Sunday 15 January 2023

SCHEIBENGERICHT 12: Twinkle3 featuring David Sylvian

Haikus als Zauberformeln 

Twinkle3 mit David Sylvian


Twinkle3


Wertung: 4 von 5 

 

cw. Es kommt nicht häufig vor, dass Popstars zu Avantgardisten werden: Scott Walker war so ein Fall. David Sylvian ist ein anderes Beispiel. Seit der Sänger 1983 die Popgruppe Japan verließ, folgte er seiner künstlerischen Intuition, die ihn mehr und mehr in experimentelle Breitengrade führte. Für seine Alben zog er Musiker wie Holger Czukay, John Tilbury, Arve Henriksen, Evan Parker und Keith Rowe heran, die unter seiner Regie Klanglandschaften zwischen Ambient, Experiment und freier Improvisation kreierten. 

 

Jetzt leiht Sylvian einem Album des englischen Trios Twinkle3 seine Stimme, das aus den Elektronikern Richard Scott und Dave Ross sowie dem Spezialisten für asiatische Blasinstrumente, Clive Bell, besteht. Die drei erzeugen abstrakte „Soundscapes“, die vor Elektrizität nur so brickeln und knarzen. Da tickt es geigenzählermäßig, danach heben sturmartige Turbulenzen an, während in einem anderen Stück mächtige Soundwellen an eine imaginäre Küste schlagen.


David Sylian (SAMADHISOUND)


Die mit Bedacht gesetzten, angerauhte Langtöne, die Clive Bell der japanischen Bambusflöte Shakuhachi entlockt, geben den Improvisationen eine dramatische Note. Mit der thailändischen Mundorgel Khene wechselt Bell zeitweise zu einem rhythmischen Spiel mit Intervallen und Akkorden, wobei er bei einem anderen Titel verhangene Töne auf einem Blasinstrument namens Pi Saw aus Laos bläst. 

 

Im freien Interagieren entfaltet sich dabei ein faszinierendes Vexierspiel zwischen akustischen und elektronischen Instrumenten. Dass die Blastöne zusätzlich noch verfremdet und mit Hall und Echo verändert werden, trägt zur zusätzlichen Verrätselung bei. 

  

Überraschenderweise tritt David Sylvian nicht als Sänger auf, sondern agiert ausschließlich als Rezitator mittelalterlicher Gedichte, die um Tod, Abschied und Vergänglichkeit kreisen. Im Kontrast dazu rezitiert die ehemalige Vokalistin der Frank Chickens , Kazuko Hohki, Haikus sowie japanische Verse aus dem 16. Jahrhundert, die für westliche Ohren wie geheimnisvolle Zauberformeln klingen. 


Twinkle3 featuring David Sylvian & Kazuko Hohki: I Borrow Moonlight (Youtube)


Die Worte werden äußerst sparsam gesetzt, was ihnen umso größeres Gewicht verleiht, doch machen sie auch ohne Bedeutungsgehalt als reine Lautphänomene Sinn. Sylvian und Hohkiverzichten beim Sprechen auf jedes Pathos, tragen ruhig, ja fast nüchtern vor. Im Zusammenspiel entsteht so eine in vielen Farben schillernde Musik, die ein ureigenes Gepräge besitzt und in wahrhaft wundersame Welten aus Klängen und Worten entführt. 


Twinkle3 featuring David Sylvian & Kazuko Hohki: Upon This Fleeting Dream (Cortizona)

 

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