Zen-Funk: Interview mit Nik Bärtsch
Rituelle Energien
Der Schweizer Pianist und
Komponist Nik Bärtsch spürt der Ruhe im Klang nach. Mit seiner Gruppe Ronin
entwickelt er eine Musik, die die Leere der japanischen Ästhetik mit dem Groove
des Funk und minimalistischen Pattern verbindet
Ein Interview von
Christoph Wagner
Nik Bärtschs Ronin ist
vielleicht die international erfolgreichste Jazzformation der Schweiz und
gehört zu den herausragenden Formationen im Stall des Münchner Labels ECM. Als
Ronin wurden einst im alten Japan die Samurai bezeichnet, die keinem Herren
dienten. Diese herumvagabundierenden Ritter übten ihre Kampfkunst oft mit
zen-buddhistischer Konzentration aus. So gesehen ist der Name der Band ein
Hinweis auf die musikalische Ausrichtung des Zürcher Ensembles. Die fünf Musiker
haben sich von der Herrschaft eines bestimmten Stils befreit und eine eigene
Richtung eingeschlagen, die Elemente von Jazz, Funk, Neuer Musik, progressivem
Rock und Minimalismus auf organische Weise verbindet. Bärtschs Musik nimmt sich
Zeit, baut sich langsam auf. Rhythmische Muster und Formeln, Melodien und Riffs
laufen in stoiischer Manier im Kreise und greifen dabei mit der Präzision eines
Schweizer Uhrwerks ineinander. Nur das Saxofon oder die Baßklarinette sorgen
gelegentlich mit langen ausgreifenden Tönen für die harmonische Überwölbung des
musikalischen Geschehens. Im Mittelpunkt steht der Gruppenklang, auf
solistische Profilierung wird fast völlig verzichtet. Die komplexen Linien treffen in einem
herausstechenden Akzent punktgenau aufeinander, wobei von der Technik der
Verdichtung und von dynamischen Steigerungen effektvoll Gebrauch gemacht wird.
© by Martin Möll
Sie nennen ihre Musik
‘Zen Funk’. Was ist darunter zu verstehen und wie ist dieses Konzept
entstanden?
Bärtsch: Am Anfang stand
eine Affinität zu rhythmischer Musik generell, die ich schon als Kind verspürt
habe. Ich habe zuerst Schlagzeug gelernt und dann noch Klavier dazugenommen.
Bereits als Kind habe ich Kaspar Rast getroffen, mit dem ich bis heute
zusammenspiele. Er ist der Schlagzeuger bei Ronin. Wir spielten Fussball
zusammen und haben miteinander Musik gemacht. Das war eine wichtige Begegnung.
Zu dieser Zeit erwachte mein Interesse am Jazz, danach an Neuer Musik, was zu
einem klassischen Klavierstudium führte. Schon vor dem Studium hatte ich eine Faszination
für japanische Kultur entwickelt. Die Filme von Akira Kurosawa waren wichtige
Impulse. Ich hörte dort Musik, die neu und mir fremd war. Die Beschäftigung mit
japanischer Kultur führte mich zur Kampfkunst Aikido. Parallel dazu
beschäftigte ich mich mit Konzepten der Reduktion und Repetition. Das
Zeremonielle, Rohe und gleichzeitig sehr Strukturierte hat mich angezogen.
Dadurch habe ich zu einer rituellen Musikhaltung gefunden, die wir in einer
Gruppe zu entwickeln und zu erforschen begonnen haben. Daraus ist die
akustische Gruppe Mobile entstanden. Wir haben Konzerte von einer Länge von bis
zu 36 Stunden absolviert. Über diese Musikrituale, die eigentlich musikalische
und soziale Energien und deren Zusammenhang von Grund auf neu befragen und
erforschen wollten, haben wir in diesen Stil hineingefunden und ihn Schritt für
Schritt entwickelt. Unsere Ideen wurden ausprobiert und geprüft durch das
Zusammenspiel in der Gruppe. Nach Mobile haben wir Ronin gegründet, zuerst als
Trio, um mit dem erarbeiteten Material flexibler, direkter und auch wieder
elektrisch verstärkt umgehen zu können.
Sie legen großen Wert auf
eine kontinuierliche, enge Zusammenarbeit als Gruppe. Wie funktioniert das?
© by Martin Möll
Bärtsch: Wir haben 2004
einen regelmäßigen Montagabend-Gig eingerichtet im Jazzclub Bazillus in Zürich
und damit eine ununterbrochene Konzert-Serie gestartet, die bis heute andauert.
