Sammelobsession
Zum Tod von JOE BUSSARD
(11. Juli 1936 – 26. September 2022)
Joe Bussard "down in the basement" vor den Regalen seiner Schellacksammlung
Wenn wieder Post von ihm durch den Briefschlitz der Haustür kam, roch man das unverzüglich, denn Joe Bussard rauchte Zigarre. Etliche Briefe (mit Musikcassetten) habe ich vom Schellacksammler aus Frederick, Maryland erhalten, als ich seit den 1990er Jahren für das Trikont-Label CD-Compilations mit amerikanischer Blues- und Hillbilly-Musik zusammenstellte. Und bei jeder Postsendung bemerkte ich sofort, selbst zwei Stockwerke höher, wenn wieder ein Brief von „Smokin‘ Joe“ dabei war.
Getroffen habe ich ihn nie, doch öfters mit ihm telefoniert. Die Zusammenarbeit verlief recht unkompliziert: Nachdem man seinen dicken, in Maschinenschrift getippten Katalog erworben und durchgesehen hatte (er müsste sich noch irgendwo hier in einer Schachtel in meinen Arbeitszimmer befinden), schickte man ihm ein paar Dollar plus die Liste mit den Titeln, die man gerne gehört hätte und die Joe einem dann auf Cassette aufnahm.
Stand nach ein paar Monaten die endgültige Auswahl für eine CD-Compilation fest, schickte man abermals einen Dollarbetrag nach Maryland, damit er in ein Studio gehen konnte, um die entsprechenden Stücke in Top-Qualität zu überspielen. Für die Veröffentlichung auf CD bekam er noch einmal einen gewissen Betrag. Das war alles sehr handfest: Musik gegen Geld, bei äußerst zivilen Preisen. So stellte ich mit seinen Schellacks als schier unerschöpflichem Reservoir und mit dem Fachwissen des britischen „Old Time Music“-Experten Keith Chandler die Trikont-CDs „Black & White Hillbilly Music“, „American Yodelling“, „Prayers from Hell“, „Flowers in the Wildwood“ und „Doom & Gloom“ zusammen. Und das unterschied Bussard von anderen Sammlern: Er saß nicht auf seinen Schätzen und ließ niemanden ran, vielmehr wollte er seine Schellacks so vielen Leuten wie möglich zugänglich machen.
Seit den frühen 1950er Jahren hatte Joe Bussard eine der größten, wenn nicht die größte Schellackplattensammlung amerikanischer „Roots Music“ zusammengetragen – ca. 20.000 Scheiben mit Blues, Hillbilly, Gospel, Cajun und frühem Jazz. Für eine solche Sammlerleistung braucht es eine nie versiegende Begeisterung für diese spezielle Art von Musik, und das über Jahrzehnte. Joe hatte diesen Enthusiasmus ohne Frage – eine geradezu kindliche Freude an "Old Time Music" –, und ließ jeden, der ein paar Dollar erübrigen konnte, daran teilhaben.
Mit dem Sammeln hatte er schon als Teenager begonnen, als er mit Freunden wie John Fahey (später ein renommierter Finger-Picking-Gitarrist) durch die Vororte der Städte seiner Heimatregion zog, an Haustüren klopfte und fragte: „Got any old records to sell ?“
Von seinem Kumpel John Fahey und anderen hat Bussard dann Ende der 1950er Jahre ein paar Schallplatten auf seinem eigenen Label Fonotone veröffentlicht – Neueinspielungen traditioneller Musik, als Schellacks gepresst, in Auflagen von ein paar Dutzend. Einiges aus dem Katalog von Fonotone wurde 2005 auf einer 5er-CD-Box vom amerikanischen Label Dust to Digital wiederveröffentlicht. Dem Label von Lance Ledbetter ist auch ein halbstündiger Dokumentarfilm zu verdanken, der tief in die Welt des Schellackplatten-Sammelns eintaucht. „Joe Bussard – King of Record Collectors“ heißt der Streifen, der ihn im Keller vor seinen Plattenregalen zeigt, wobei er über diverse rare Schellacks redet und den für einen Sammler glorreichen Moment beschreibt, als er sie fand. Dieser Film ist nicht die einzige Dokumentation über ihn. Auch der Film „Desperate Man Blues“ kreist um die Sammelobsession von Joe Bussard.
All das machte den Mann aus Frederick, Maryland in Sammlerkreisen zu einer Berühmtheit, und das zurecht: Seine riesige Schellack-Sammlung war einzigartig in den USA. Dabei zog er immer eine klare Geschmacksgrenze: Musik nach 1940 stand beim ihm auf der Giftliste. Er erklärte, er sei inzwischen zu einem Eremiten geworden, weil er nicht mehr ausgehen könnte, da man überall, wo man hinkommt, mit scheußlicher Musik "berieselt" werde. Hiphop und Pop hasste Bussard aus vollem Herzen.
Bei seiner wöchentlichen Radioshow, die er schon im Teenageralter mittels eines Piratensenders betrieb, ließ er Schätze seiner Sammlung hören. Darüber hinaus hat er CDs mit seinen besten Schellacks herausgegeben, eine etwa unter dem Titel „Down in the Basement“, was der Situation recht nahe kam, denn im Kellergeschoß' seines Wohnhauses befand sich sein Reich, eine Welt aus Schellack, fein säuberlich in Regalen geordnet. Hier war Joe Bussard in seinem Element. Hier war er ganz bei sich.
Die Sammelleidenschaft hat ihn nie verlassen. Jetzt ist Joe Bussard im Alter von 86 Jahren in Frederick, Maryland verstorben. Alle, die sich für "Old Time Music" interessieren, haben ihm viel zu verdanken. Mit den Schellacks hat er das Gedächtnis dieser frühen amerikanischen Stile aufbewahrt.
Dokumentarfilm: „Joe Bussard – King of Record Collectors“ (youtube)
No comments:
Post a Comment