Jazztrends: Interview mit HANK ROBERTS
In den Augenblick hineinhören
Der amerikanische Jazzcellist Hank Roberts
Hank Roberts (Jahrgang 1954) hat
das Cello im modernen Jazz etabliert in Gruppen von Bill Frisell oder dem
Arcado String Trio. Das Spiel auf dem Streichinstrument empfindet er als
Therapie, als Tanz oder als Yoga-Übung. Jetzt legt der amerikanische
Saitenvirtuose ein Album vor, das das stilistische Spektrum weit auffächert
Christoph Wagner: Sie spielen in
der Band Buffalo Collison mit dem Saxofonisten Tim Berne sowie dem Pianisten
Ethan Iverson und dem Schlagzeuger Dave King von The Bad Plus zusammen - zwei
verschiedene Generationen von Musikern, die aus unterschiedlichen Traditionen
kommen. Wie funktioniert das?
Hank Roberts: Bei dieser Gruppe
ist keine Musik vornotiert. Wir musizieren spontan. Die Musik entwickelt sich
von einem Moment zum nächsten. Wir sprechen uns nicht ab, sondern einer fängt
an und die anderen reagieren darauf. Da jeder von uns auch Komponist ist,
hoffen wir, das eine kompositorische Logik entsteht. Je mehr wir zusammenspielen,
umso besser verstehen wir unsere unterschiedlichen Ausdrucksweisen. Es ist sehr
offen - ein idealer Rahmen für Experimente.
Wie kam die
Band zustande?
Hank Roberts: Mit Tim Berne
spiele ich seit 1977 zusammen. Ethan Iverson und Dave King traf ich vor ein
paar Jahren in Chicago, als sie mit The Bad Plus im gleichen Konzert auftraten,
in dem ich mit Bill Frisell spielte.
Freejazz ist
nicht ohne Verbotsschilder. Groovende Rhythmen oder Harmonien sind für manche
Musiker Tabu. Wie geht Buffalo Collision damit um?
Hank Roberts: Bei uns ist alles
möglich. Es gibt keine Regeln. Wir kennen uns inzwischen so gut, um zu wissen,
was jedes andere Mitglied mag. Es geht darum, dass wir uns gegenseitig
inspirieren. Wichtig ist, dass wir in den Augenblick hineinhören und dann die
richtigen musikalischen Entscheidungen treffen, um der Improvisation auf die
Sprünge zu helfen.
Was ist der
Geheimnis der freien improvisation?
Hank Roberts: Wenn man sich
nicht auf komplizierte Partituren konzentrieren muss wie in der klassischen
Musik oder auf schwierige Akkordfolgen und harmonische Strukturen wie im
klassischen Jazz, eröffnet das
Möglichkeiten, sich auf die Gefühle des jeweiligen Augenblicks einzulassen und
von diesem Feeling aus zu agieren, um dort hinzugehen, wohin einen der innere
Kompass führt. Es geht um das Gefühl, das sich einstellt, wenn man etwas
Aufregendes erzeugt und die Inspiration, die manchmal fast einer Erleuchtung
gleichkommt.
Hat sich ihre
Spielweise über die Jahre verändert?
Hank Roberts: Jede Lebensphase
hat ihre Eigenheiten. Wenn ich mich an
meine Anfänge als Improvisator zurückerinnere, entdecke ich Eigenschaften, von
denen ich heute noch profitieren könnte, etwa den jugendlichen Optimismus, die
Energie und die Begeisterung, die geistige Frische, die Offenheit und
Aufnahmebereitschaft - alles Qualitäten, die junge Improvisatoren mitbringen.
Die Qualitäten eines erfahrenen Musikers sind andere. Man ist gelassener, entspannter,
kann besser atmen. Ich bin mir sicherer, wer ich bin und habe Frieden mit mir
selbst geschlossen. Ich bin nicht so verwirrt wie damals. Ich weiß, wie man
wartet, wie man geduldig ist, wie man sich zurücknimmt und bescheidener und
demütiger sein kann. Man empfindet besser, was im jeweiligen Moment passend
ist. Ich verstehe, wenn einer meiner Mitmusiker etwas Wichtiges zu sagen hat
und kann mich dann besser zurücknehmen, wenn es sein muss für ein ganzes
Konzert. Es ist wichtig, die musikalischen Fähigkeiten zu entwickeln, die
nichts mit dem Instrument, mit der Spieltechnik und dem harmonisches Wissen zu
tun haben, sondern damit, der zu sein, der man ist und das zum Ausdruck bringen
zu können.
Wie wichtig
ist es, sein Instrument zu beherrschen?
Hank Roberts: Ich versuche immer
noch, meine musikalischen Fähigkeiten zu steigern. Mein Hören, meine Handhabung
des Instruments, meine technischen Möglichkeiten. Ich übe, bis ich nicht mehr
kann. Ich habe ein Pflichtbewusstsein als Musiker. Ich sage mir: ‘Musikmachen
ist mein Job. Deshalb sollte ich jeden Tag ein paar Stunden darauf verwenden.’
