Ein Wald aus Schlagzeugen, eine Wand aus Gitarren
Das Tailfinger „Musicland“ feiert 50jähriges Bestehen – Hans Herter hat das Musikgeschäft zu einer Institution der südwestdeutschen Popszene gemacht
Bei uns jungen Rockmusikern aus Balingen sprach sich die Nachricht im Herbst 1973 schnell herum: In Tailfingen hätte ein Musikgeschäft aufgemacht, das Schallplatten, aber auch Gitarren und Verstärker verkaufen würde. Also fuhren wir hin, um den Laden in Augenschein zu nehmen, weil unser Balinger Musikalienhändler, Herr Ohnmacht, mit aktuellen Rockmusik nichts, aber auch gar nichts am Hut hatte. So habe ich 1973 Hans Herter kennengelernt, gelernter Industrie-Kaufmann, der sein kleines, unscheinbares Lädchen in einer Nebenstraße in Tailfingen betrieb.
Was Herter damals anderen Musikhändlern voraus hatte: der Mann hatte Ahnung, spielte selber Gitarre in einer Rockband, nämlich bei Äxepäxe, und wußte, was die Szene brauchte. Hansi war einer von uns. Mit seinem Geschäft für Bandequipment traf er einen Nerv der Zeit und füllte eine Marktlücke, weshalb der Laden auch schnell expandierte. Bald zog er in ein Haus an der Straße von Pfeffingen am Hang von Langenwand herab, was es im Winter manchmal bei vereisten und verschneiten Straßen nicht leicht machte, dort hin zu gelangen.
Meistens hingen ein paar Burschen aus dem Umfeld von Äxepäxe in den Verkaufsräumen herum, wo sich immer mehr Equipment – Verstärker, Drum-Kits, Gitarren und Keyboards – stappelte. Unterm Dach wurde ein Studio eingerichtet, im Keller probte nach Geschäftsschluß Äxepäxe.
Lustpfropf, ca. 1975, mit mir selbst am Schlagzeug
Als Drummer war ich immer wieder dort, um mein Instrumentarium zu vervollständigen. Auch die anderen Musiker unserer Balinger Jazzrockband Lustpfropf kauften im „Musicland“ ein – wie das Geschäft inzwischen hieß. Mehr und mehr wurde Herters Laden ein Begriff für junge Rock-, Pop- und Tanzmusiker aus der näheren und weiteren Umgebung. Brauchte man einen Verzerrer, ein Wah-wah-Pedal oder ein Crash-Becken, ging es nach Tailfingen, denn einen vergleichbaren Laden gab damals wohl nur noch in Stuttgart. Und Herter machte einem immer einen fairen Preis.
Auch für die Konzert-Initiative ZAK-Musik (ZollernAlbKreis-Musik) wurde das Musicland angesteuert, wenn wir in den 70ern mit Flyern und Plakaten Auftritte von Embryo, Missus Beastly, Sahara, Aera, Kickbit Information, Zomby Woof oder Munju publik machen wollten. Hans Herter war ein williger Abnehmer unseres Werbematerials, wobei er mit Äxepäxe auch einmal in der Balinger Eberthalle als Headliner eines halben Dutzends lokaler Bands auftrat.
Und dann half mir Herter zweimal echt aus der Patsche: Für das erste Konzert unseres neugegründeten Balinger Kulturvereins Mitte der 1980er Jahre mit dem experimentellen Gitarristen Peter Cusack aus London mussten wir ein „Tape“ für Zuspielmusik beschaffen. Erst am Nachmittag stellte sich heraus, dass damit kein Cassettendeck gemeint war, sondern ein vierspuriges Tonbandgerät, die es zu diesem Zeitpunkt kaum mehr gab. Panisch haben wir es zuerst am Balinger Gymnasium versucht. Wir wußten, dass dort im Musiksaal ein Uher-Tonbandgerät stand, dass sich allerdings – so ein Scheiß! – als zweispurig herausstellte. Was nun? Hans Herter wurde zum Retter in der Not und lieh uns die besagte Maschine aus, sodaß das Konzert auf den letzten Drücker doch noch ordnungsmäßig stattfinden konnte.