2008 habe ich dann mit vier Partnern einen eigenen Club namens “Exil” in Zürich
eröffnet, um unabhängiger zu sein, und seither finden die Montagskonzerte dort
statt. Das ist ein steter langsamer Prozess, ein Aufbau, der neue Ideen immer
hart in der Praxis prüft und sie mit langjährigen Partnern weiterentwickelt.
Als ich jünger war, war ich radikaler und hatte sehr viele Ideen, die sehr
fruchtbar waren für die Klärung meiner Ästhetik. Ich habe mit der Zeit gemerkt,
dass aber das Entscheidende an einer Idee vor allem ist, dass man sie
realisiert. Erst in der Verwirklichung wird klar, was das Bedeutende daran ist
und was in der Praxis überhaupt funktioniert, was Resonanz auslöst nach innen
und außen, was Spaß macht und was mit einer Gruppe überhaupt umsetzbar ist und
was nicht.
Ihre Musik ist von
amerikanischer Minimalmusik beeinflusst?
Bärtsch: Das Interesse am
klassischen Minimalismus ist bei mir schon während des Studiums erwacht.
Gleichzeitig habe ich damals viel Jazz von Musikern wie Steve Coleman gehört
sowie Funk, wo ja Patterns und ihre Verzahnung eine wichtige Rolle spielen.
Beim klassischen Minimalismus, vor allem bei Steve Reich, hat mich speziell das
formale und orchestrale Denken interessiert, zum Beispiel die Strategie, dass
man das Material sich selber entdecken läßt aufgrund einiger weniger
kompositorischer Entscheidungen. Beim Funk hat mich neben den Rhythmen die
rituelle Energie im Groove fasziniert. Im Gegensatz zum Minimalismus, der eher
mit Pulsen als mit Rhythmen arbeitet, ging es mir immer um die Dramaturgie
ausgewogener Grooves, also um die Energie und Spannungsmöglichkeiten
rhythmischer Musik. Es geht um Beatbalancen wie man sie zum Beispiel auch bei
Strawinsky findet. Darüber hinaus kultiviert unsere Musik auch meditative
Elemente und Energien.
Einfachheit und Reduktion
spielen eine wichtige Rolle.
Bärtsch: Ich habe von
Morton Feldman gelernt: Wenn man eine musikalische Idee klar kommunizieren
will, dann sollte man das so einfach wie möglich tun. Das bedeutet, dass man
seine Ästhetik total klärt und zuspitzt. Wenn also wie bei uns die
Mikrophrasierung, die kleinen Verschiebungen, das Timing, das Timbre und die
Ghost Notes eine Rolle spielen sollen, dann muss auch in der Musik genug Platz
sein, um all das überhaupt wahrnehmen zu können. Wenn zum Beispiel zuviel im
melodischen Bereich passiert, geht Aufmerksamkeit für diejenigen Aspekte der
Musik verloren, die mir wichtig sind, etwa die rhythmischen Verzahnungen beim
Funk. Das Narrative einer Melodie kann sehr spannend sein, hat aber auch einen
starken Sog für das Ohr und zieht Aufmerksamkeit vom rhythmischen Geschehen ab.
Deswegen versuchen wir den musikalischen Strategien, die uns interessieren,
auch wirklich genug Raum zu geben. Das ist gleichzeitig die Stärke und Schwäche
unserer Musik, denn wenn das nicht funktioniert oder stereotyp wird, kann sie
scheitern.
Welche Funktion kommt der
Repetition zu?
© by Martin Möll
Bärtsch: Repetition ist
ein uraltes musikalisches Prinzip. Es findet sich in vielen traditionellen
Musikstilen, auch in rituellen Musiken, weil Trance, im Sinne einer Erweiterung
der Wahrnehmung, erst aufkommt, wenn man in Ruhe repetiert, sich also Zeit
lässt, damit Groove und Flow in der Musik entstehen können. Deshalb begreifen
wir das Prinzip der Repetition nicht als innovativ, sondern es ist einfach ein
Merkmal unserer Ästhetik. Wir sind ja auch mit elektronischen Loops in der
Club-Musik aufgewachsen. Die Veranstalter glaubten uns anfangs auf Grund der
CDs nicht, dass wir die Musik rein manuel erzeugen, also keine Samples, Loops
und Overdubs verwenden. Wir spielen die Repetitionen immer. So können wir im
Gegensatz zu einem Loop den Beat sehr subtil beleben. Wenn also Repetition
richtig gespielt wird, führt sie zu mehr Groove und mehr Flow. Diese rituellen
Strategien führen wie von selbst zu einer spiralförmigen Energie- und
Spannungszunahme, aber nur, wenn man relaxed ist und die Repetitionen locker
gespielt sind. Man massiert sich so selbst.
