Portrait: TEODORO ANZELLOTTI - Bachs Akkordeon
Barockes Akkordeon
Teodoro Anzellotti ist der
führende Akkordeonist der E-Musik - J.S. Bach nähert er sich sachte und mit großer Empfindsamkeit an
CW. Sie sind nicht die natürlichsten
Partner: Johann Sebastian Bachs “Goldberg-Variationen” und das Akkordeon. Hier:
eines der schwierigsten Werke barocker Tastenkunst. Dort: ein Instrument, das
früher als “Schweineorgel” geschmäht wurde und eher am Tanzboden oder im
Wirtshaus daheim zu sein scheint. Wie soll das zusammengehen?
Teodore Anzellotti schafft das
Kunststück auf seinem neuen Album, das unter dem Titel “The Goldberg
Variations” gerade bei der Münchner Nobelmarke Winter & Winter im
besonderen CD-Schuber erschienen ist. Geschult in der Interpretation
avantgardistischer E-Musik sowie klassischer Kompositionen, ob Janácek oder
Satie, läßt Anzellotti die barocke “Clavier Übung” so natürlich klingen, als
wäre sie ursprünglich für das Akkordeon komponiert worden.
Die “Goldberg’schen Variationen”
von Johann Sebastian Bach waren in den Jahren vor 1741 entstanden, das genaue Datum
ist nicht bekannt. Ursprünglich für ein Cembalo mit zwei Manualen gedacht,
komponierte Bach das Werk für den Tastenvirtuosen Johann Gottlieb Goldberg, der
im Dienst von Graf Hermann Carl von Keyserlingk stand, dem russischen Gesandten
am Dresdener Hof und Freund von Bach.
Das Akkordeon kam erst hundert
Jahre später in die Welt - ein ähnlicher Geniestreich! Der revolutionäre
Klangerzeuger war ein Wunderwerk, der es von nun an jedermann erlaubte, ohne
große Vorkenntnisse Musik zu machen. Das verwandelte die Ziehharmonika in eine
(Hand-)orgel der Vorstädte, aus der man Gassenhauer und Tanznummern pumpte. Bis
sie zu einem voll entwickelten Instrument wurde, auf dem alles (selbst komplexe
Barockmusik) gespielt werden konnte, verging noch einmal ein Jahrhundert. Weil
das Akkordeon aus zwei Manualen besteht, rechts die Oberstimme und links der
Bass, war das Instrument wie prädestiniert für Barockmusik, die eigentlich für
ein Cembalo mit zwei Tastenreihen gedacht war. Es musste nur jemand kommen und
den Versuch wagen: Professor Hugo Noth, der in Trossingen lehrt, war einer der
Pioniere, der bereits in den 60er Jahren die barocke Musikwelt für das
Akkordeon erschloss.
Teodoro Anzellotti hat von Noth
gelernt. In Süditalien zur Welt gekommen, in Baden-Baden aufgewachsen, lebt der
Konzertvirtuose seit längerem in Freiburg i. B. Er gilt seit Jahren als der
führende Solist, der das Akkordeon zu einem Instrument gemacht hat, das über
jeden Zweifel erhaben ist. Mehr als 300 Werke haben führende Komponisten der
zeitgenössischen Musik eigens für ihn geschrieben, darunter solche
Schwergewichte wie Mauricio Kagel, Wolfgang Rihm, Luciano Berio und Heinz
Holliger.
Neben avantgardistischen Klängen
haben die verschlungenen Linien der Barockmusik Anzellotti immer fasziniert,
weshalb er schon früher Werke von Scarlatti und Froberger eingespielt hat. Bei
den Bach’schen Kompositionen gelingt es ihm, aus den hochverdichteten
Notenkaskaden und kontrapunktischen Verschlingungen klare melodische und
gedankliche Linien herauszuarbeiten. Er gibt den langsamen Sätzen eine
schwebende, fast transzendente Qualität, während er die schnelleren,
feingliedrigen Teile, mit solcher Dynamik und Imagination spielt, das ihr
jubilierender Charakter zum Vorschein kommt.
Ursprünglich hatte sich Graf Keyserlingk
von Bach “Clavierstücke” gewünscht, “die so sanften und etwas muntern
Charakters wären, dass er dadurch in seinen schlaflosen Nächten ein wenig
aufgeheitert werden könnte”. Genauso so spielt sie Anzellotti, als
Mondscheinmusik in silberblauer Nacht.
Aktulles Album:
Teodoro Anzellotti: J.S. Bach - Goldberg Variationen (Winter & Winter)
Beim Münchner Label ECM ist 2012 eine Einspielung der 'Goldberg Variationen' des ungarischen Pianisten Andràs Schiff erschienen, was mit Anzellottis Einspielung ein wunderbares Parallelhören ermöglicht.
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