Wednesday, 22 May 2013

Rezension: Harry Lachner im SWR über KLANG der REVOLTE



Buchbesprechung / SWR2, Musikmarkt, 16.5.2013

von Harry Lachner


Magische Revolte


"Die magischen Jahre des westdeutschen Musik-Underground" lautet der Untertitel zu Chrisoph Wagners Untersuchung "Der Klang der Revolte". Gemeint ist jene Zeit zwischen Mitte der sechziger und Anfang der siebziger Jahre; jene Zeit also, als die deutsche Rockmusik begann, sich eigenständig zu entwickeln. Wege zu suchen, die jenseits der klassischen Rock-Schablonen lagen. Wagner, der auf zahlreiche Interviews zurückgreifen kann, die er über die Jahre mit Musikern und Veranstaltern geführt hat, zeichnet ein Porträt einer Zeit des Aufbruchs, des Umbruchs. Dabei richtet er seinen Blick nicht allein auf  die Rockmusik, den jazz und die Liedermacherszene - er stellt auch die engen Bezüge zur politischen und gesellschaftlichen zur bundesrepublikanischen Wirklichkeit her. Undidaktisch, aber präzise, faktenreich und nie beliebig.

West-Deutschland Ende der sechziger Jahre. Die libertären Impulse aus England den USA bahnten sich den Weg zu einer Jugend, die sich gegen die Enge und Tristesse der frühen Jahre aufzulehnen begann. Eine Generation, die sich eingeengt fand von Restriktionen und von Repressalien, die sich an bloßen Winzigkeiten entzünden konnten: sei es die Länge der Haare, oder das tragen von damals nur schwer erhältlichen Jeans und Parkas. Ein offenbar bedrohliches Erscheinungsbild - symbolisierte es doch eine Abweichung von der Norm, die von Alt-Nazis nach Kräften weiter am Leben erhalten wurde, die unbelangt in allen gesellschaftlichen Bereichen überlebten: in Verwaltung, Justiz, Polizei, Politik. Ein Freiheitsgedanke war ein gefährlicher Gedanke, der das Prinzip Zucht und Ordnung in Frage zu stellen wagte. Kritische Äußerung, eine nicht-konformen Meinung galten als "Nestbeschmutzung", demonstrierende Studenten als "arbeitsscheues Gesindel". Solcherart war die Sprache, war das Klima in diesem Land, das jeder Form von Intelligenz nur mit Diffamierung und Drohgebärden begegnen konnte; ein Land, in dem die willfährigen Handlanger einer vergangenen Macht immer noch die Meinungshoheit besaßen. Was wäre da naheliegender als ein Fluchtgedanke?


Man kann die Musik jener Zeit nicht ganz verstehen, wenn man sich nicht der besonderen Umstände bewußt ist, aus denen heraus sie entstanden ist. Und gegen die sie sich letztlich auflehnte: Als utopischer Gegenentwurf zu einer kleinbürgerlich miefigen Gesellschaft, die ihre überkommenen Prinzipien in frisch-grauen Nachrkriegsbeton gießen wollte. Welche soziale Sprengkraft eine Musik haben kann, die selbst nicht vordergründig politisch sein muß, zeigt Chrisoph Wagner in seinem Buch "Der Klang der Revolte". Tasächlich waren es neue Klänge. Klänge, die ihren Weg aus der englischen und amerikanischen Rockmusik rasch auch in die deutsche gefunden hatten. Verzerrte Gitarrentöne, Rückkoppelungen, Kaskaden ineinanderfließender Klänge, die einen Gefühls- und Ideenraum öffnen konnten. Die jungen, experimentierfreudigen Musiker aber begnügten sich nicht mit der reinen Anverwandlung einer von außen hereingetragenen Haltung. Ob Rock oder Jazz: die neuen ästhetischen Impulse werden aufgegriffen, zunächst imitiert - doch danach im eigenen Sinne weiterentwickelt. Man erkennt in vielen Musikeraussagen, die Christoph Wagner in seinem liebevoll fundierten Buch zusammengetragen und ausgewertet hat, mit welchem Elan die west-deutschen Musiker sich eine eigene Ästhetik erarbeiteten. Und welchen internationalen Erfolg sie schließlich damit hatten. Etwas hilflos nannte man es in Großbritannien "Krautrock": Denn die Musik von Bands wie Can, Kraftwerk oder Amon Düül verließ gezielt jenes Terrain der Rockmusik, das von formalen anglo-amerikanischen Stereotypen geprägt war: Anlehung an das harmonische Schema des Blues, das Beharren auf der einfachen Songform. Stattdessen schienen andere Bezugspunkte am Horizont der Musiker auf: etwa die Elektronische Musik oder die freie Improvisation. Die Grenzen der einzelnen Sphären wurden durchlässig. So war etwa Mani Neumeier, Gründer der Rock-Band Guru Guru, davor Jazzschlagzeuger, etwa im Globe Unity Orchestra. Holger Czukay, Mitglied von Can, war Schüler des Komponisten Karlheinz Stockhausen. Alles schien damals in Bewegung; nichts lag ferner als ein Ordnungssystem, als Berührungsängste.



                                                                              Can im Schloß Nörvenich

Christoph Wagners Ansatz verdeutlicht noch einmal, daß man dieser so überaus lebendige und experimentierfreudige Szene nicht mit pauschalen Begriffen, nicht mit vorgefertigten Stilschubladen gerecht werden kann. Das umfangreiche Material - die Interviews, die Anekdoten, die klugen Analysen - all das ist nicht in ein schablonisiertes, unterkühlt akademisches Theoriegebilde eingepaßt; Wagner sucht stattdessen die Erkenntnisse aus dem Zusammenspiel der Details zu entwickeln. Der Autor, Jahrgang 1956, schreibt aus eigener Erfahrung heraus. Und gerade in jenen Momenten subjektiven Erzählens und Erinnerns, stellen sich diese Jahre als ein facettenreiches, auch in sich widersprüchliches Panorama der Möglichkeiten dar - als eine Verheißung individueller Freiheit, künstlerischer Originalität und Eigenständigkeit. "Der Klang der Revolte" ist mehr als eine Sammlung von Betrachtungen zur Musik einer Zeit als der bundesrepublikanische Beton anfing brüchig zu werden. Das Buch unterstreicht vielmehr die wechselvolle Beziehung zwischen einer gesellschaftlichen Realität und einer Musik, die aus ihr heraus und vor allem gegen sie arbeitet. Denn es gibt schließlich keine reinen, unschuldigen Töne außerhalb eines sozialen Kontextes.

Christoph Wagner: "Der Klang der Revolte. Die magischen Jahre des westdeutschen Musik-Underground"
Schott Verlag, Mainz, 388 Seiten, € 24,95

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