Sie prakizieren
asiatische Kampfkunst. Welchen Einfluss hat das auf die Musik?
Bärtsch: Ich praktiziere
Aikido. Die Grundideen sind dort: Partnerschaftliches Denken und Agieren,
Umgang mit dem Gegner in einem selber und mit der eigenen Angst und das
Training von präzisen Bewegungen dafür - es geht also um Präsenz. Von der
Kampfkunst kann man lernen, beim Wachsein nicht zu schlafen. Es gibt nur eine
Chance im Kampf, es geht um die eine passende und präzise Antizipation oder
Reaktion in der Bewegung. Man muss mit dem Körper denken. Beim Musik machen
geht es für mich um dasselbe: Man setzt als Spieler sehr präzise seinen Körper
ein, weil dadurch mehr und klarere musikalische Präsenz entsteht. Im Ensemble
ist es wichtig, dass wir als Gruppenkörper diese Präzision spüren, weil dadurch
die entscheidenden Resonanzen passieren: Die Schwingung in der Luft ist anders,
wenn man sehr genau zusammenspielt. Bei Aikido kann ich das lernen: Die Ruhe
und Genauigkeit in der Bewegung. Es geht also um die Fokussierung der Energie
auf einem einzigen Moment. Dazwischen gibt es viel Leere und Warten. Gerade
dadurch entsteht positive Spannung. In dieser Hinsicht habe ich viel von
japanischer Ästhetik gelernt, auch von japanischer Musik. Zum Beispiel gibt es
im Noh-Theater Musiker, deren Funktion darin besteht, zu einem bestimmten
Zeitpunkt sehr präzise, organisch und locker, aber gleichzeitig mit höchster
Spannung, einen einzigen Schlag auf einer Trommel zu vollführen. Das ist nicht
überstilisiert. Im besten Falle kommt es zu etwas Ähnlichem, wie dem Vorgang,
wenn ein Tautropfen von einem Blatt rutscht. Dies zu inszenieren ist sehr
schwierig, es braucht eine große Kontrolle des Körpers, die aber nicht
missbraucht wird, sondern die eher zuläßt, dass Präzision "passiert".
Diese spannende Paradoxie fasziniert mich seit langem. Unsere Musik lebt von
diesem Verhältnis von Spannung, Resonanz und Dramaturgie. Sie lebt von Spannung
zwischen Nichtstun am richtigen Ort und zusammen Etwas tun im entscheidenenden
Moment.
Müssen die Mitglieder von
Ronin deswegen konstant trainieren, also permanent zusammenspielen?
Bärtsch: Ja, aber damit
entstehen natürlich auch Herausforderungen: Es schleicht sich Routine ein, es
gibt Konflikte, man kann sich sozial auseinander entwickeln - solche Dinge.
Vergleichen wir es mit einer Fußballmannschaft, in der es durch Training und
Spiel-Erfahrung zu einem fast blinden Verständnis unter den Spielern kommt.
Wenn sie begreifen, wie ein Team funktioniert, können durch die Mischung von
Transpiration und Inspiration unglaubliche Leistungen erbracht werden. Das geht
aber eben nur durch konstantes Arbeiten. Da scheinen mir zehn Jahre keine lange
Zeit (Im Fussball allerdings heute schon...): Spannende Sachen entstehen nach
20 oder 30 Jahren. Dieses Wissen ist bei uns im Westen mit dem Niedergang der
Handwerkskunst etwas in Vergessenheit geraten. Die Handwerkskunst lebt davon,
dass man ständig an etwas weiterfeilt und durch die stetige Erweiterung der
Erfahrung ein präziser und doch neugieriger Praktiker wird, also irgendwann ein
Meister.
Wie läuft der
allwöchentliche Montagabend-Auftritt ab?
