Sunday 12 May 2019

Soloalbum von IRMIN SCHMIDT (Can)

Klang-Kalligraphie

cw. Can-Keyboarder Irmin Schmidt gibt Auskunft über sein aktuelles Piano-Album und die Geräusche, die entstehen, wenn man einen Rasierer über Klaviersaiten gleiten läßt

Sie haben gerade ein Album mit Klaviermusik veröffentlicht. Wie kam es dazu?

Irmin Schmidt: Ich habe mit dem Produzenten und Aufnahmetechniker Gareth Jones, der mit Depeche Mode, Nick Cave und Einstürzenden Neubauten gearbeitet hat, 1991 das Album „Impossible Holidays“ gemacht. Da gibt es Klavier drauf. Von dem Moment an hat Jones immer gesagt, wir müssen einmal eine Klavierplatte machen. Das kam immer einmal wieder zur Sprache. Doch irgendwie fehlte mir die Vorstellung, was das hätte werden können. Deswegen kam es nicht zustande. Vor zwei Jahren trat ich gemeinsam mit Thurston Moore – dem einstigen Gitarristen von Sonic Youth – in Paris im Louvre bei einem Konzert auf, bei dem ich seit vielen Jahren wieder einmal Klavier spielte. Daraus entstand die Idee mit Gareth Jones eine Platte mit präpariertem Piano zu machen. Ich habe dann bei mir zuhause in Südfrankreich den einen meiner beider Flügel präpariert und Gareth Jones hat die Aufnahmen gemacht.

Wie sind die Aufnahmen entstanden?

IS: Ich habe nichts komponiert, nichts vorab entworfen. Wir wollten Umweltgeräusche einbeziehen, die wir in einem Schilfgebiet unweit meines Studios aufgenommen haben. Alle Stücke habe ich nur einmal gespielt – das wars! Sie sind alle durchweg aus dem Augenblick heraus erfunden. 

Frei improvisiert?

IS: Ich mag das Wort „Improvisation“ in diesem Zusammenhang nicht. Das sind spontane Kompositionen, was Stockhausen „intuitives Musizieren“ genannt hat. Man spielt also nicht einfach drauflos, sondern Stücke entstehen, indem man sich selber genau zuhört. Das ist wie japanische Kalligraphie, wo die Tuschezeichnungen ja auch im ersten Durchgang entstehen – aus der ersten Bewegung. Ein kühner Pinselstrich – das ist es! Daran wird dann nichts mehr verändert oder verbessert, und auch vorher macht man keine Skizzen oder Zeichnungen. Die Kalligraphie entsteht in diesem einzigen Moment. So habe ich auch das Klavieralbum eingespielt.

Wenn es keine Vorentwürfe oder Vorüberlegungen gab, haben Sie sich mental auf die Aufnahmen vorbereitet?

IS: 70 Jahre lang, seit ich Musik mache. Meine ganze Erfahrung floß in diese Aufnahmen ein, die dann – wusch! – in einem Moment realisiert wurden. Es gibt irgendwann einen Zeitpunkt, wo etwas reif ist. 

Die Musik ist sehr reduziert. Sie arbeiten viel mit Pausen, lassen die Akkorde ausklingen. Ist das eine Sache des Alters, dass man sich aufs Wesentliche konzentriert, alles Dekorative wegläßt?
                                                                                                                       Irmin Schmidt bei Can (Promo)
IS: Wir haben bei Can schon gelegentlich sehr reduktionistisch gearbeitet, natürlich auch manchmal sehr verdichtet und intensiv, doch es gab damals bereits diese äußerst ausgedünnten Passagen. Man fängt mit einem Ton oder Klang an und entwickelt daraus sehr vorsichtig etwas. Das ist immer ein Element unserer bzw. meiner Musik gewesen. Auf der aktuellen Pianoplatte habe ich das nur noch radikalisiert: Der Verzicht auf alles Überflüssige. Es ist also mehr ein Prinzip meiner generellen Musikauffassung als so etwas wie Altersreife.

Sie wählten dafür die Technik des präparierten Klaviers, die von John Cage entwickelt wurde …

IS: Ich habe ein Konzert mit Cage-Kompositionen von David Tudor Anfang der 1960er Jahre gehört und war von dem Ansatz fasziniert. Ich habe dann John Cage getroffen und mir das Prinzip des „prepared piano“ erklären lassen. Ich gab damals Klavierabende, wo ich neben Mozart auch die Avantgarde präsentiert habe – dabei kamen auch Cage-Stücke zur Aufführung. Aber eigentlich war ich damals Orchesterleiter, Dirigent.

Wie war die Publikumsreaktion auf solch radikalen Klänge?

IS: Sehr unterschiedlich. Ich erinnere mich an ein Konzert in Heidelberg, wo ich eine Cage-Komposition für präpariertes Klavier gespielt habe. Danach folgte ein Stück vor mir, bei dem ich meinen alten Remington-Rasierapparat über die Baßsaiten gleiten ließ, was ein ganz irres Geräusch ergab. Da kam ein älterer Herr schreiend auf die Bühne gestürmt und schlug mir den Klavierdeckel auf die Hände, so empört war er. „Wie können Sie nur?“ hat er gebrüllt und ist richtig tätlich geworden. Er musste von den Veranstaltern von der Bühne geholt werden. Das war natürlich die extremste Reaktion. Selbstverständlich gab es auch Zustimmung. Doch insgesamt war das Publikum recht gespalten.

Hören Sie daheim Klaviermusik?

IS: Eher beim Autofahren. Ich schalte das Autoradio an, und hier in Frankreich läuft da oft Klaviermusik von Bach bis Chopin – die ganze Klavierliteratur.

Wer sind ihre Lieblingskomponisten, was Klavierstücke anbelangt?

IS: Schumann, auch Brahms, die romantische Klavierliteratur. Dafür habe ich eine Vorliebe.

Wie sieht es mit zeitgenössischen Komponisten aus? 

IS: Natürlich Cage, aber auch Conlon Nancarrow mag ich sehr gerne. Doch sind seine Kompositionen für mechanisches Klavier entworfen, für das „Player Piano“, das mit Rollen betrieben wird. Das klingt absolut irre – fantastisch!

Irmin Schmidt: 5 Klavierstücke (Mute Records)

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