Tuesday, 14 March 2023

Rembetiko fürs elektronische Zeitalter

GASTBEITRAG VON SIMON STEINER


Post-Rembetiko: Antonia Kattou geht andere Wege


Portrait der zypriotischen Musikerin 


 

Auf einem unüblichen Rembetiko-Pfad befindet sich die griechische Zypriotin Antonia Kattou, geboren 1999 in Nikosia. Kattou ist vom Genre Rembetiko begeistert, respektiert die Originale aber arrangiert sie neu.



Antonia Kattou, geboren 1999 in Nikosia, mischt zu den alten Liedern Geräusche aus ihren field-recordings, Effekte, Synthesizer, elektrische Gitarre, Schlagzeug-Samples und mehrstimmigen Gesang, es entsteht  ein „Rembetika-Mix.“ Kattou schrieb mir: „Ich wollte verstehen, wie ich als griechische Zypriotin mit dem Rembetiko verbunden bin. ... Ich habe schon als Jugendliche im Elternhaus die Rembetika der Nachkriegszeit gehört, Sotiria Bellou und Tsitsanis, aber ich erinnere mich auch, dass ich dabei als Kind gemischte Gefühle empfand.“


Kattous Musik ist von östlichen mediterranen Klängen, traditioneller zypriotischer Musik und griechischen Volkstanzrhythmen beeinflusst. Verzögerungen und Ausdehnungen lassen ihre Musik sphärisch klingen. Es entstehen große Klanghallen, wie „wattiges“ Ambiente. Ein mit einem Geigenbogen gestrichenes Becken oder dezente Trommeln ertönen behutsam. Das mehrstimmiges Mitsingen der Original-Rembetika klingt bezaubernd. Ihre Musik klingt nostalgisch, zeitgenössisch und futuristisch zugleich. Man befindet sich auf einer Reise durch verschiedene Orte und Zeiten. Kattou produzierte ihr Album sound adaptations of rebetika tsimpita in Glasgow, Athen und Nikosia mit der Unterstützung anderer Mitmusiker.


 

Diaspora und Migration


Griechische Migranten, die nach der sogenannten Kleinasiatischen Katastrophe 1922 erst nach Griechenland und wenige Jahre später in die USA auswanderten, haben es der Migrantin Kattou angetan. Sie beschäftigt sich mit Maqam (oder Makam, hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Maqam_(Musik)), den türkisch-arabisch-persischen Tonleitern der Smyrneika-Musik, die um 1900 in der multikulturellen Café-Aman-Musik aus Smyrna und Istanbul verwendet wurden. (hier: https://christophwagnermusic.blogspot.com/2020/12/das-kosmopolitische-smyrna-und-seine.html) Sie ist selbstverständlich auch Kennerin der Dromoi, also „Wegen“ oder modalen Tonleitern, die den Rembetika ihre eigenen unverwechselbaren Melodien geben. (hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Dromos_(Musik))


Klangadaptionen Rembetika Tsimpita


Kattou weist in ihren Internet-Texten auf zwei Gemeinsamkeiten von Blues und Rembetiko hin, die ihr auch persönlich wichtig sind: die Spielweise Tsimpita und die Improvisation.


Tsimpita


Giorgos Katsaros, dem Kattou zwei ihrer Arrangements widmet, wanderte als junger Mann in die USA aus und zupfte auf seiner Gitarre Rembetika mit den Fingernägeln. Diese Spielweise nennt sich Tsimpita. Zupfen ist auch für afro-amerikanische Bluesgitarristen eine Selbstverständlichkeit.



Improvisation


Die freie Improvisation ist eine weitere Gemeinsamkeit von Blues und Rembetiko. Im Rembetiko heißt sie Taximi. Sie macht die Einleitung eines Rembetiko aus und ebnet den Weg des Liedes. Im Blues finden die Improvisationen durch die Betonung der Blue Notes (kleine Terz, kleine Septime und verminderte Quinte) auf der Tonleiter statt.

Lebensweltlich betrachtet spüren wir in beiden Musik Genres die Emotionen Schmerz und Leidenschaft von migrierten Randgruppen und Außenseitern – sowohl im traurigen afro-amerikanischen Blues als auch im melancholischen Rembetiko. Teilen beider Randgruppen gelang es im Laufe der Zeit, Underground oder Subkultur zu verlassen und in die Salons des Establishment aufzusteigen. Beiden Musikgenres ist auch die Elektrifizierung ihrer Hauptmusikinstrumente Gitarre und Bouzouki gemeinsam. Beide phrasieren teilweise „schleppend“, manchmal hören sich beide Genres „hinkend“ an: Der Blues mit seinen Synkopen, Rembetiko mit seinem Kofto, dem „geschnitten“ wirkenden Rhythmus.

Der große Unterschied zwischen ihnen: Der Blues ist harmonisch, basiert auf drei Akkorden und dem bekannten 12-Takt Schema, das Rembetiko primär auf den Melodien von Maqam und Dromoi.


Hören:

https://antoniakattou.bandcamp.com/album/sound-adaptations-of-rebetika-tsimpita


soundcloud.com/kattouxo/sets/sound-adaptations-of-rebetika-tsimpita-excerpts

 

Mehr:

https://linktr.ee/antoniakattou


Vollständiger artikel auf griechisch und deutsch:
 

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