Die älteste Band der Welt
Nach mehr als zwanzig Jahren erscheint ein neues Studioalbum des Sun Ra Arkestra
cw. Verglichen mit dem Sun Ra Arkestra sind selbst die Rolling Stones Jünglinge. Seit fast 70 Jahren gibt es das Arkestra, das zu den profiliertesten Gruppen des modernen Jazz zählt. Anfang der 1950er Jahre vom charismatischen Bandleader und Pianisten Sun Ra in Chicago gegründet, wird die Gruppe seit dem Ableben ihres Leiters 1993 vom inzwischen 96jährigen Saxofonisten Marshall Allen geleitet, dem letzten Urmitglied. Doch nicht alle Musiker der Formation sind so betagt: Seit Jahren hat die Band junge Talente aufgenommen und so ihren Sound auf die Höhe der Zeit gebracht. Gerade ist ein neues Studioalbum mit dem Titel «Swirling» bei Strut Records erschienen, das erste seit mehr als zwanzig Jahren.
Früher glich die Band eher einem Mönchsorden. Im Gemeinschaftshaus, in dem die Musiker zusammenlebten, herrschte äußerste Disziplin. Der Tagesablauf war streng geregelt, in dessen Mittelpunkt die Musik als spirituelle Praxis stand. Denn für Sun Ra, bürgerlich Herman Poole Blount(1914 – 1993),waren Klänge das Medium, um mit den höheren Sphären in Verbindung zu treten: Musik öffnete das Tor zum Kosmos. Ansonsten bestimmte Askese den Alltag. Alhokol und andere Drogen waren verboten, Mädchen verpönt.
Und der Bandleader führte ein strenges Regime. Wer bei Vergehen ertappt wurde, aufbegehrte oder herumnörgelte, wurde mit vier Wochen Küchendienst bestraft, wenn man ihm nicht gleich den Koffer vor die Tür stellte. Trotz der rigiden Ordnung bewarben sich kontinuierlich neue Musiker um Aufnahme in die Gemeinschaft, von der eine enorme Faszinationskraft ausging.
Das hatte vor allem mit der exzellenten Musik zu tun. Sun Ra spannte den Bogen von der Jazztradition bis zur Avantgarde, wobei sein bunter Mix aus Swing und Freejazz auch elektronische Klangnebel einschloß. «In der Schule lernt man alles zu wissen. Bei mir lernt man, dass man noch nicht alles weiß,» lautete ein Leitspruch, dem er unbeirrt folgte. Die Arrangements seiner Kompositionen, von denen er täglich neue schrieb, wurden mit Akribie einstudiert und mit Präzision in Szene gesetzt, die Improvisationen sprühten vor Feuer.
Seit 25 Jahren führt nun Marshall Allen das Arkestra. Unter seiner Regie wurden die Verhaltensregeln gelockert, nicht aber die musikalischen Standards. Beim Soundcheck staucht der Senior seine Musiker gelegentlich ordentlich zusammen, wenn sie zu lasch und ohne Druck die Arrangements herunterleiern. Denn wie noch zu Sun Ras Zeiten gelten Disziplin und Präzision als oberste Prinzipien.
Früher probte Sun Ra mit dem Arkestra nicht selten acht Stunden am Stück, wobei es nur ein Entkommen gab, wenn der Bandleader am E-Piano einschlief und die Musiker sich dann leise aus dem Staub machten. Statt wie einst täglich am Repertoire zu feilen, wird mittlerweile nur noch ein oder zwei Mal die Woche geprobt. Da alle mit Feuereifer bei der Sache sind, verwandeln sich «Live»-Auftritte in ein Spektakel, besonders dann, wenn die Musiker in ihren glitzernden, fantasievollen Astronauten-Kostüme von der Bühne heruntersteigen und improvisierend durchs Auditorium schreiten.
Das neue Studioalbum wirkt gegenüber den «Live»-Auftritten kontrollierter, und endlich einmal ist der Sound des Arkestras tontechnisch optimal aufgenommen. Mit Verve breitet die 15köpfige Formation ihren musikalischen Afro-Futurismus aus, der zwischen Jazz, Elektronik und Groove pendelt und mit Parolen gewürzt ist, die wie Urformen von Rap klingen. Das Arkestra hat es geschafft, auch Jahre nach dem Tod seines Anstifters frisch und aktuell zu klingen. Für eine fast 70 Jahre alte Band ist das keine geringe Leistung.
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