SOULFOOD - Seelennahrung
Foto: Axel Kuestner CW. Als einst Jimi Hendrix im Januar 1969 auf Tournee in Deutschland war, versuchte ihm in Stuttgart sein Tourneeveranstalter Fritz Rau das schwäbische Nationalgericht Linsen mit Spätzle und Saitenwürstle nahe zu bringen. “Hendrix begann tapfer mit dem Verzehr. Aber sehr bald ließ er den kaum angerührten Teller stehen und entschuldigte sich für einen Moment,” schreibt Rau in seinen Memoiren. “Er kam nicht wieder. Wahrscheinlich war ihm schlecht geworden. Sein Tourmanager sagt mir: ‘Er kriegt dein Lieblingsessen beim besten Willen nicht runter, aber er möchte deine Gefühle nicht verletzen.’” Hätte Rau die Linsen als schwäbisches “Soulfood” angepriesen, wäre seine Mission vielleicht erfolgreicher verlaufen. Denn “Soulfood” ist neben “Soulmusic” ein Grundbestandteil afro-amerikanischer Kultur. Der Slang-Begriff steht für die schwarze Küche des amerikanischen Südens, für Essen, das nicht nur dem Magen guttut, sondern auch der Seele – Seelennahrung eben!
Soulfood ist nicht, was die Ernährungsberaterin empfiehlt. Diese Gerichte scheren sich keinen Deut um Kalorien oder die Gesundheit – im Gegenteil: Je fetter, desto besser, scheint das Motto zu sein. “Fat and yummy!” Hauptsache: deftig! Kein Wunder, dass aus Bayern, dem Land der Schweinshaxn, Semmelknödeln und Weißwürste, dieses Kochbuch kommt. Seit fünfzehn Jahren sammelt der Münchner Spitzenkoch und Soulmusik-DJ Sven Christ sowohl Rezepte schwarzer Hausmannskost, als auch alte Soul-Platten. Dazu ist er etliche Male in den USA unterwegs gewesen, hat Schallplattenläden nach gebrauchtem Vinyl abgeklappert und bei Leuten, wo er unterkam, nach alten Familienrezepten und speziellen Zutaten gefragt, wobei er sowohl Klangvolles als auch Leckeres zu Tage förderte: “Den Alligator in Würfel schneiden und in einem großen Topf in Öl anbraten”, lautet etwa die Kochanweisung für “Gator Stew” – Alligator Eintopf, während der Rhythm & Blues-Musiker Junior Walker inbrünstig vom “Home Cooking” singt. Doch um die hiesigen Kochfans nicht gleich zu entmutigen (denn in welchem Feinkostgeschäft gibt es schon Alligator?), zeigt der Chefkoch kompromißbereit einen Ausweg: “Wem Alligator zu unheimlich ist, der kann auch Kalb verwenden.” Foto: Axel Kuestner Als Küche der Afro-Amerikaner war “Soulfood” ursprünglich ein Arme-Leute-Essen. Sein Merkmal: der äußerst kreative Umgang mit dem Wenigen, was es gab. Reste gab es nicht, alles wurde verwertet. “Das wichtigste in der Soulfood-Küche ist aber die Lust, mit der diese Gerichte zubereitet werden, dieser unbedingte Wille sich selbst etwas zu gönnen, in einer Welt, in der so etwas wie Luxus nicht vorkommt”, schreibt Christ.
Wer mit der Küche des (deutschen) Südens vertraut ist, dem wird hier einiges bekannt vorkommen: Was in Louisiana unter “Southern Style Barbequed Pig’s Feet” läuft, ist in Bayern schon seit ewig als weißblaues Nationalgericht bekannt. Unterhalb des Weißwurstäquators sagt man schlicht “Schweinshaxn” dazu.
Der Beitrag erscheint in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift JAZZTHETIK (www.jazzthetik.de)
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