Senkrechtstarter
In Tübingen präsentierte sich die österreichische Formation Shake Stew als eine der momentan heißesten Jazzcombos Europas
Im Jazz kommt den Bassisten meist nur eine Nebenrolle zu. Während Trompeter, Pianisten und Saxofonisten im Rampenlicht stehen, führt der Musiker mit dem großen Saiteninstrument normalerweise ein Schattendasein. Ihm fällt die Aufgabe zu, im Hintergrund unauffällig für eine soliden Begleitung zu sorgen. Dafür erntet er selten Lorbeeren.
Der junge österreichische Bassist Lukas Kranzelbinder (Jahrgang 1988) stellt diese Regel auf den Kopf. Bei seiner Gruppe Shake Stew ist er die unbestrittene Hauptperson: Instrumentalist, Komponist und Bandleader in einer Person. Nicht dass er sich fortwährend in den Vordergrund drängeln würde – im Gegenteil: Eher überzeugt er durch seine Präsenz auf der Bühne, wobei klar ist, dass bei ihm alle Fäden zusammenlaufen. Egal ob es groovt, brodelt oder auf der Bühne brennt, immer hält Kranzelbinder die Zügel fest in der Hand. Er hat seine Gruppe Shake Stew in den letzten vier Jahren zu einer der aufregendsten Formationen des europäischen Jazz bemacht. Und das Publikum dankt es dem Senkrechtstarter: der große Saal im Tübingen Sudhaus war mit mehreren hundert Zuhörern voll besetzt, was für eine österreichischen Jazzgruppe eine Leistung ist.
Der Emanzipation des Bassisten ist nicht das einzige eherne Jazzgesetz, das Kranzelbinder über den Haufen wirft. In Zeiten, in denen eher kleine Gruppen die Szene bestimmen (weil Trios billiger und ökonomisch leichter zu unterhalten sind), hat der Österreicher eine kleinere Bigband aus der Taufe gehoben. Shake Stew umfasst sieben Mitglieder, wobei sich Kranzelbinder den Luxus leistet, die Position des Schlagzeugers und Bassisten, doppelt zu besetzen, was für eine ungeheuer dichte, mitreißende und dynamische Basis sorgt. Dabei spielen die beiden Bassisten und Drummer nicht einfach wild drauf los, sondern folgen einer genauen Choreographie, die sie manchmal synchron zusammenführt, dann wieder zu kontrapunktischen Gegenbewegungen animiert.
Über diesem Rhythmusteppich brennen die Melodiestimmen aus Altsaxofon, Trompete und Tenorsaxofon ein wahres Feuerwerk an Melodien und Improvisationen ab. Dabei entpuppt sich Trompeter Mario Rom als der eher sensible Lyriker, während Clemens Salesny (Altsaxofon) und der Schwede Otis Sandsjö (Tenorsax) weit ruppiger und impulsiver agieren.
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Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung in Baden-Württemberg