Tuesday 28 May 2019

Besprechung: JODELMANIA in der Süddeutschen Zeitung



Unerhört frei

Jodeln ist viel mehr als ein Sketch von Loriot, Jodeln hat eine lange Geschichte, ist Dialekt und musikalischer Ausdruck. Ein neues Buch ergründet die Urkraft der Vokalartistik

                            Erlacher Sängergesellschaft, München 1884 (Sammlung C.Wagner)

Von Christian Jooß-Bernau

„Es ist ja kein Genre mehr für mich, sondern ein Ausdruck, ein Dialekt geworden. Mehr ein Ausdünsten als ein Interpretieren." Die in Amerika geborene und in der Schweiz aufgewachsene Sängerin Erika Stucky hat sich das Jodeln für ihre Kunst einverleibt. Es derart konsequent zu ihrem persönlichen Ausdruck gemacht, dass sie sogar mit dem archaischen Schlagwerker und Klangdenker FM Einheit spielen kann. (...)

Christoph Wagner hat Erika Stucky für sein bei Kunstmann erscheinendes Buch "Jodelmania. Von den Alpen nach Amerika und darüber hinaus", interviewt. Am Donnerstag, 30. Mai, wird Wagner in der Monacensia das Ergebnis seiner jahrelangen Musikforschung vorstellen. Einen derart umfassenden Ansatz hat bis jetzt nur Bart Plantega gewagt, dessen durchaus lesenswertes Buch "Yodel-Ay-Ee-Oooo: The Secret History of Yodeling Around the World" von 2003 allerdings nur in der englischen Originalausgabe erhältlich ist. Wagner ist als Autor von fast meditativer Detailversessenheit, hat aber immer die große Linie der Historie im Blick. Und er hat Gespür für offensichtliche Unerhörtheit, die wohl nur fühlt, wer im süddeutschen Raum sozialisiert wurde. So hat er nach seine Einleitung ein Interview mit Franzl Lang gehängt, dessen Musikantenstadl-Gejodel weiten Teilen der Nachkriegsgenerationen wohl nicht als musikalische Großtat in Erinnerung ist. Aber Wagners Forscherinteresse hält sich nicht mit Geschmacksurteilen auf. Und so ist Lang in der Rückschau einer, der als Bravour-Jodler die Gesangstechnik voranbringt und virtuos zum Show-Effekt entwickelt.





Für Wagner ist dies nur Vorbereitung des Einstiegs in die Tiefe der Geschichte, die Ende des 18. Jahrhunderts mit den ersten Sängergruppen beginnt. Sie werden in Bezug gesetzt mit der romantischen Entdeckung und Idealisierung des Naturraumes und dem Aufbegehren auf dem Weg zur Demokratie. So scheint das kämpferische Tirol hier auf als "heroische, ja fast mythische Gebirgslandschaft, wo mutige, einfache, freiheitsliebende Menschen lebten."
In den Rang einer Frühform der Popmusik aber wird das Jodeln mit seinem Export nach England und Amerika erhoben, eine Pioniertat, die die Geschwister Rainer um 1820 aus dem Zillertal in die Welt führte. Das ist Auftakt der Jodelmania, die für viele kommende Gruppen die Aussicht auf Ruhm und Abenteuer in sich barg. Beeindruckend ist nicht nur die Fülle der Fotografien und Programmzettel, die Wagner zusammengetragen hat, interessant zu lesen auch, wie sich ein Tourneebetrieb entwickelt, der ein alpenländisches Gesamtpaket aus Kostümen, Bühnenbild und Musik schnürt, das natürlich auch Moden unterworfen ist und das Image des Naturwüchsigen für den Show-Rahmen aufbereitet. Das löste nicht nur Begeisterung aus. Vom "förmlichen Schwindel, der von fremden fahrenden Sängern mit dem Namen ,Tirol' getrieben wird", sprechen die Innsbrucker Nachrichten 1892. Tiroler Nationalsänger? Von wegen - Rheinländer, Thüringer, selbst Elsässer hat man ausgemacht. (...)
Uncle Tom & Hied Help, USA, ca. 1935 (Sammlung C. Wagner)
Auf fruchtbarsten Boden fällt der Gesang in Amerika. Die Saat geht auf beim Singing Brakeman Jimmie Rodgers, den im August 1927 die Idee einen Song mit ausgiebigem Jodler aufzunehmen zum Star katapultiert. "Yodel" wird Mode. Bei Hank Williams klingt er blue and lonesome, bei den DeZurik Sisters wird daraus uramerikanische Vokalartistik. 
Christoph Wagner: Jodelmania – von den Alpen nach Amerika und darüber hinaus.  320 Seiten; gebunden mit Schutzumschlag; mit vielen raren Abbildungen; Verlag Antje Kunstmann.  Euro 22.-

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