Friday, 24 March 2023

Sebastian Rochfords Traueralbum

 Töne, die Trost spenden

 

Der englische Schlagzeuger und Komponist Sebastian Rochford über sein neues Album „A Short Diary“, das dem Andenken seines Vaters gewidmet ist 



Interview von Christoph Wagner

 

Wenn Patti Smith auf Tournee nach Europa kommt, ist „Seb“ Rochford ihr Drummer. Der Schotte, Jahrgang 1973, der seit langem in London lebt, hat sich einst mit seiner Band Polar Bear einen Namen gemacht. Nach zwölf Jahren löste er die Gruppe auf, um mit Pulled By Magnets ein Trio zu gründen, das musikalisch seine indische Herkunft (mütterlicherseits) mit seinem Faible für Hardcore und Grunge verbindet. Daneben war er in den letzten Jahren in eine Vielzahl anderer Projekte involviert: Unlängst hat er die LP „A Kind of Blue“ von Miles Davis mit einem Quartett aus zwei E-Gitarren, Kontrabaß und Drums neu interpretiert. Jetzt ist bei ECM das Album „A Short Diary“ erschienen, das Rochford mit dem Pianisten Kit Downes eingespielt hat und das einem traurigen Anlaß entsprang.

 

Ihr neues Album ist für sie eine ganz spezielle Einspielung – warum?

 

Sebastian Rochford: Das Album war nicht geplant. Die Kompositionen entstanden direkt nach dem Tod meines Vaters. Ich war bei ihm, als er starb. Gleich am nächsten Tag begann diese Musik in mir zu singen. Zuerst wollte ich nichts davon aufschreiben, weil ich den Tod meines Vaters nicht für andere Zwecke instrumentalisieren wollte. Als ich dann aber diese Melodien am Klavier zu spielen begann, war das ein echter Trost für mich. Ich hatte ähnliches schon beim Tod meiner Mutter 1991 erfahren, als ich achtzehn war. Ich versenkte mich damals in Musik. Ich notierte dann die Melodien und machte erste Aufnahmen am Klavier. Das wäre ganz im Sinne meines Vaters gewesen, der ein paar Tage vor seinem Tod noch davon sprach, wie ihn das Musikmachen in unserem Haus immer erfreut hatte. Die Erkenntnis reifte, dass ein Album mit diesen Stücken, eine Gelegenheit wäre, meinen Vater zu ehren. Auch war es eine letzte Chance, die Atmosphäre unseres Hauses einzufangen, in dem ich aufgewachsen bin, und das nach dem Tod unseres Vaters verkauft wurde. So ist wenigstens eine letzte Audio-Erinnerung entstanden.



Mir war nicht bewußt, dass sie auch Klavier spielen. Sie haben sich vor allem als Schlagzeuger einen Namen gemacht ...

 

SR: Klaviermusik war bei uns daheim immer präsent. Mein Vater mochte Bachs Goldberg-Variationen von Glenn Gould, während meine Mutter Platten von Bill Evans und Keith Jarrett auflegte. Als ich als kleiner Knirps den Wunsch äußerte, Schlagzeug spielen zu wollen, schlugen mir meine Eltern einen Deal vor: Zuerst sollte ich Klavier lernen, dann Schlagzeug. Das Klavier war deshalb das erste Instrument, das ich spielte, und bedeutet mir viel, weil es mich an meine Kindheit und Jugend erinnert.

 

Die Stücke auf dem neuen Album sind kein Jazz, eher kleine songhafte Stücke, die manchmal an Kirchenhymnen erinnern....

 

SR: Ich bin katholisch getauft und hörte Hymnen im Gottesdienst, die aber keinen größeren Eindruck hinterließen. Allerdings spielte mein Vater daheim neben Bach auch Musik des Renaissance-Komponisten Thomas Tallis. Diese Einflüsse sind unterbewußt immer präsent. Als ich die Stücke komponierte, ging es mir darum, die Schwingungen nach dem Tod meines Vaters einzufangen. Ich stellte mir die Frage: „Welche Musik hätte er gerne gehört?“ Er schätzte Musik, die einen an einen anderen Ort transportierte. Darauf zielte ich ab.

 

Wie wurde das Album aufgenommen?

 

SR: Um es einzuspielen, dachte ich sofort an den Pianisten Kit Downes, mit dem ich vor Jahren ein Duo bildete. Ich fragte ihn, und er bekundete Interesse. Ich schickte ihm meine Aufnahmen der Stücke samt den Noten. Dann trafen wir uns und probten. Um die Stücke aufzunehmen, fuhren wir nach Aberdeen ins Haus meiner Eltern, wo wir eines Abends aufnahmen. Jedes Stück klappte auf Anhieb. Es war mir wichtig, die spezielle Atmosphäre des Raums einzufangen, auch den Klang des Klaviers, auf dem ich das Klavierspiel erlernt hatte und das ursprünglich meinem Großvater gehörte.


Sebastian Rochford / Kit Downes: Silver Light (youtube)


Wie passten sie ihr Schlagzeugspiel den Songs an?

 

SR: Ich habe versucht, der Einfachheit der Kompositionen gerecht zu werden, die Stücke bewußt als Songs zu begleiten. Es ist ja eigentlich ein Piano-Album. Ich habe mit Besen gespielt, gelegentlich auch mit Drumsticks. Das Schlagzeug ist manchmal da, manchmal abwesend. Darin lag eine Herausforderung, weil es technisch gesehen nicht sehr anspruchsvoll ist, was ich spiele. So habe ich das Schlagzeugspiel immer aufgefaßt: im Dienste der Komposition zu spielen. Paul Motian war mein Vorbild, weil sein Spiel soviel Raum hatte.

 

Die Platte erscheint bei ECM. Wie kam der Kontakt zustande? 

 

SR: Ich kannte Manfred Eicher von Studiosessions mit Andy Sheppard, weshalb ich instinktiv an ECM dachte. Ich schickte ihm das Tape und er sagte zu. Ich überließ ihm komplett das Abmischen, da ich ihm voll vertraute, was sich als richtig erwies: Der finale Mix war genau so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte - perfekt!

 

Sebastian Rochford & Kit Downes: A Short Diary (ECM)


Das Interview erschien zuerst in der Zeitschrift JAZZTHETIK – für Jazz und anderes, Heft 3/4 2023


 

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