Thursday, 24 April 2025

Zum Tod von Pere-Ubu-Sänger David Thomas (1953 - 2025)

Zweimal hab ich ihn zum Interview getroffen – einmal in London, ein andermal in Halifax, als er mit den Two Pale Boys dort ein Konzert gab. Beim ersten Mal in den 1990er Jahren bekam ich vorab vom Management ein Fax zugeschickt, auf dem die Regeln für das Interview festgeschrieben waren. Eine hieß: keine Fragen zu Glaube und Religion, weil er – wie das Gerücht damals ging – sich den Zeugen Jehovas  angeschlossen hätte. Eine andere Regel lautete: "Don't call him Dave". Ich habe mich dran gehalten. Wie sich im Gespräch mit ihm herausstellte, war David Thomas ein Intellektueller von höheren Graden, der viel Interessantes zu sagen hatte. Als sein Lieblingsalbum und beste LP der Rockgeschichte überhaupt nannte er "Smile" von den Beach Boys, das Album, das nie erschienen ist – so könne es sich jeder als die schönste Musik imaginieren, die man sich nur vorstellen kann. Jetzt ist der Sänger und Frontmann von Pere Ubu im Alter von 71 Jahren gestorben.

Hier ein Text, den ich 2007 für den Schwarzwälder Boten über ihn verfasst habe.


Der Frauenfresser


David Thomas verwandelt Rockmusik in absurdes Theater


David Thomas & Pere Ubu, 2006 (Promo)


Nicht nur wegen seiner Körperfülle ist der amerikanische Rocksänger  David Thomas eine imposante Erscheinung. Sein Gesang hat ebenfalls Volumen. Im exzentrischen Tremolo seiner Stimme drückt sich sein überspanntes unberechenbares Wesen aus, das so berühmt wie berüchtigt ist. Mehr als einmal hat der amerikanische Rockvokalist einen Auftritt aus Zorn und Frustration abgebrochen, weil ihm irgend etwas nicht passte. Dann knallt er den Mikrophonständer in eine Ecke und giftet seine Mitmusiker, die Soundleute oder das Publikum an. Dämonen scheinen in seinem Inneren zu wüten. 


Seit mehr als 30 Jahren ist David Thomas Chef und Frontmann der amerikanischen Rockgruppe Pere Ubu, die heute in der alternativen Szene Kultstatus genießt. Wie Mark E. Smith von The Fall zählt er zu den “bösen Jungs des Rock”,  die immer  wieder für negative Schlagzeilen sorgen, aber trotzdem unbeirrbar ihrem eigenen künstlerischen Kompass folgen. Sie verwandeln Rockmusik in ein ernstzunehmendes künstlerisches Medium, ohne ihr den Stachel zu ziehen.


Mit Pere Ubu schmiedet David Thomas die explosive Wildheit von Rock ‘n’ Roll, Punk und New Wave in ein Ausdrucksmittel um, das selbst Avantgardisten aufhorchen läßt. Die Songs kommen mit einer brachialen Wucht daher, die Rhythmen sind unnachgiebig hart. Dazu skandiert er Texte, die literarische Qualität besitzen. In ihnen hat der Wahnsinn Freigang. 


Trotz Kritikerlob ist die Band  immer eine Außenseiterformation geblieben, obwohl sie wegen der rauschhaften Poesie und ungestümen Stimmeskapaden für Kenner als eine der besten Rockgruppen der Welt gilt. “Landschaften und ihre Menschen sind für meine Songs wichtig”, erklärt Thomas. “Ich möchte wissen, wie sie einander gegenseitig prägen. Was mich an Leuten interessiert, sind ihre Unterschiede, ihre verschiedenen Mentalitäten, die teilweise aus der Kultur kommen und mit dem Platz zu tun haben, wo sie leben.” Für David Thomas ist Cleveland in Ohio dieser magische Ort,  wo er die wichtigste Zeit seines Lebens verbracht hat. Hier in der Industriemetropole am Eriesee im amerikanischen Mittelwesten hat er seine Wurzeln, obwohl er schon seit längerem in Großbritannien lebt. 


In Cleveland wurde Pere Ubu 1975 aus der Taufe gehoben. Die erste Single führte zu einem Plattenvertrag, dem Album auf Album folgten. Obwohl die Presse jubelte, brach die Band 1979 auseinander, zermürbt von Tourneestress und inneren Spannungen. Frisch verheiratet, siedelte Thomas nach London über, wo er mit einer kleinen Begleitformation weitermachte, aber auch etliche Soloalben veröffentlichte, auf denen er sich gelegentlich von ehemaligen Ubu-Mitgliedern begleiten ließ. Dem zermürbenden Rockgeschäft enthoben, konnte Thomas Spontaneität und Kreativität zurückgewinnen und neue Horizonte erschließen. 1987 waren die Blessuren soweit abgeklungen, dass ein zweiter Anlauf möglich war. Das 1995 zum zwanzigjährigen Bandjubiläum erschienene Album ‘Ray Gun Suitcase’ wurden zu einem Meilenstein der Rockgeschichte. 


Heute haben die Konzerte der Band wieder den Intensitätsgrad der Anfangszeit erreicht, wobei auf der Bühne die Funken nur so sprühen. Verse werden wie im Delirium gelallt, Worte geröchelt und gekeucht, Silben bis zur Unkenntenlichkeit zerkaut. Die Gitarre kreischt dazwischen. Das Schlagzeug hämmert eine unerbittlichen Beat. In den Songs spielt das Unterbewußtsein mit dem Verstand Katz und Maus, verschwimmt die Wirklichkeit in Trugbilder und Albträume. 


Auf der Bühne läßt David Thomas seinen inneren Monstern freien Lauf. “Why I hate Women” (Glitterhouse) heißt das aktuelle Album der Band, wobei offen bleibt, ob der Titel ernst oder ironisch gemeint ist. Wahrscheinlich: beides!  Nicht ohne Grund hat sich die Band den Erfinder des absurden Theaters Alfred  Jerry als Patron gewählt. Sein bekanntestes Stück heisst Pere Ubu.


Pere Ubu 2018 in Kopenhagen (Youtube)


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