Tuesday, 7 September 2021

Nachruf auf Peter Zinovieff – Synthi-Pionier

Zukunftsklänge

 
Der Synthesizer-Pionier Peter Zinovieff (1933-2021) brachte mit seiner Firma EMS die elektronische Musikrevolution in Europa in Gang 

Peter Zinovieff, in seinem Büro in Cambridge, 2011 (Foto: C. Wagner) 

 cw. Als ich ihn vor einigen Jahren in Cambridge wegen eines Interviews besuchte, hatte er alles fein säuberlich vorbereitet: Auf dem Tisch lag ein Aktenkoffer, den er vor meinen Augen öffnete: Zum Vorschein kam ein Gerät, das mit unzähligen Knöpfen und Schaltern versehen war. Was da so silbermetallisch schimmerte, erklärte mir Peter Zinovieff, sei ein „Synthi A” – ein früher Synthesizer seiner Firma EMS aus London. Der Synthi-Pionier legte ein paar Regler um, drehte an den Knöpfen, und schon begann die Maschine zu piepsen und zu rauschen. Jetzt ist der Synthesizer-Pionier im Alter von 88 Jahren verstorben. 

Als der „Synthi A“ 1971 auf den Markt kam, galt er als Sensation: ein kleiner kompakter Koffersynthesizer mit fast unbegrenzten Möglichkeiten, dazu noch zu einem erschwinglichen Preis. Kein Wunder, dass viele Popmusiker die Wunderkiste haben wollten. Ob Pink Floyd, King Crimson, Roxy Music oder Hawkwind, ob Jean-Michel Jarre, Tangerine Dream oder Kraftwerk - der „Synthi A” stand Anfang der 1970er Jahre bei Musikern, die neuen Klängen auf der Spur waren, hoch im Kurs. Was Robert Moog für die USA, war Peter Zinovieff für Europa: der Geburtshelfer der elektronischen Musikrevolution. 


EMS-Stand auf der Frankfurter Musikmesse, 1971


 
Die „EMS Synthesizer Company“ war Ende der sechziger Jahre in London entstanden, als kommerzieller Arm von Peter Zinovieffs  „Electronic Music Studio” (EMS). Das Soundlabor war in einem Haus an der Themse untergebracht, in dem der Komponist, Tüftler und Elektroniker an ausgefallenen Klängen und Tönen bastelte. 
 
Bei der Avantgarde war damals das Verfremden und Schneiden von Tonbändern en vogue, die dann zu Klangcollagen zusammengeklebt wurden. Diese Methode kam Zinovieff umständlich und veraltet vor. Ihm spukten kühnere Ideen im Kopf herum. Der Komponist und Studiobetreiber – Nachfahre russischer Aristokraten – war wohlhabend genug, um einen der ersten privaten Computer zu erwerben, ein Monster von einem Apparat. Mit der Datenmaschine versuchte Zinovieff elektrische Schwingungen und Schallwellen von Tongeneratoren, Oszillatoren, Transistoren und Ringmodulatoren zu steuern und zu formen. Avantgarde-Komponisten wie Hans Werner Henze und Harrison Birtwistle besuchten das „Electronic Music Studio“ in London, um ihre futuristischen Klangvisionen zu realisieren. Der Studiochef unterstützte sie dabei, entwarf aber auch eigenen Kompositionen, die schon in den 1960er Jahren weit in die Zukunft horchten. 
 
Der Unterhalt des Experimentalstudios verschlang Unsummen und zwang Zinovieff, über zusätzliche Verdienstmöglichkeiten nachzudenken. Mit dem Verkauf von Synthesizern sollte der Studiobetrieb finanziert werden. Der „Synthi VCS 3”, der 1969 als erstes auf den Markt kam, war ein kompaktes Modell. Keine andere Firma konnte mit etwas Ähnlichem aufwarten. Über Nacht stand das Londoner Unternehmen an der Spitze der elektronischen Musikentwicklung. Bald kam mit dem Koffersynthesizer „Synthi A” ein noch handlicheres Modell auf den Markt.

 
Die Ausstellungsräume von EMS im Londoner Stadtteil Putney wurden nun zur Pilgerstädte von Musikern auf der Suche nach neuen Klängen. Jeder Rock- und Popstar, der „up to date” sein wollte und über das nötige Kleingeld verfügte, schaffte sich einen an. Mit der englischen Prog-Rock-Gruppe Curved Air nahm Zinovieff hier ein halbes Album auf. Musiker scheuten auch weite Anfahrtswege nicht. Mitglieder von Kraftwerk und Tangerine Dream reisten eigens von Deutschland an, um direkt vom Hersteller ein Instrument zu erwerben, was wesentlich billiger kam. 
 
Der Jazzpianist Wolfgang Dauner kratzte seine ganzen Ersparnisse zusammen und kaufte sich ein Küchenbuffet von einem Synthesizer, den größten, den EMS im Angebot hatte: Der große „Synthi 100“ wog sechseinhalb Zentner und kostete fast soviel wie ein kleines Einfamilienhaus. Doch Dauner war derart fasziniert von seinen Möglichkeiten, dass er sich die Kosten aufbürdete. Mit Geräuschen zu arbeiten, wurde damals zu Dauners Leidenschaft.
 
Ob in Jazz, Pop, Rock, Funk oder Soul – überall erlebten die EMS-Synthesizer einen Boom. Doch immer mehr drängten auch andere Firmen wie Roland, Yamaha, Korg und Casio auf den Markt, die EMS bald den Rang abliefen. Nicht lange und sie dominierten das Geschäft. 1979 meldete EMS Konkurs an. Zinovieff verließ die Firma, die von ein paar Mitarbeitern auf kleiner Flamme weitergeführt wurde. Damit ging ein wichtiges Kapitel der elektronischen Musikgeschichte zu Ende – doch nicht ganz: denn heute stehen die klassischen EMS-Modelle wieder hoch im Kurs. Sie sind zu gesuchten Sammlerobjekten junger Elektroniker aus Techno und Ambient geworden, in deren Szene die analogen Sounds von EMS ein unverhofftes Comeback erlebten. Peter Zinovieff hat das alles mitangeschoben.
 
Peter Zinovieff: Electronic Calendar - The EMS Tapes (Space Age Recordings)

 

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