Irischer Punk-Rebell
Schon länger schwer angeschlagen, ist Pogues-Sänger Shane MacGowan jetzt im Alter von 65 Jahren gestorben. Das Weihnachtslied „Fairytale of New York“ bleibt sein großes Vermächtnis
cw. Das eigentliche Wunder ist, dass er überhaupt so alt wurde. Schon seit langem war Shane MacGowan von seinem einst ausschweifenden Lebenswandel schwer gezeichnet. Die Jahre im Dauer-Delirium von „Streams of Whiskey“ (Songtitel) und Heroin hatten seine Gesundheit ruiniert. Jetzt ist der Sänger der irischen Folkpunkgruppe The Pogues verstorben. Der Song „Fairytale of New York“, den er im Duett mit Kirsty MacCall sang, gilt als sein bleibendes Vermächtnis. Das Lied wurde zum Evergreen und modernen Weihnachtslied schlechthin, was MacGowan zu einer weltweit bekannten Persönlichkeit machte. Sein Markenzeichen: Zähne, die den zerklüfteten Felsen von Dover glichen, nur nicht so weiß.
MacGowans künstlerisch kreativste Zeit fiel in die 1980er Jahre, als er mit den Pogues Musikgeschichte schrieb: Er war es, der den gemeinsamen Glutkern von Folk, Rock ‘n‘ Roll und Punk erkannte und unter einen Hut brachte. Er lieferte damit die Blaupause für ein Modell, das nicht nur in Irland, Schottland oder England, sondern überall auf der Welt kopiert wurde und der Weltmusik-Bewegung erst auf die Sprünge half. Shane MacGowan machte deutlich, wie aufregend, wild und modern traditionelle Musik klingen konnte.
Mit bahnbrechenden Songs wie „Thousands are Sailing“ oder „If I Should Fall from Grace with God“ sowie Neuinterpretationen von irischen Klassikern („Dirty Old Town“), dazu einem energiegeladenen Sound aus traditionellen Instrumenten (Tin-Whistle, Akkordeon, Mandoline und Banjo) und Rockinstrumenten wie E-Gitarren und Schlagzeug, wies der charismatische Sänger der traditionellen Musik den Weg in die Zukunft. Das machte ihn zum Vorbild für eine ganze Generation von jungen Musikern, die gleichfalls nach der musikalischen Zauberformel zwischen Tradition und Moderne suchten.
In seinen Teenagerjahren als Shane O'Hooligan bekannt
Doch vielleicht konnte diese Synthese von alt und neu nur einem wie ihm gelingen. Aufgewachsen im irischen Milieu im Südosten von England und wegen Drogen von der Schule in London geflogen (damals lautete sein Spitzname Shane O'Hooligan), wurde die irische Folkmusik zum Rettungsring für MacGowans Selbstverständnis und der Punkrock zum Ausdrucksmittel seiner rebellischen Natur. Als Sproß einer Emigrantenfamilie trieb er sich in den irischen Pubs der englischen Hauptstadt herum, wo das musikalische Erbe der grünen Insel in der Diaspora bei wöchentlichen Hinterzimmer-Sessions mit viel Guinness gepflegt wird. Gleichzeitig traf man ihn im Milieu von Punks und Squatters, die in besetzten Häusern im Londoner Westen Partys feierten und wo bei viel Schweiß und noch mehr Whiskey die Rebellion musikalisch geprobt wurde, was auf das feurige Gemüt des jungen Iren als Ansporn wirkte.
MacGowan, der einst Priester werden wollte, sah sich als „freidenkender katholischer Fanatiker“, wobei er sich offen zum bewaffneten Kampf der IRA bekannte („Ich war nur zu feige, beizutreten“). Mit fortwährenden Exzessen nervte er seine Bandkollegen derart, dass sie ihn noch während einer Tournee 1991 hochkant aus der Band warfen. Den eigenen Bandgründungen, allen voran The Popes, war nur mäßiger Erfolg beschieden, sodaß MacGowan ein Jahrzehnt später zu seiner ursprünglichen Formation zurückkehrte, die ohne ihn ebenfalls nur noch ein Schatten ihrer selbst war. Daran konnte auch Joe Strummer von The Clash als Ersatz nichts ändern.
Eine Dokumentation namens „Crock of Gold – A Few Rounds with Shane MacGowan“ des Filmemachers Julien Temple, 2020 von Johnny Depp produziert, zeigt ihn bereits als schwerkranken Mann, im Rollstuhl sitzend, doch mit restaurierten Zähnen, der seine Statements nur noch schwer verständlich und wie in Zeitlupe brummelt, während seine Frau Victoria Mary Clarke den Alltag des Pflegebedürftigen organisiert. Am Weihnachtstag 2023 wäre Shane MacGowan 66 Jahre alt geworden. Sein Vermächtnis wird ihn weit überdauern.
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