Tuesday 14 November 2023

Oscar-Gewinner Volker Bertelmann im Interview

Nicht immer das volle Besteck

 

Seit Jahren spielt er als Hauschka experimentelle Klaviermusik, dann gelang ihm mit dem Soundtrack zu „Im Westen nichts Neues“ ein Volltreffer. Volker Bertelmann über seine Oscar-gekrönte Filmmusik, und wie die Filmarbeit sein Klavierspiel beeinflußt 


Volker Bertelmann 



Christoph Wagner: Wie sind Sie an die Filmmusik von „Im Westen nichts Neues“ herangegangen?

 

Volker Bertelmann: Der Regisseur Edward Berger und ich haben bereits drei Filme zusammen gemacht, insofern waren wir mit der Art wie wir zusammenarbeiten vertraut. Er hat mich angerufen: „Willst du mal nach Berlin kommen und Dir den Film anschauen? Wir sind schon recht weit.“ Wir haben uns das dann – sozusagen – im großen Kino angeschaut. Da konnte man schon sehen, welche Wucht diese Bilder haben. Danach haben wir kurz gesprochen, wobei Berger drei Wünsche äußerte: Die Bilder sollten von der Musik nicht gedoppelt, sondern zerstört werden. Ich sollte etwas machen, was ich noch nie gemacht habe, und drittens sollte die Musik die Seelenlage des jungen Soldaten Paul Bäumer widergeben. Schon auf der Heimfahrt wurde mir klar, dass ich die damalige Zeitepoche irgendwie mit den Klängen einfangen und gleichzeitig etwas Modernes schaffen muss. Ich dachte an ein analoges Instrument, das aus der damaligen Zeit stammt. 

 

Was bot sich an? 

 

VB: Ich hatte ein Harmonium, das immer schon bei uns in der Familie war. Gleich am nächsten Tag fing ich an, mich damit zu beschäftigen. Die erste Idee waren die drei Töne, die am Anfang des Films zu hören sind, die habe ich direkt am Tag danach aufgenommen, was bei einer Filmmusik recht ungewöhnlich ist. Normalerweise erarbeitet man über Wochen diverse Vorschläge, und der Regisseur wählt dann denjenigen aus, der seinen Vorstellungen am nächsten kommt. In diesem Fall war es anders. Ich hatte diese eine starke Idee. Ich habe sie gleich Edward Berger geschickt, um zu sehen, ob er ähnlich empfindet. Er hat sofort am nächsten Tag geantwortet und war total euphorisch. Er sagte, das ist genau das, was wir brauchen. Das war natürlich toll. 

 

Wie nützlich war Ihre Erfahrung als experimenteller Pianist für die Filmarbeit?

 

VB: In all den Jahren als Hauschka habe ich viel über Musik gelernt, etwa zu improvisieren, was für mich eines der grundlegenden Elemente des Musikmachens ist. Außerdem haben mir meine Erfahrungen mit der Soundmanipulation sehr geholfen, weil das Prinzip der Präparation auf fast alle Instrumente übertragbar ist. Man kann nicht nur das Klavier präparieren, sondern auch Geigen oder Schlagzeug. Bei „Im Westen nichts Neues“ gibt es präparierte Bassdrums. Da haben wir viel Müll drauf gepackt, der durch die Schläge hochflog und dann scheppernd landete. Das gab so eine Art natürliches Delay hinter dem eigentlichen Schlag. All diese Experimente sind der Ursprung meiner Freude am Musikmachen. Es ist nicht nur die Melodie, der Sound ist genauso wichtig. 

 

Im Prinzip sind Sie ein experimenteller Musiker geblieben ....

 

VB: Das sehe ich ähnlich. Man braucht Mut, geltende Grundsätze über den Haufen zu werfen. Wir haben z. B. das Orchester aufgenommen, die Aufnahmen dann aber noch einmal in den Computer gepackt und daran rumgebastelt mit verschiedenen Effekten. Davon wurde wiederum eine Partitur erstellt, die wir erneut mit dem Orchester aufgenommen haben. Dadurch eröffneten sich ganz neue Möglichkeiten. 


Volker Bertelmann alias Hauschka am präparierten Klavier



 

Gibt es Vorbilder, Filmkomponisten, die Sie beeinflußt haben? 

 

VB: Der amerikanische Komponist John Williams, bekannt u.a. durch die Musik für „Der weiße Hai“ war immer jemand, den ich bewundert habe, auch wenn er eine ganz andere Art von Musik macht. 

 

... er schafft Spannung mit Streicherklängen, weil man nie weiß, wann der Hai zuschnappt ....

 

VB: Genau! Jonny Greenwood, eigentlich Gitarrist von Radiohead, ist einer aus der jüngeren Zeit, dessen Soundtrack für „There will be Blood“ ich fantastisch fand. Er hat auch diesen Ansatz des Experimentellen. Hildur Guðnadóttir ist eine andere, die sehr viel mit Klängen und Geräuschen arbeitet, die „Joker“ gemacht hat und mit der ich schon auf Tournee war. Das sind Leute, die mich inspirieren und irgendwie auf der gleichen Wellenlänge liegen. 


Hauschka: Inventions (youtube)


 

Hat sich durch die Filmarbeit die Musik verändert, die Sie als Hauschka machen?

 

Volker Bertelmann: Ich denke inzwischen nicht mehr so viel über Form nach, sondern mache die Stücke auf die Art und Weise, wie sie natürlich kommen. Es interessiert mich auch immer weniger, bestimmte Formate zu bedienen, nur um zu gefallen. Es geht vielmehr darum, Gefühl und Abstraktion zusammen zu bringen, was mir auf der neuen Platte „Philanthropy“ hoffentlich gelungen ist. Sie ist aufgeräumter und klarer. Das hat damit zu tun, dass es bei Filmmusiken wichtig ist, den Soundtrack nicht zu überladen. Manchmal reicht ein guter Baßsound schon. Es muss nicht immer das volle Besteck sein. 

 

Hauschka: Philanthropy (Drag City)


Das Interview erschien zuerst in der Zeitschrift Jazzthetik (www.jazzthetik.de)

 

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