Sunday 30 June 2024

Scheibengericht Nr. 29: Das Cello im aktuellen Jazz

TOMEKA REID QUARTET: 3+3

(Cuneiform Records)

 

Das Cello ist kein typisches Jazzinstrument, eher in der klassischen Musik zuhause. Dennoch gab es immer wieder Musiker und Musikerinnen, die dem Streichinstrument im modernen Jazz zu Prominenz verhalfen, angefangen bei Oscar Pettiford und Fred Katz über Diedre Murray, Abdul Wadud und Tom Cora bis zu Ernst Reijseger, Hank Roberts und Erik Friedlander. Seit ihrem Schallplattendebut 2002 auf Nicole Mitchells „Afrika Rising“ hat sich Tomeka Reid (Jahrgang 1977) als eine der neuen Stimmen des Cellos im aktuellen Jazz etabliert. „3+3“ ist das zweite Album ihres Quartetts mit Mary Halvorson (Gitarre), Tomas Fujiwara (Schlagzeug) und Jason Roebke am Baß. 

 

Tomeka Reid kam relativ spät zum Cello (in ihren Teenager-Jahren) und noch später zum Jazz (am Ende ihres Musikstudiums). Seither hat sie sich in die improvisierte Musik vertieft und auf einer Vielzahl von Alben ein eigenes Profil entwickelt. Ob im gezupften Pizzicato-Spiel, ob mit gestrichenem coll‘arco oder mit getupften Flageolets – immer erweist sich die Chicagoerin als souveräne Meisterin ihres Instruments, wobei sie in letzter Zeit zunehmend elektronische Klangmanipulatoren in ihre Ausdruckspalette einbezieht. 

 


Drei längere Stücke machen das Album aus, das als Suite konzipiert ist. Manchmal klangmalerisch in Szene gesetzt, dann wieder durchkomponiert mit Führungsmelodie und rhythmischer Begleitung, bewegen sich die Kompositionen durch unterschiedliche Klangsphären. Sogar elegische Passagen, ja selbst Singbares findet in diesem abwechslungsreichen Mix seinen Platz. Oft agieren Cello und E-Gitarre in fein ziselierter, kontrapunktischer Manier, wobei die beiden mit einfallsreichen Soli glänzen. Unisono-Passagen fungieren als Knotenpunkte, in denen sich die improvisatorischen Linien verflechten. Das Rhythmusgespann sorgt mit Swing und Elastizität für einfühlsame Begleitung, indem es auf die Einfälle und Geistesblitze der Solisten in kongenialer Weise reagiert.




Friday 28 June 2024

SCHEIBENGERICHT Nr. 28: J.J. Whitefield & The Forced Meditation – The Infinity of Nothingness

Ganz entspannt in Raum und Zeit

J.J. Whitefield & The Forced Meditation



Jan Weissenfeldt (alias J.J. Whitefield) hat das Ohr am Puls der Zeit. Es ist inzwischen mehr als 30 Jahre her, als der Gitarrist den klassischen amerikanischen Street-Funk von München aus mit den Poets of Rhythm eigenhändig neu belebte. Dann gab er beim Trikont-Label zwei beachtliche Alben mit Ethio-Jazz heraus, worauf sich auch ein paar Tracks der Whitefield Brothers befanden, der Band, die er mit seinem Bruder Max Weissenfeldt (Drums) betrieb. Die Einflüsse des Ethio-Jazz wurden mit seiner Formation Karl Hector & The Malcouns noch vertieft, wobei er sich zugleich mit Embryo den Krautrock-Wurzeln zuwandte, auch ein Album – ganz im Geiste der 'Kosmischen Kuriere' – mit Synthi-Klängen produzierte (Titel: Rodinia). 

Jetzt hat Weissenfeldt eine neue Band namens THE FORCED MEDITATION zusammengestellt und ein superbes Album produziert, das all diese Einflüsse nochmals in einer wunderbaren Symbiose vereint, wobei die Musik in Richtung "Spiritual Jazz" einer Alice Coltrane oder eines Sun Ra weisst, doch eine ganz eigener Prägung besitzt. 

Wie Weissenfeldt auf dem Eröffnungsstück die Saxofon-Stakkati und -Ostinati von Johannes Schleiermacher und Sascha Lüer als Rhythmusmotive einsetzt und sie mit einem Baß-Loop von Robin Jermer verbindet, ist höchst originell. Wenn dann auch noch Wolfi Schlick auf dem Track "Solar Breeze From The East" mit der Bassklarinette einsetzt, fühlt man sich unmittelbar an Herbie Hancocks "Sextant"-Album von 1973 erinnert, auf dem Bennie Maupin Baßklarintte blies. Ganz abgesehen von Weissenfeldts beachtlichen Gitarrensoli, die jedesmal neu aufhorchen lassen, fällt auf, dass die Querflöte, lange Zeit verpönt, in dieser Musik eine Rehabillitation erfährt. 

Mit größter Sorgfalt produziert, dazu ganz entspannt im Hier und Jetzt, wirkt die Musik um einiges lässiger und interessanter, als das meiste, was in letzter Zeit so zu hören war. Die Melodien, durch östlich-arabische Tonskalen wandernd, tragen einen in geheimnisvolle Sphären, weit hinaus in die Unendlichkeit von Zeit und Raum.  

J.J. Whitefield & The Forced Meditation – The Infinity of Nothingness (Jazzman)

Zum Reinhören: 







Tuesday 11 June 2024

Mittelalterliche Abbildung: Affe spielt Clavichord

Ein Bildnis aus dem Mittelalter, wohl Teil einer Buchillustration: ein Affe, mit einer Mönchskapuze auf dem Kopf, spielt auf einem Clavichord. Ein anderer Affe, ebenfalls mit Kapuze, hört ihm beim Musizieren zu. Wenn wir uns im Affe sehen und der Affe in der mittelalterlichen Kunst ein Symbol des Lasters der Dummheit ist, könnte das Bildnis dann eine Allegorie auf die Narrheit der Musik sein?