Das Cellospiel ist aber darüber hinaus auch eine Art Therapie. Wenn es mir
schlecht geht, spiele ich Cello und das hilft. Es bereitet mir Vergnügen, das Instrument
zu spielen und ich spüre, dass ich auch in meinem Alter noch ein besserer
Musiker werden kann. Das Üben kommt mir manchmal wie ein Tanz vor oder eine
Yoga-Übung, wobei ich mir mehr meines Leibes bewußt werde. Abgesehen davon
macht es einfach Spaß, das Instrument zu spielen.
Neben freiem
Jazz spielen sie traditionelle Country-Music. Wie passt das zusammen?
Hank Roberts: In der Stadt
Ithaca im Bundestaat New York, in der ich lebe, spiele ich in einem Trio namens
Ti Ti Chickapea mit Banjo und Fiddle. Wir spielen Old Time Music, alte
Hillbilly-Melodien. Darüber hinaus schreiben wir eigene Songs, die wir singen.
Ich komme ursprünglich aus Süd-Indiana, weshalb die Musik aus dem Süden zu
meinen Wurzeln gehört. Ich mag die frühen Hillbilly-Klänge. Mein älterer Bruder
hat mich, als er vom College zurückkam, auf Hank Williams und solche Leute
aufmerksam gemacht.
In Ithaca gibt es etliche
Musiker, die Folkmusik machen. Das hat mich inspiriert. Mit der Gruppe Ti Ti
Chickapea spielen wir Old Time Music, die wie der Jazz im Blues wurzelt, was es
erlaubt, sehr kreativ mit dem Material umzugehen. Ich bin mir bewußt, dass es
vielerlei Vorurteile in Jazzkreisen gegenüber der Hillbilly-Musik gibt. Doch
darüber sollte man langsam hinweg sein. Entscheidend ist, was man aus der Musik
macht. Es gibt eine Million Möglichkeiten. Wenn man sich mit diesem Stil
auseinandersetzt, merkt man, dass dort eine ungeheure Vielfalt existiert und es
unglaublich gute Musiker gibt.
Sie waren einer der ersten Cellisten im modernen Jazz. Gab es Vorbilder?
Hank Roberts: Ich ließ mich von
jeder Art von Jazz anregen, von allem, was ich zu hören bekam. Ich las die
Zeitschrift Down Beat, hörte von John Coltrane, ging in den örtlichen
Plattenladen und kaufte mir eine LP von Trane, dann von Miles Davis. Später
stieß ich auf Platten des Art Ensemble of Chicago und kam in Berühung mit der
freien Improvisationsszene. Ich entdeckte Derek Bailey, Dave Holland, LPs von
ECM.
Wie sind sie
überhaupt zum Cello gekommen?
Hank Roberts: Nicht ohne Umwege.
Als ich neun Jahre alt war, wollte ich Jazzdrummer werden, aber an meiner
Schule gab es keine Perkussioninstrumente, nur Saiteninstrumente. Da ich ein
hochgewachsener Junge war, wählte ich das Cello. Es fühlte sich gut an. Dann
hörte ich einen Jazzposaunisten, und fing neben dem klassischen Cello an,
Jazzposaune zu spielen - Standards. Gleichzeitig begeisterte ich mich für
Blues, kaufte mir einen Gitarre, wollte ungedingt Bluesgitarrist werden. Ich betrieb
das Musikmachen sehr ernsthaft, übte 5 Stunden am Tag Jazzposaune auf der
Highschool. Weil ich zu viel übte, beschädigte ich ein paar Muskeln der Lippen
und musste eine Weile pausieren. In dieser Zeit trat wieder das Cello in den
Vordergrund. Ich spielte die selben Sachen, die ich zuvor auf der Posaune
gespielt hatte. Und es ging leichter, ohne derart große Anstrengung. Ein ganz
neuer Horizont tat sich auf, weshalb ich mich von da an aufs Cello
konzentrierte. Ich erkundigte mich nach anderen Cellisten im modernen Jazz,
aber es gab keine. Andere Musiker wie der Vibrafonist Gary Burton wurden zu
einem Einfluss, bei dem ich studierte. 1975 traf ich Bill Frisell, auch Marty
Ehrlich. Es war also nur logisch, mit dem Cellospiel fortzufahren.
Der Cellist
Abdul Wadud veröffentlichte 1977 ein Soloalbum. War das ein Anstoß?
Hank Roberts: Ich hörte nicht
viel von Waduds Musik. Allerdings wiesen mich viele Kollegen auf ihn hin. Sie
sagten: ‘Den muss du dir einmal anhören!’ Ich hörte ihn dann auf einer LP von
Julius Hemphill, aber nie solo. Trotzdem war es gut zu wissen, dass ich nicht
der einzige war, der neuen Jazz auf dem Cello zu spielen versuchte - allein das
war schon ein Ansporn.