Peter Cusack – Bouzouki, Gitarre (Foto: Carolyn Forbes)
Als wir dann ab 1987 mit dem Kulturverein die „Balinger Sommersprossen“ in der kleinen Siechenkirche beim Balinger Krankenhaus veranstalteten, verlangte der New Yorker Schlagzeuger Jerome Cooper (Rahsaan Roland Kirk, The Revolutionary Ensemble usw.) ein Drum-Kit mit Naturfellen – aber woher ein so seltenes Teil nehmen? Ein Besuch im Musicland, jetzt schon im mehrstöckigen Flachdach-Gebäude beim Tailfinger Bahnhof daheim, brachte aus der hintersten Ecke im Keller ein Schlagzeug mit Naturfellen zum Vorschein. Hans Herter erwies sich zum zweiten Mal als Retter in der Not.
Die Auswahl an Instrumenten, die im Musicland zum Verkauf standen, wurde immer atemberaubender. Dem Laden kann heute im südwestdeutschen Raum wohl niemand das Wasser reichen. Herter hat sein Geschäft seit langem zur ersten Adresse gemacht, wenn es um den Kauf eines Popinstruments geht. Jede Instrumentengruppe wird auf einer ganzen Etage präsentiert, wobei außer Gitarren, Keyboards und Schlagzeugen, ein ganzes Stockwerk den Blasinstrumente vorbehalten ist. Will man einen Musikunkundigen einmal schwer beeindrucken, empfehle ich einen Besuch im Tailfinger Musicland. Vor dem Wald aus Schlagzeugen und der Wand aus Gitarren bekommen Unbedarfte oft den Mund kaum mehr zu.
Und immer stand bei Herter die Fachberatung im Vordergrund. Ahnungslose Verkäufer wird man hier nicht finden, sondern ausschließlich Experten – oft hochversierte Musiker –, die wissen, wovon sie reden.
Mit Werbeauftritten bekannter Musiker trug das Musicland zudem zur Bereicherung der nicht gerade übersprudelnden Musikkultur in Albstadt bei. Ich erinnere mich an einen fulminanten Auftritt des Session-Drummers Curt Cress (Passport, Ike & Tina Turner usw.), der eine halbstündige Kostprobe seines Könnens gab und sich dabei etwas in die Karten gucken ließ. Ungefähr 60 ambitionierte junge Drummer hockten auf dem Boden vor dem Trommelstar, der es ordentlich rocken ließ, aber auch die unbequeme Wahrheit verbreitete, dass es ohne tägliches stundenlanges Üben – leider! – nicht geht.
Hans Herter mit Sohn Marc Herter
Gerade feiert Hans Herter mit dem Musicland 50jähriges Bestehen, was eine beeindruckende Lebensleistung ist. Das Musicland hat für viele Musiker Tailfingen überhaupt erst auf die Landkarte gesetzt. Darüber hinaus würde die Popszene der Region um einiges ärmer dastehen, hätte es Herter und das Musicland nicht gegeben. Matthias Zumbroich, einstiger Keyboarder der Bombast-Rockgruppe Zomby Woof aus Reutlingen, hat erst neulich in einem Telefongespräch beiläufig erwähnt, sein ganzes Equipment in Tailfingen beschafft zu haben. Hans Herter hat – wie schon etliche mittelständische Unternehmen vor ihm – den Beweis erbracht, dass man sich nicht in den urbanen Zentren ansiedeln muß, um Erfolg zu haben – im Gegenteil: Die Provinz bietet offenbar ein paar unbestreitbare (Standort-)Vorteile. Man muß sie nur zu nutzen wissen.
Wie man hört, wird, wenn der Senior einmal aufhört, sein Sohn den Laden weiterführen. Es ist also für Kontinuität gesorgt, auch wenn wir für den Balinger Kulturverein das "Back-Up" nicht mehr brauchen. Unser Verein hat sich vor 30 Jahren aufgelöst.
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