Alte Musik ganz neu
Das
Ensemble Officium widmet sich mit einer neuen Einspielung dem Renaissance-Komponisten Leonhard Lechner
cw. Für eine
Stilgattung namens “Alte Musik”, klingt es ziemlich frisch. Seit ein paar
Jahrzehnten erlebt die Musik aus der Zeit vor dem Barock im klassischen
Musikbetrieb einen Boom. Zahllose Platteneinspielungen haben die Töne des 16.
und 17. Jahrhunderts ins Blickfeld gerückt, wobei eine
faszinierend-verschlungene Klangwelt zum Vorschein kam.
Eine der
führenden Gruppen dieser Szene ist das Ensemble Officium, das sich auf
geistliche Musik der Renaissance spezialisiert hat. Der Solistenchor hat seinen
Sitz in Tübingen, wo der Leiter der Gruppe, Wilfried Rombach, als Kantor an der katholischen Pfarrkirche St.
Johannes wirkt.
Nach zahlreichen hochgelobten CD-Produktionen, die sogar international für Aufsehen sorgten, hat
sich Rombach mit seiner Gruppe jetzt einem Komponisten des 16. Jahrhunderts
zugewandt, der enge Verbindungen zu Hechingen und Stuttgart hatte. Leonhard
Lechner (1553 - 1606) gilt als einer der glänzensten Namen der deutschen
Musikgeschichte der Renaissance.
Geboren 1553 in Südtirol, kam Lechner zuerst als Sängerknabe nach
Landshut, dann an die Münchner Hofkapelle, wo er Schüler des bedeutenden
Komponisten Orlando di Lasso war. Nach einer Zeit in Nürnberg, kam er 1584 an
den Hof des Grafen Eitelfriedrich von Hohenzollern nach Hechingen. Nach
anfänglich harmonischer Zusammenarbeit muss es irgendwann zu einem Zerwürfnis
zwischen dem Hofkapellmeister und seinem Patron gekommen sein. Im Sommer 1585
machte sich Lechner in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus Hechingen davon. Der
Graf hatte sich wegen einer Reise gerade nicht am Hof aufgehalten. Lechner floh
nach Tübingen auf württembergisches Terrain. Voller Wut setzte sein früherer
Arbeitgeber, der Hechinger Zollerngraf, alle Hebel in Bewegung, um eine
neuerliche Verpflichtung von Lechner anderswo in höfischen Diensten zu
verhindern. Trotzdem fand Lechner schließlich an der Hofkapelle in Stuttgart eine
Anstellung, wenn auch am Anfang nur als Tenorsänger, was eigentlich unter
seinem Rang war. Erst nach zehn Jahren Dienst wurde er vom württembergischen
Herzog 1595 zum Hofkapellmeister ernannt.
Im Mittelpunkt der neuen Einspielung des Ensemble Officium, die auf dem
Label Christophorus erschienen ist, stehen zwei Werke geistlicher Festmusik,
die Lechner 1582 in Nürnberg komponiert hatte. Eines der Werke schrieb er für
die Hochzeit der Nachkommen zweier reicher Kaufmannsfamilien. Diese Messe war
opulent gehalten und darauf ausgelegt, der Vermählung den nötigen Glanz zu
verleihen. Noch aufwendiger ist das 24-stimmige Werk ‘Quid Chaos’ gehalten, das
von drei je achtstimmigen Chören in Szene gesetzt wird, die bei Aufführungen im
16. Jahrhundert oft an unterschiedlichen Stellen im Kirchenraum positioniert
waren. Dadurch sollte ein besonders
intensiver Raumklang erzeugt werden – eine Art Surround-Sound des 16.
Jahrhunderts.
Rombach gelingt es mit dem Ensemble Officium die Werke in ihren ganzen
Pracht aufleben zu lassen. Er hat dazu nicht nur eine Reihe höchstkompetenter
Vokalisten herangezogen, sondern sich darüber hinaus der Unterstützung des
Instrumentalensembles Gabinetto Armonico versichert. Mit Renaissance-Posaunen, historischen
Holztrompeten und einem Dulzian (einem Vorläufer des Fagotts) fügen die Musiker
interessante Klangfarben hinzu und geben der Musik mehr Fülle und Wucht.
Eine solch aufwendige Produktion mit so vielen Beteiligten heute zu
realisieren, ist alles andere als ein Kinderspiel. Allein die Terminkalender von
24 professionellen Sängern und Sängerinnen auf einander abzustimmen, kann zum
Alptraum werden, von den finanziellen Erfordernissen ganz zu schweigen. Rombach
hat das dadurch gelöst, dass immer wenn ein paar reguläre Konzerte mit dem
Ensemble anstanden, er noch einen Aufnahmetermin anhängte. Dann versammelten
sich meistens die Sänger und Sängerinnen um die Mikrofone in der Mössinger
Peter und Pauls-Kirche - wegen ihrer exzellenten Akustik. Draußen stand dann
ein Aufnahmewagen des SWR und schnitt mit, wobei man sich Sequenz für Sequenz
durch das jeweilige Werk arbeitete. Entstanden ist ein faszinierendes Zeugnis
früher Klangkunst, das Leonhard Lechner und dem Ensemble Officium alle Ehre
macht.
Ensemble Officum / Wilfried Rombach:
Leonhard Lechner- »Geistliche
Festmusik 1582« / Missa Domine, Dominus Noster & Motetten
(Christophorus Records)
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