Bärtsch: Wir üben quasi
immer die Konzertsituation und trainieren den Bandorganismus. Mittlerweile hat
Ronin 32 längere Stücke, die zum Teil auch kombiniert werden können, mehr oder
weniger verinnerlicht. Es kommt darauf an, ob eine Tour, ein Projekt oder ein
Festivalkonzert ansteht oder nicht. Das entscheidet oft darüber, wie und was
wir am Montag spielen. Manchmal musizieren wir freier, manchmal werden gezielt
bestimmte Stücke und Stückzusammenhänge durchgegangen.
Oft ist in der Musik
nicht klar, welche Teile komponiert und welche Improvisiert sind.
Bärtsch: Die Mischung von
Komposition, Interpretation und Improvisation interessiert uns sehr. Bei Ronin
gibt es zwar auch klassische Improvisation, wie man sie aus dem Jazz kennt.
Gleichzeitig versuchen wir aber auch die Grenzen zwischen Interpretation und
Improvisation zu verwischen und aufzuheben. Von außen ist oft kaum mehr zu
erkennen, ob eine bestimmte Sequenz improvisiert oder fixiert ist. Dass das gut
funktioniert, hat natürlich damit zu tun, dass wir das komponierte Material in-
und auswendig kennen und es immer weiter erforschen. Wir sind so fähig zum
’Instant Composing’ als Gruppe. Das hat auch mit dem Sound zu tun: Wir sind uns
bewußt, dass der Klang der von mir geschriebenen Kompositionen nur durch die
Gruppe und in der Gruppe entsteht. Die Haltung aus der Popmusik, dass ein
eigener Bandsound wichtig ist, ist uns nahe. Es reicht nicht, einfach eine
Gruppe von guten Leuten zusammen zu würfeln, die dann eine Komposition
interpretiert. Letztendlich geht es
immer ums Ganze: dass wir jedesmal von Neuem in der Konzertsituation eine
Dramaturgie entfalten können, die natürlich, locker und organisch wirkt, aber
gleichzeitig eine dringliche und verführende Spannung entfaltet.
Welche Funktion haben die
Leerstellen, die Stille?
Bärtsch: Es gibt
verschiedene Arten von Ruhe und Pausen in der Musik. Ruhe bedeutet ja nicht
unbedingt Stille, also die Abwesenheit von Geräusch, sondern es kann auch eine
Ruhe im Klang gemeint sein. Damit man einen Klang überhaupt wahrnimmt und er
einen berüht, braucht er oft eine ruhige Stringenz. Pausen als Ruhe im Fluss
kreieren Bedeutung und Spannung. Lange passiert nichts, plötzlich ereignet sich
etwas in der Musik, was überraschend wirkt - wenn es denn zum richtigen
Zeitpunkt passiert. Es braucht bestimmte dramaturgische Kniffe, um das steuern
zu können. Meine modulare Kompositionsweise erlaubt es, die Dramaturgie des
Konzerts zu verändert und zu gestaltet je nach dem wie der Abend läuft, denn es
geht letztlich immer um den großen Bogen. Bei Ronin ist die Mischung zwischen
Spielen und Nicht-Spielen sehr entscheidend. Pausen bedeuten auch, Dinge nicht
zu tun, die das Publikum oder man selber erwartet.
© by Martin Möll
Ist diese asketische
Haltung eine Reaktion auf die Überladenheit aktueller Musik?
Bärtsch: Nein, ich
empfinde einfach so. Ich verstehe, dass ein Virtuose seine Kunst zeigen will.
Aber wofür macht das genau Sinn? Ich glaube, dass man in der präzisen Hingabe
eines Musikers an die Musik seine Virtuosität ohnehin erkennt. Konkret geht es
bei uns darum, dass den Solisten ihre Individualität nicht wichtiger ist als
die Dramaturgie des Ganzen und die Idee von der Einheit der Gruppe, d.h. die
Integrität der Musik. Am Schluß geht es immer darum, Etwas zu tun, anstatt
Irgendetwas. Wenn die Solostimme weg ist, hört man die Musik anders. Das finde
ich spannend. Bei Ronin steht Akrobatik jedenfalls nicht im Vordergrund. Das
verstellt nur den Blick auf die subtileren Dimensionen der Musik und des
gesamten Bandorganismus.
Nik Bärtsch’ s Ronin:
Live (Do-CD / ECM)
Das Interview erschien zuerst in der Neue Zeitschrift für Musik, ein spannendes zweimonatliches Magazin für Neue Musik und avantgardistische Klänge:
http://www.schott-music.com/shop/Journals/Neue_Zeitschrift_fuer_Musik/
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