Sunday 27 June 2021

KRAAN@50

Beste Freunde

 

Die bekannte Jazzrockgruppe Kraan feiert 50jähriges Jubiläum


 Foto: Lars Wege


 

cw. Im Fußball muß man elf Freunde sein – drei genügen in der Rockmusik: Hellmut Hattler (Baßgitarre), Peter Wolbrandt (E-Gitarre) und Jan Fride (Schlagzeug) gründeten 1970 die Jazzrockgruppe Kraan und traten im Mai 1971 in ihrer Heimatstadt Ulm zum ersten Mal auf – 50 Jahre später sind die drei immer noch beisammen. In diesem halben Jahrhundert haben sie Popgeschichte geschrieben und Kraan zu einer der profiliertesten und langlebigsten Formationen der deutschen Krautrockszene gemacht mit einem Sound, der bis heute nicht nach Mottenkiste klingt, sondern Jazz, Rock und Funk zu einer eigenständigen Fusionmusik verbindet.

 

In den 1970er Jahren hatten Kraan ihre große Zeit. Ein Jahr nach Woodstock von vier wildentschlossenen Schul- und Uni-Abbrechern ins Leben gerufen, spielte man zu Beginn Freejazz im Ulmer Jazzkeller “Sauschdall”. „Wir hatten dort Brötzmann und Schlippenbach gehört, was uns mächtig imponiert hat,“ erinnert sich Jan Fride. Allerdings entfaltete die Rockmusik bald eine noch größere Sogkraft. Kraan zogen nach Westfalen ins abgelegene Weidegut Wintrup, wo sie für ein paar Jahre mit Freundinnen, Manager und Roadies als Popkommune zusammenwohnten. Gleich hinter dem Hof begannen die Felder, dahinter erhob sich der Teutoburger Wald. Weit ab vom nächsten Dorf, konnten man hier Tag und Nacht Musik machen und die Verstärker aufdrehen, ohne dass es jemand gestört hätte. Regelmäßig schneiten befreundete Musiker herein, ob von Guru Guru, Exmagma oder Karthago, die auf dem Weg zum nächsten “Gig” ein Nachtquartier suchten. Dann wurde manchmal bis in die Morgenstunden gejammt. 

 

In den Wintrup-Jahren ließ Kraan mit einer Reihe exzellenter Schallplatten aufhorchen. “Keiner von uns hat damals an Karriere gedacht, das hat sich einfach so ergeben”, rekapituliert Fride die Entwicklung. Die LP “Andy Nogger” wurde 1974 im Studio des legendären Toningenieurs Conny Plank aufgenommen, der auch das folgende ‘Live’-Album produzierte. Auf den Einspielungen stachen Hellmut Hattlers treibende Bassläufen heraus, aber auch die elektrisch verzerrten Saxofonlinien von Johannes “Alto” Pappert, die melodischen bis schneidenden Gitarrensoli von Peter Wolbrandt und das groovende Schlagzeug von Jan Fride trugen ihren Teil zum typischen Kraan-Sound bei.  

 

Mehr als hundert Konzerte im Jahr absolvierte die Gruppe damals. Bei jedem Wetter ging es im Bandbus kreuz und quer durch die Bundesrepublik. “Im Winter war es manchmal saukalt, die Straßen spiegelglatt – Horrortrip”, erinnert sich Fride. Man spielte in Kulturzentren, Underground-Diskotheken, Jugendclubs und Festhallen und ließ kein Open Air aus, wobei der Auftritt beim legendären Roskilde-Festival in Dänemark 1975 einen Höhepunkt markierte. “Bei den Auftritten haben wir ein Stück angespielt und dann 20 Minuten drauflos improvisiert, wobei wir froh waren, wenn uns am Schluß das Thema  wieder eingefallen ist,” beschreibt Fride das Konzept der Band.

 

Allerdings zehrte das anstrengende Tourneeleben an den Kräften, und auch in der Bandkommune lief nicht alles reibungslos. “Es gab keine Vorschriften, kein Privateigentum,” schildert Hellmut Hattler die Situation. “Es gab keinen Spülplan und keinen Putzplan. Es war alles auf Freiwilligkeit angelegt, was nur mäßig funktionierte.“ Drogen trugen ihren Teil zum Chaos bei. Hellmut Hattler packte als erster die Koffer und kehrte mit Freundin nebst Säugling nach Ulm zurück, blieb jedoch in der Band. Dann quittierte Saxofonist “Alto” Pappert den Dienst, dessen vakante Stelle vom Keyboarder Ingo Bischof (von der Berliner Gruppe Karthago) eingenommen wurde. Nach etlichen Umbesetzungen, Stilwechseln, längeren Auszeiten und ein paar frischen Anläufen – zeitweise saßen Curt Cress oder Gerry Brown am Schlagzeug – war irgendwann Schluß. Kraan warfen das Handtuch.

 

Jedoch waren die freundschaftlichen Bande so stark, dass man immer wieder einmal einen Neustart versuchte, der aber nie richtig an Fahrt gewann, weil Soloprojekte in die Quere kamen. Erst um die Jahrtausendwende begann die zweite kontinuierliche Etappe in der Bandgeschichte. Jetzt war man abermals als Quartett mit Keyboarder Ingo Bischof unterwegs, der allerdings nach ein paar Jahren endgültig ausschied. Seitdem sind die drei Freunde wieder unter sich, die einst als Klassenkameraden in der Ulmer Waldorfschule durch die Musik zusammenfanden. 

 


Letztes Jahr ist Kraans aktuelles Album “Sandglass” erschienen, das die einzelnen Musiker Corona-bedingt im Overdub-Verfahren unabhängig von einander in ihren jeweiligen Heimstudios aufgenommen haben. Knackige Bassläufe, facettenreiche Melodien, funkelnde Akkordflächen, feindosierte Soli und messerscharfe Unisono-Passagen verzahnen sich gekonnt zu entspannten Songs oder abgehangenen Instrumentalnummern, welche die Krautrock-Veteranen als Meister ihres Fachs zeigen. Jetzt hoffen die drei nur noch, dass sie sich zum 50jährigen Bandjubiläum bald wieder zu Auftritten treffen können.  

 

Aktuelles Album:

Kraan –  Sandglass (36Music)

 

 

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