Buchbesprechung / SWR2, Musikmarkt, 16.5.2013
von
Harry Lachner
Magische Revolte
"Die magischen
Jahre des westdeutschen Musik-Underground" lautet der Untertitel zu
Chrisoph Wagners Untersuchung "Der Klang der Revolte". Gemeint ist
jene Zeit zwischen Mitte der sechziger und Anfang der siebziger Jahre; jene
Zeit also, als die deutsche Rockmusik begann, sich eigenständig zu entwickeln. Wege
zu suchen, die jenseits der klassischen Rock-Schablonen lagen. Wagner, der auf
zahlreiche Interviews zurückgreifen kann, die er über die Jahre mit Musikern
und Veranstaltern geführt hat, zeichnet ein Porträt einer Zeit des Aufbruchs,
des Umbruchs. Dabei richtet er seinen Blick nicht allein auf die Rockmusik, den jazz und die
Liedermacherszene - er stellt auch die engen Bezüge zur politischen und
gesellschaftlichen zur bundesrepublikanischen Wirklichkeit her. Undidaktisch,
aber präzise, faktenreich und nie beliebig.
West-Deutschland
Ende der sechziger Jahre. Die libertären Impulse aus England den USA bahnten
sich den Weg zu einer Jugend, die sich gegen die Enge und Tristesse der frühen
Jahre aufzulehnen begann. Eine Generation, die sich eingeengt fand von
Restriktionen und von Repressalien, die sich an bloßen Winzigkeiten entzünden
konnten: sei es die Länge der Haare, oder das tragen von damals nur schwer
erhältlichen Jeans und Parkas. Ein offenbar bedrohliches Erscheinungsbild - symbolisierte
es doch eine Abweichung von der Norm, die von Alt-Nazis nach Kräften weiter am
Leben erhalten wurde, die unbelangt in allen gesellschaftlichen Bereichen überlebten:
in Verwaltung, Justiz, Polizei, Politik. Ein Freiheitsgedanke war ein
gefährlicher Gedanke, der das Prinzip Zucht und Ordnung in Frage zu stellen
wagte. Kritische Äußerung, eine nicht-konformen Meinung galten als "Nestbeschmutzung",
demonstrierende Studenten als "arbeitsscheues Gesindel". Solcherart
war die Sprache, war das Klima in diesem Land, das jeder Form von Intelligenz
nur mit Diffamierung und Drohgebärden begegnen konnte; ein Land, in dem die
willfährigen Handlanger einer vergangenen Macht immer noch die Meinungshoheit besaßen.
Was wäre da naheliegender als ein Fluchtgedanke?
Man
kann die Musik jener Zeit nicht ganz verstehen, wenn man sich nicht der
besonderen Umstände bewußt ist, aus denen heraus sie entstanden ist. Und gegen
die sie sich letztlich auflehnte: Als utopischer Gegenentwurf zu einer
kleinbürgerlich miefigen Gesellschaft, die ihre überkommenen Prinzipien in
frisch-grauen Nachrkriegsbeton gießen wollte. Welche soziale Sprengkraft eine
Musik haben kann, die selbst nicht vordergründig politisch sein muß, zeigt
Chrisoph Wagner in seinem Buch "Der Klang der Revolte". Tasächlich
waren es neue Klänge. Klänge, die ihren Weg aus der englischen und
amerikanischen Rockmusik rasch auch in die deutsche gefunden hatten. Verzerrte
Gitarrentöne, Rückkoppelungen, Kaskaden ineinanderfließender Klänge, die einen
Gefühls- und Ideenraum öffnen konnten. Die jungen, experimentierfreudigen
Musiker aber begnügten sich nicht mit der reinen Anverwandlung einer von außen
hereingetragenen Haltung. Ob Rock oder Jazz: die neuen ästhetischen Impulse
werden aufgegriffen, zunächst imitiert - doch danach im eigenen Sinne
weiterentwickelt. Man erkennt in vielen Musikeraussagen, die Christoph Wagner
in seinem liebevoll fundierten Buch zusammengetragen und ausgewertet hat, mit
welchem Elan die west-deutschen Musiker sich eine eigene Ästhetik erarbeiteten.
Und welchen internationalen Erfolg sie schließlich damit hatten. Etwas hilflos nannte
man es in Großbritannien "Krautrock": Denn die Musik von Bands wie
Can, Kraftwerk oder Amon Düül verließ gezielt jenes Terrain der Rockmusik, das
von formalen anglo-amerikanischen Stereotypen geprägt war: Anlehung an das
harmonische Schema des Blues, das Beharren auf der einfachen Songform. Stattdessen
schienen andere Bezugspunkte am Horizont der Musiker auf: etwa die
Elektronische Musik oder die freie Improvisation. Die Grenzen der einzelnen
Sphären wurden durchlässig. So war etwa Mani Neumeier, Gründer der Rock-Band
Guru Guru, davor Jazzschlagzeuger, etwa im Globe Unity Orchestra. Holger
Czukay, Mitglied von Can, war Schüler des Komponisten Karlheinz Stockhausen.
Alles schien damals in Bewegung; nichts lag ferner als ein Ordnungssystem, als
Berührungsängste.
Can im Schloß Nörvenich
Christoph
Wagners Ansatz verdeutlicht noch einmal, daß man dieser so überaus lebendige
und experimentierfreudige Szene nicht mit pauschalen Begriffen, nicht mit
vorgefertigten Stilschubladen gerecht werden kann. Das umfangreiche Material -
die Interviews, die Anekdoten, die klugen Analysen - all das ist nicht in ein
schablonisiertes, unterkühlt akademisches Theoriegebilde eingepaßt; Wagner
sucht stattdessen die Erkenntnisse aus dem Zusammenspiel der Details zu
entwickeln. Der Autor, Jahrgang 1956, schreibt aus eigener Erfahrung heraus.
Und gerade in jenen Momenten subjektiven Erzählens und Erinnerns, stellen sich
diese Jahre als ein facettenreiches, auch in sich widersprüchliches Panorama
der Möglichkeiten dar - als eine Verheißung individueller Freiheit,
künstlerischer Originalität und Eigenständigkeit. "Der Klang der
Revolte" ist mehr als eine Sammlung von Betrachtungen zur Musik einer Zeit
als der bundesrepublikanische Beton anfing brüchig zu werden. Das Buch
unterstreicht vielmehr die wechselvolle Beziehung zwischen einer
gesellschaftlichen Realität und einer Musik, die aus ihr heraus und vor allem gegen
sie arbeitet. Denn es gibt schließlich keine reinen, unschuldigen Töne
außerhalb eines sozialen Kontextes.
Christoph Wagner: "Der Klang der Revolte. Die magischen Jahre des westdeutschen Musik-Underground"
Schott Verlag, Mainz, 388 Seiten, € 24,95
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