Sunday, 6 July 2025

Jazz-Archäologie: BAUERN-JAZZ-BAND ca. 1920

JAZZ IN LEDERHOSEN

Dem Zeitgeist entkommt man nur schwer. Jeder ist davon angekränkelt. Selbst in die Refugien der alpenländischen Volksmusik drang in den 1920er Jahren der Jazz ein, der damals – als Tanz! – in Europa Furore machte und zur großen Mode wurde. Eine Jazz-Combo unterschied sich von einer herkömmlichen Tanzkapelle nicht nur durch das Repertoire der neuen Tänze wie Jitterbug, Shimmy, Charleston oder Foxtrott, sondern auch durch den Schlagzeuger oder die Schlagzeugerin, die den Rhythmus vorgab und im Südwesten "Der Jatzer" genannt wurden. Die Werbepostkarte von Seppl Wirthmann's oberbayrischer Stimmungskapelle und Bauern-Jazz-Band von ca. 1920 legt davon beredtes Zeugnis ab – Jazz gespielt in Lederhosen, mit Tirolerhut und Gamsbart. Wie der wohl geklungen haben mag?

Die Kapelle war in den 1940er Jahren weiterhin aktiv, hatte aber die Bezeichnung "Bauern-Jazz-Band" unter der Nazi-Herrschaft aus ihrem Bandname gestrichen.




Als der Soul in den Südwesten kam

Das erste Soulkonzert in Baden-Württemberg

Foto: Jörg Becker

1967 war das Jahr als Westdeutschland die Soulmusik entdeckte. Im Sommer 1968 fanden dann die ersten Soulkonzerte in Baden-Württemberg statt, als King Curtis & The Kingpins in Stuttgart und Freiburg/B. auftraten. In der Zeitschrift Jazzpodium wurden die beiden Auftritte angekündigt, die von der Tourneeagentur Lippmann & Rau durchgeführt wurden. Der afroamerikanische Saxofonist King Curtis war durch seinen Hit "Memphis Soul Stew" – veröffentlicht 1967 – damals in aller Munde. Nach dem Stuttgarter Auftritt hängte die Gruppe noch einen Mittnachtsgig in der Reutlinger Diskothek 'Black Mustang' an (betrieben von Heinz Bertsch), von dem Anwesende bis heute schwärmen.


Das Plakat von King Curtis 1968 auf Deutschland-Tour, hier von den Auftritt in Wiesbaden, die den amerikanischen Saxofonisten auch nach Freiburg und Stuttgart führte; Interessant im Vorprogramm die Wiesbadener Gruppe The Soul Caravan mit zwei schwarzen GIs als Sänger, die sich später in Xhol Caravan umbenannte, und dann nur noch Xhol hieß und heute als eine der maßgeblichen Krautrock-Gruppen gilt.



King Curtis & The Kingpins: Memphis Soul Stew (youtube)


Saturday, 5 July 2025

SCHEIBENGERICHT Nr. 43: Cosmic Ear – Traces

Eine Hommage an Don Cherry

Cosmic Ear

Traces

We Jazz Records



Der schwedische Saxofonist Mats Gustafsson ist als Brötzmann-Jünger bekannt, weil er mit ähnlicher Rigorosität zur Sache geht. Dass er auch anders kann, beweist das Album Traces, das er mit der Gruppe Cosmic Ear eingespielt hat. Der Spiritus Rector dieses Quintetts ist der Baßklarinettist und Pianist Christer Bothén (Jg. 1941), Doyen der schwedischen Jazzszene, der in den 1970er Jahren länger mit Don Cherry gearbeitet hat, dem dieses Album gewidmet ist. Überzeugend gelingt es den fünf, die Musik des amerikanischen Freejazzpioniers zu neuem Leben zu erwecken, die ja immer mehr zur “Weltmusik” wurde, indem Cherry Instrumente und Stilformen aus allen Ecken des Globus einbezog. 



Diesen Geist atmet auch die Einspielung. Es ist erstaunlich, mit welcher Wärme, welchem Einfalls- und Farbenreichtum das halbe Dutzend Kompositionen von Cherry in Szene gesetzt werden. Neben Saxofon, Piano und Baßklarinette, (gestopfter) Trompete (Goran Kajfeš), Kontrabass (Kansan Zetterberg) und Congas (Juan Romero) sorgen Berimbau und Ngoni für exotisches Flair, dazu kommen diverse Flöten und Perkussionsinstrumente sowie Elektronik. Zusammen ergibt das ein dichtes Geflecht aus feingesponnenen Melodiefäden, wiederkehrenden Ostinato-Schlaufen und bunten Klang-Pattern, aus denen sich dann einzelne Soli herausschälen. Ein wunderbares Album einer äußerst inspirierten Truppe. 


Cosmic Ear at the Bimhuis (Youtube)



Thursday, 3 July 2025

JUMP mit Max Greger – Jazz Archäologie

MAX GREGER COMBO

Deutscher Jazz in den 1950er Jahren


Er war mir als Bigbandleader aus den großen Samstagabend-Unterhaltungsshows im Fernsehen in den 1970er Jahre bekannt, wo er mit seinem Tanzorchester auftrat. Max Greger stand vor seinen Musikern und gab mit ein paar lässigen Handbewegungen das Tempo vor, manchmal spielte er auch Saxofon. Dass der Tanzmusiker einen Jazz-Background hatte, hörte man munkeln, Konkretes trat  nie zutage. Jetzt ist mir auf einem Flohmarkt eine Single in die Hände gefallen, die Max Greger als Jazzmusiker präsentiert, veröffentlicht 1954 auf dem Brunswick Label mit seiner Combo, zu der u.a. auch Hugo Strasser (Saxofon und Klarinette) gehörte, der mit seinem Orchester eine ähnliche Laufbahn einschlug wie Greger. 


"Jump" heisst der Titel der Platte, ein Hinweis auf den Jump-Jazz, den die vier Stücke verkörpern. Drei stammen vom amerikanischen Rhythm & Blues-Bandleader Tiny Bradshaw, was die Richtung vorgbit. Kein Wunder, dass  in den Nummern schon die Keime des Rock 'n' Roll angelegt sind. Greger spielt diese sehr rhythmische Tanzmusik auf solide Weise. Es ist nicht gerade der wildesten Sorte von Musik, wenn man sie mit dem vergleicht, was damals von Charlie Parker und anderen in den USA gespielt wurde, aber immerhin eine Musik, die noch zehn Jahre zuvor in Deutschland verboten war.

Jump mit Max Greger (Youtube)