument vertiefte, umso geringer wurde ihr Ehrgeiz, einmal in einem Klassik-Konzert aufzutreten. Ihre Interessen lagen anderswo.

 

Vom akustischen zum elektrischen Instrument war der Weg nicht weit, vor allem in einem Umfeld wie Manhattans Downtown-Szene, wo fortwährend mit unorthodoxen Spieltechniken experimentiert und der konventionelle Rahmen der Tonsprache erweitert und hinausgeschoben wurde.

 

Die früheste Version ihrer elektrischen Harfe wurde 1985 vom verstorbenen Cellisten und Skeleton-Crew-Bandkollegen Tom Cora und dem bildenden Künstler Julian Jackson entworfen. Im Jahr darauf baute sie der Gitarrenbauer Ken Parker in ein freistehendes Instrument um, das im Stehen gespielt werden konnte. Als nächstes nahm der Klangkünstler und Instrumententüftler Douglas Henderson noch ein paar Verbesserungen vor. „Das veränderte das Instrument grundlegend,“ erklärt Parkins. „Er schuf ein Griffbrett, wodurch es möglich wurde, unterschiedliche Spieltechniken zu entwickeln.“


 

Ob mit Skeleton Crew, dem „Conduction”-Ensemble von Butch Morris, John Zorns frühen “Cobra”-Gruppen, der Formation No Safety mit Chris Cochrane oder dem Duo Phantom Orchard mit Ikue Mori – Parkins, von quecksilberhaftem Temperament, entfaltete eine Vielzahl musikalischer Aktivitäten, die die Harfenistin über die engen Kreise der Avantgarde hinaus bekannt machten. Selbst Musiker der avancierten Popszene horchten auf, wie Sean Lennon der Parkins seiner Mutter Yoko Ono für Konzertauftritte empfahl, was zu einer Beteiligung an Onos „Live“-Album „Blueprint for a Sunrise“ führte.

 

Um die Jahrtausendwende erhielt Parkins eine Email, die ungefähr so lautete: „Ich bin eine Sängerin auf der Suche nach einer Harfenistin. Hätten Sie vielleicht Interesse?“ Unterschrieben war die Anfrage von Björk, der avantgardistischen Popsängerin, die Parkins dann in ihre Band holte, nicht ohne sie vorher rigoros im Vom-Blatt-Spielen sowie im Nach-Dem-Gehör-Spielen zu testen. Vier Jahre dauerte die Zusammenarbeit. Parkins ging mit Björk auf eine über einjährige Welttournee, um das „Vesperine“-Album zu promoten, wobei die beiden immer wieder gemeinsam an neuen Arrangements arbeiteten.


Zeena Parkins mit Björk – Generous Palmstroke; "Live" at the Royal Opera House (youtube)

 

Parallel dazu nahm Parkins vermehrt an intermedialen Projekten teil, ob im Tanz-, Film- oder Kunstbereich, bei denen sie mit Choreographen, Regisseuren, visuellen Künstlern, Designer und Bewegungsartisten kooperierte, ob mit Tanzguru Merce Cunningham oder Multimedia-Artist Christian Marclay.

 

Das aktuelle Album „Lace“ unterstreicht erneut Parkins außergewöhnliche musikalische Individualität. Der ursprüngliche Impuls für die Einspielung liegt 15 Jahre zurück, als die Komponistin vom Merce Cunningham Dance Studio zu einem Konzert der „Music Mondays“-Serie eingeladen wurde. Allerdings hatte die Sache einen Haken: Der Termin war so knapp bemessen, dass für Ensembleproben keine Zeit blieb und Parkins sich stattdessen für einen spontanen Ansatz entschied. Sie wählte ein paar graphisch interessante Beispiele von textilen Spitzenmustern aus ihrer Sammlung aus, die sie auf den Tourneen um die Welt zusammengetragen hatte. Die Spitzen sollten den Musikern und Musikerinnen des Ensembles als Partitur für jeweils ein bestimmtes Stück dienen, das improvisiert wurde, sich aber doch strukturell an dem Spitzenmuster orientieren sollte. Und – surprise, surprise! – es funktionierte!.

 

Auf das Motiv der Spitzen kam Parkins danach immer wieder zurück, was schließlich zum Album „Lace“ (=Spitzen) führte. Es enthält Kompositionen für Schlagwerk (William Winant) sowie für ein Ensemble aus Cello (Maggie Parkins), analogem Synthesizer (James Fei) und den Bläsern der Gruppe Tilt – von der Harfe keine Spur! Selbst nach einer Karriere von nahezu 40 Jahren ist Zeena Parkins immer noch für eine Überraschung gut.

 

Zeena Parkins ist am Samstag, den 2. Dezember 2023 auf dem Unerhört-Festival in Zürich zu hören.

Info: unerhoert.ch

 

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