Aufregender Neutöner
Von Barockmusik zur Avantgarde: Martin Mallaun spielt die Zither wie nie zuvor
Als “Museum der vergessenen Klänge“ bezeichnet sich eine Konzertreihe, die das Kulturzentrum im Alten Schlachthof in Sigmaringen veranstaltet. Dort werden von renommierten Solisten in Konzerten Musikinstrumente vorgestellt, die entweder aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden sind oder es nie zu größerer Popularität gebracht haben, also randständig geblieben sind. Bisher standen die Glasharmonika und das Trautonium im Zentrum eines Konzerts. Am Donnerstag, den 15. Oktober 2020 (Beginn: 20 Uhr), wird nun der österreichische Saitenvirtuose Martin Mallaun die Zither in einem Programm vorstellen, das von Musik der Renaissance bis zu elektronischen Sounds der Gegenwart reicht.
Im 19. Jahrhundert war die Zither aus der Volksmusik nicht wegzudenken. Sie war das bei weitem beliebteste Instrument weit und breit. Keine Trachtenkapelle, keine Varietégruppe und keine Tanzkapelle kamen ohne sie aus. Auch für die Gesangsbegleitung war das Zupfinstrument unerläßlich. Darüber hinaus gab es beinahe in jeder kleineren Stadt ein Zitherorchester, in dem oft zwei Dutzend Hobbymusikanten (oder mehr) zusammenspielten. Unangefochten stand das Instrument über mehr als ein Jahrhundert im Zentrum der populären Unterhaltung.
In den 1950er Jahren hat der Soundtrack zum Film “Der Dritte Mann” der Zither noch einmal ein Comeback beschert und wenigstens für Filmfans unsterblich gemacht. Wenn heute von dem Instrument die Rede ist, denkt jeder sofort an den mit einem Oscar prämierten Streifen mit Orson Welles in der Hauptrolle und der einprägsamen Titelmelodie, gespielt auf der Zither: dem “Harry Lime Theme”.
Von diesem Ruhm hat die Zither lange gezehrt. Heute ist davon nicht mehr viel übrig. Das Instrument hat in den letzten Jahrzehnten einen eklatanten Bedeutungsverlust erfahren und ist aus der populären Musik fast völlig verschwunden. Selbst im volkstümlichen Musikantenstadl dominieren heute elektronische Keyboards den Sound.
Dagegen erlebt die Zither an den Musikhochschulen im Alpenraum ein fulminantes Comeback. Doch wird dort kaum noch die traditionelle Zitherliteratur gepflegt, sondern neue Möglichkeiten des Instruments erkundet: Zum einen werden im Rückgriff auf die Vergangenheit Renaissance- und Barockkompositionen für Zither transkribiert, andererseits avantgardistische Klänge und experimentelle Möglichkeiten ausgelotet, was die Zither in einen aufregenden Neutöner verwandelt.
Aus dieser Szene kommt Martin Mallaun. Der junge Österreicher hat sich in den letzten Jahren mit der Interpretation kühner Kompositionen zu einem der wichtigsten Erneuerer der Zither gemausert. Dabei schlägt Mallaun einen weiten Bogen, der vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht und selbst noch einen Blick in die Zukunft wagt. Mallaun hat Renaissancemusik von John Dowland auf die Zither übertragen, auch Barockstücke von Jan Sweelinck, die er mit gewagten Improvisationen, Klangerkundungen und elektronischen Sounds kontrastiert, wodurch eine faszinierende, ganz eigene Klangwelt entsteht. Mallaun hat bei modernen Komponisten eigens Werke in Auftrag gegeben, wobei der Tiroler manche dieser Stücke auf einer speziellen Zither präsentiert, die er eigens zu diesem Zweck nach seinen Vorgaben anfertigen ließ. Musikalische Feinschmecker dürften an diesem außergewöhnliche Konzert ihre Freude haben – Neuentdeckungen eingeschlossen!
Weitere Infos und Kartenreservierungen: www.schlachthof-sigmaringen.de
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