Energie und Ekstase
Seit 25 Jahren bietet das “Festival
Europäische Kirchenmusik” in Schwäbisch Gmünd exquisite Aufführungen “Alter
Musik”
cw. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten galt in
der Welt der Musik die Zeit vor Johann Sebastian Bach als unbekanntes Terrain.
Dann begannen verstärkt in den sechziger Jahren Musiker und
Musikwissenschaftler die Klänge des Mittelalters, der Renaissance und des
Frühbarocks zu erkunden und sich intensiv mit der damaligen Aufführungspraxis
zu befassen. Ein vibratoloser Gesang wurde entwickelt und exotische Instrumente
wie Zink, Theorbe und Viola da Gamba ließen eine vergessene Klangwelt wieder
auferstehen. Eine musikalische Gattung namens “Alte Musik” war geboren, die im
Englischen “Early Music” genannt wird und in den letzten Jahrzehnten eine
explosionsartige Entwicklung genommen hat. Eine Fülle von
CD-Veröffentlichungen, Fachzeitschriften, Spezialisten-Ensembles, Festivals und
Konzertaufführungen zeugen von diesem Aufbruch.
Im süddeutschen Raum ist das Festival
“Europäische Kirchenmusik” in Schwäbisch Gmünd eine der profiliertesten
Veranstaltungen dieses Genres. Die diesjährige Konzertreihe dauert noch bis zum
10. August. Das Festival findet seit nunmehr 25 Jahren statt und legt neben
anderen Prämissen auch jeweils einen Schwerpunkt auf “Alte Musik”. Mit
eindrucksvollen Kirchgebäuden und einem ansprechenden mittelalterlichen Ambiete
bietet die ehemalige Freie Reichstadt im Remstal den idealen Rahmen für
Aufführungen aus Gotik, Renaissance und Barock.
Mit der Capella Sagittariana Dresden kam in
diesem Jahr eines der profiliertesten deutschen Ensembles dieser Gattung nach
Schwäbisch Gmünd und wusste mit einem fulminanten Programm mit Werken
frühbarocker Komponisten zu begeistern. Das Konzert wurde von SWR2 aufgezeichnet
und wird am 9. August in der Sendereihe “Geistliche Musik” (Beginn: 19:05 Uhr) im
Sender zu hören sein.
Der Name des “Alte Musik”-Ensembles aus
Dresden ist dem Komponisten Heinrich Schütz (lateinisch: Henricus
Sagittarius) entlehnt, um dessen Werk sich das Programm unter der Überschrift
“Garten der Liebe” rankte. Schütz war im 30jährigen Krieg Leiter der Hofkapelle
in Dresden gewesen und gilt als der bedeutenste deutsche Komponist dieser Ära.
Warum das so ist, konnte man in den geistlichen Gesängen und Symphonien
erfahren, die in ihrer kunstvollen melodischen Gestaltung und dynamischen Textausdeutungen als Meisterwerke
gelten müssen. Mit einem Solistenchor von sechs Vokalisten und einem
Instrumentalensemble von ähnlicher Stärke gelang es der Capella Sagittariana
Dresden drei Werke ihres Namensgebers eindrucksvoll in Szene zu setzen, wobei
die abschließende Hochzeitsmusik den Höhepunkt des Konzerts markierte.
Dazwischen hatte Norbert Schuster, der
Leiter des Ensembles, geschickt Motetten und Madrigale von Melchior Franck,
Stefano Bernardi und Christoph Demantius sowie ein paar Instrumentalnummer von
Erasmus Widmann plaziert, einem Komponisten der keine 50 Kilometer weit
entfernt in Schwäbisch Hall 1572 zur Welt gekommen war und 1613 mit dem “muscalischen
Tugendtspiegel” ein Notenbuch mit Tänzen vorgelegt hatte, die sowohl Grazie als
auch Raffinesse besitzen. In den energiegeladenen Darbietungen konnten neben
den drei Blechbläsern mit ihren Barockposaunen vor allem die beiden
Zink-Spielerinnen glänzen, die die gebogenen Holztrompete mit einer
Leichtigkeit und Präzision zu handhabten wissen, wie es sie früher einfach nicht gab. Dann zum Abschluß
abermals mit den Sängern und Sängerinnen im Tutti vereint, zeigte die Capella
Sagittariana Dresden erneut wieviel Energie und Ekstase in einer Musik steckt,
die obwohl sie bereits vor 400 Jahren entstanden ist, bis heute alles andere
als “alt” klingt.
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