Friday, 12 April 2019

LUCAS NIGGLI – Das Ein-Mann-Trommelorchester

Das Ein-Mann-Trommelorchester

Der Schweizer Schlagwerker Lucas Niggli spielt ein außergewöhnliches Konzert im Alten Schlachthof in Sigmaringen 
                                                                                   Foto: Christoph Wagner

cw. Schlagzeuger waren lange Zeit das fünfte Rad am Wagen einer Jazzband. Sie wurden als Musiker nicht richtig ernst genommen. Ihnen kam die Aufgabe zu, den Takt zu markieren und das Tempo zu halten – mehr nicht! Während Pianisten, Saxofonisten und Trompeter im Rampenlicht standen und sich im Applaus sonnten, fristete der Drummer im hinteren Teil der Bühne eine kaum beachtete Existenz. Er war einzig und allein als Rhythmusknecht gefragt.   

Mit Baby Dodds änderte sich das alles. Der Drummer von Louis Armstrong war selbstbewußt genug, um als erster solistisch hervorzutreten. Seither sind Jahrzehnte vergangen und die Welt des Jazzschlagzeugs sieht mittlerweile völlig anders aus. Schlagwerker haben sich emanzipiert und mit den anderen Instrumentalisten gleichgezogen. Dass ein Trommler heute ganz alleine ohne Mitmusiker ein abendfüllendes Konzert bestreitet, ist keine Seltenheit mehr. Bei einem Auftritt in Sigmaringen im Kulturzentrum „Alter Schlachthof“ demonstrierte der Schweizer Spitzendrummer Lucas Niggli die Entwicklung in eindrucksvoller Weise.

Um nicht einfach nur ein langes konventionelles Schlagzeugsolo zu trommeln, sondern ein Konzert von über einer Stunde abwechslungsreich zu gestalten, braucht es ein Gespür für Klangfarben, Dynamik und Kontraste sowie einen Sinn für Form und Struktur. Dafür erwies sich Lucas Niggli als der richtige Musiker. Der Schweizer schöpfte die große Palette an Klangmöglichkeiten aus, die sein beachtliches Arsenal an Trommeln und Metallbecken bot, das er um eine Vielzahl kleiner Klangerzeuger und perkussiver Instrumente noch ergänzt hatte. Da gab es Maracas, Holzblocks, runde Eisenplatten, Schellenringe, Gongs und Glöckchen, die Niggli mit Stöcke und Klöppeln in allen nur erdenklichen Größen und Stärken anschlug, touchierte und rieb. Vom riesigen Gongschlägel bis zur dünnen Stricknadel, reichte das Spektrum an Gerätschaften, die Niggli hochvirtuos und voller Energie handhabte. Selbst ein Geigenbogen kam zum Einsatz, mit dem er den Becken singende Töne entlockte. Der Mann aus Uster setzte ein polyphones Trommelspiel in Gang, in dem er etwa mit dem Gong langanhaltende Klangflächen schuf, über die er dann eine zweite Ebene an manchmal explosiven Rhythmen und Schlagmuster legte. Gelegentlich meinten die Zuhörer nicht einem Solisten zu lauschen, sondern einem ganzen Trommelorchester, so dicht, komplex und vielschichtig gestaltete sich die Musik. Was einst Baby Dodds angestoßen hat, ist nach siebzig Jahren zu einem umfassenden Konzept solistischer Perkussionsmusik gereift. Niggli hat in den letzten Jahren mit den verschiedensten Ensembles schon ein halbes Dutzend Mal in Sigmaringen gastiert. Nach dem begeisterten Applaus zu urteilen, dürfte es nicht sein letzter Auftritt im „Alten Schlachthof“ gewesen sein. 

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