Saturday 22 July 2017

Early Music: Renaissance-Polyphonie aus Portugal

Im Schatten der Nacht

Beim Festival Europäische Kirchenmusik Schwäbisch Gmünd kamen geistliche Gesänge des Frühbarocks zur Aufführung

cw. Vor 400 Jahren – im Zeitalter der Entdeckungen – war Portugal eine Weltmacht mit kolonialen Ambitionen in Übersee. Schiffe unter der Flagge des portugiesischen Königs erkundeten die Küsten von Afrika, des Nahen Ostens und Asiens „auf der Suche nach Gold und Gewürzen“. Vasco da Gama fand den Seeweg nach Indien. Und bald war auch Südamerika erreicht, wo in Brasilien bis heute portugiesisch gesprochen wird.

In Portugal existierte im 16. und 17. Jahrhundert ein vitales Musikleben, eine Epoche, die heute als das „goldene Zeitalter“ der portugiesischen Polyphonie bezeichnet wird. An den Höfen und Kathedralen in Lissabon und anderer größeren Städte wie Évora wirkten Komponisten von beachtlichem Kaliber, die jedoch längst vergessen sind. Doch die Musik von Pedro Vaz Rego oder Frei Manuel Des Santos hat in Handschriften überlebt, die in der Musikaliensammlung des Archivs der Bücherei von Évora aufbewahrt werden.

Das Ensemble „A Corte Musical“ aus der Schweiz unter der Leitung des Brasilianers Rogério Goncalves hat sich zur Aufgabe gemacht, diese verblasste musikalische Kultur wieder aufleben zu lassen. Beim diesjährigen Festival Europäische Kirchenmusik Schwäbisch Gmünd gaben die elf Musiker und Musikerinnen in der Wallfahrtskirche in Unterkochen einen Einblick in die portugiesische Klangwelt der Renaissance und des frühen Barock.

Die musikalische Gattung des spanischen „Villancico“, in portugiesisch „Villancete“ genannt, dominierte damals die iberische Halbinsel, wobei es sich um Lieder mit weltlichen Inhalten handelte, die mit Vers und Refrain einem festgelegten Schema folgten. „Villancicos“ wurden darüber hinaus für die christliche Liturgie genutzt und kamen an religiösen Feiertagen zur Aufführung. Mit vier Gesangssolisten (zwei Frauen und zwei Männern) setzte die Gruppe „A Corte Musical“ diese Gesänge mit Leidenschaft und großer Virtuosität in Szene. Oft handelt es sich dabei um Klagelieder, in denen eine „fromme Seele“ das „heilige Geheimnis“ zu entschlüsseln versucht. In Gebeten und Anrufungen im „Schatten der Nacht“ versuchen sich die Gläubigen einen Reim auf die Wirkkräfte des Himmels und der Erde zu machen und „in Demut“ bei Heiligen und dem Erhabenen um Beistand und Gnade zu bitten.


Begleitet wurden die Gesangssolisten von zeittypischen Saiteninstrumenten, deren Spektrum von der langhalsigen Theorbe (einer Laute mit zusätzlichen Baßsaiten) über Violinen und Gitarren bis zur Harfe und zur Violone reicht, einer sechssaitigen barocken Baßgeige. Mit diversen Schlaginstrumenten – ob Trommel oder Tambourin – gab Ensembleleiter Rogério Goncalves nicht nur den Rhythmus vor, sondern sorgte für zusätzliche Akzente, Dynamik und Drive. In einem Lied lassen ”die Vögel in den Lüften ihren süßen Gesang erklingen“ – dem stand das Ensemble in keiner Weise nach.

Der Konzertbericht erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung in Baden-Württemberg.

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