Der Ghetto-Swinger
Der Berliner Jazzgitarrist und
KZ-Überlebende Coco Schumann wird 90
cw. Bis vor ein paar Jahren trat er noch
regelmäßig öffentlich in Berliner in Jazzclubs und Cocktail-Bars auf. Mit
seinem Trio und seiner halbakustischen Gitarre spielte Coco Schumann
geschmeidigen Swing und gedämpfte Jazzstandards. Seine Finger huschten nur so
über die Saiten. Jetzt im hohen Alter machen die Gelenke nicht mehr mit, doch
der 90jährige trägt es mit Galgenhumor. Auf die Frage, ob es schlimm sei so alt zu werden, meint er trocken:
„Schlimmer ist es, wenn man es nicht wird.“

Das heraufziehende Unheil hatte
Schumann lange ignoriert. Irgendwie hoffte er, dass der “Nazi-Spuk” bald vorbei
sein würde. Anfangs war er sich seiner jüdischen Herkunft gar nicht bewußt.
Erst als ein Lehrer dem 11jährigen kundtat: “Du
gehörst nicht zu uns, die Hitlerjugend ist nur für Deutsche,“ begann es ihm
langsam zu dämmern. Er flüchtete sich in Musik, Jazz wurde seine
Leidenschaft. “Die vielen unsinnigen Verbote nahm ich gar nicht
ernst. Die täglichen Schikanen ignorierte ich. Selbst als die Judenverfolgung
begann, verdrängte ich, was ich sah.”
Schumann
stand bald jeden Abend auf der Bühne und spielte eine Musik, die eigentlich verboten
war. “Wenn eine Razzia war, stellten wir schnell auf Volkslieder um, wenn
Bombenalarm war, spielten wir im Luftschutzkeller weiter,” erinnert er sich. “Kneipen
am Kurfürstendamm wie die ‘Hasenschaukel’ waren meine Verstecke. Dort
interessierte es niemanden, dass ich ‘Halbjude’ war.” Im März 1943 wird
Schumann verpfiffen und verhaftet, weil er den gelben Judenstern nicht trug. Jetzt
beginnt ein sein Leidensweg ins Grauen menschlicher Existenz, täglich den Tod vor
Augen.
Nach dem
Krieg und all den Greuel wandert Schumann mit seiner Frau nach Australien aus.
Doch das Heimweh ist stärker. In den fünfziger Jahren kehrt er nach Berlin
zurück. Er spielt in einer Jazzcombo mit Helmut Zacharias, nimmt Engagements
auf Kreuzfahrtschiffen an und diverse Schallplatten auf. Schumann tritt mit
Heinz Erhardt im Film “Witwer mit fünf
Töchtern” als Rock ‘n’ Roll-Gitarrist auf, spielt
in der Begleitband von Roberto Blanco und schlägt sich mehr recht als schlecht
als Entertainer durch. Langsam gerät er in Vergessenheit. 1989 erhält er das
Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.

Der Artikel erschien zuerst im Schwarwälder Bote, große Tageszeitung in Südwestdeutschland.
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