Nach ein paar
vielbeachtete Alben wurde es in den 90er Jahren etwas ruhiger um sie. Warum die
Auszeit?
Hank Roberts: Ich legte für etwa
zehn Jahre eine Tourneepause ein. Meine Kinder waren sehr klein und ich wollte
nicht immer weg sein. Ich gab Unterricht, spielte mit Gruppen aus der Region.
Geld war natürlich ein Problem, aber wir kamen über die Runden. Das jüngste
meiner vier Kinder ist jetzt 15 Jahre alt, was mir wieder mehr Spielraum gibt.
Sie machen Musik, allerdings nur als Hobby, was in Ordnung ist. Ich wollte sie
nicht zum Musikmachen zwingen, sondern ermutigen, selbst herauszufinden, wo
ihre Interessen liegen.
Jazz ist bei
der Jugend nicht unbedingt angesagt. Schätzen ihre Kinder die Musik, die sie
machen?
Hank Roberts: Ja, sie finden es
cool, weil ich etwas Erfolg damit habe. Sie sind stolz auf ihren Dad. Meine
Aktien stiegen beträchtlich, als ich vor ein paar Jahren in der Carnegie Hall
in einem Konzert mit U2 und Lady Gaga auftrat.
Die Gruppe auf
ihrem neuen Album ist, wenn man vom Schlagzeug absieht, ein Saitenensemble. Wie
kam es zustande?
Hank Roberts: Mit Bill Frisell
habe ich in den letzten Jahren viel gearbeitet. Deswegen war es naheliegend,
ihn in die Band zu holen. Die anderen beiden Musiker, Jerome Harris an der
akustischen Baßgitarre und Kenny Wollesen am Schlagzeug, habe ich sehr
sorgfältig ausgewählt. Sie stellen eine ideale Plattform dar, um Kompositionen
zu schreiben. Stücke zu komponieren, bereitet mir viel Vergnügen. Es ist toll,
wenn man von den Medien anerkannt wird, aber ich merke immer mehr, dass die
Freude an der Arbeit das Wichtigste für mich ist. Es macht einfach Spaß, eine
interessante Band mit interessanten Musikern zusammenzustellen und dann zu
überlegen: ‘Was kann man mit diesen Musikern realisieren? Wie kann man ihre Talente am Besten nutzen?’
Sie sind seit
längerem beim Label Winter & Winter (vormals JMT Records) unter Vertrag.
Hank Roberts: Das bedeutet mir
sehr viel. Stefan Winter ist ein Freund, wie ein Bruder, eine echte Stütze. Man
kann sich wirklich auf ihn verlassen. Diese kontinuierliche Zusammenarbeit ist
mir äußerst wichtig.
Welche
Bedeutung kommt ihrem Solospiel auf dem Cello zu?
Hank Roberts: Ich arbeite
kontinuierlich an meinem Solorepertoire und habe 1997 in einem Kloster eine
Soloplatte für ein kleines Label in den USA aufgenommen. Zehn bis zwölf
Soloauftritte absolviere ich pro Jahr, viele hier am Ort. Ich bin interessiert,
was andere Cellisten machen, wenn sie alleine auftreten, Ernst Reijseger etwa,
der ein fantastischer Musiker ist. Ich schau mir auf Youtube an, was sie
machen. Natürlich höre ich mir auch die großen alten Meister des Cellos an:
Pablo Casals hat mit seinen Bach-Interpretationen Maßstäbe gesetzt. Er brachte
so viel von seiner Persönlichkeit ein. Anner Bylsma ist gleichfalls ein
ungeheurer Virtuose. Seine Instrumentbeherrschung und sein Klang sind
phänomenal. Ich würde gerne mehr Zeit aufs Musikhören verwenden. Doch läßt mir
meine Arbeit nicht viel Raum. Ich nehme viel Musik selber auf, oft Konzerte,
die ich dann sehr genau studiere. Da bleibt nicht viel Zeit, sich noch andere
Musik anzuhören. Was aktuell geschieht, das erfahre ich durch meine Kinder.
Mein Sohn hört viel Rap und Hiphop. Also werde ich damit konfrontiert und mir
gefällt viel davon. Was mir daran nicht
behagt, ist, dass kaum noch etwas von echten Musikern gespielt wird, alles
kommt von der Software. Da geht etwas verloren, was ich schade finde: die
Individualität richtiger Musiker. Einige dieser Künster machen das dadurch
wett, dass sie die Sprache auf sehr kreative Weise verwenden.
Aktuelles Album:
Hank Roberts: Everything is
alive (Winter & Winter)
Das Interview erschien ursprünglich in der Zeitschrift JAZZTHETIK (www.jazzthetik.de)
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