Trommel-Eremit und Blaskapelle
Beim Willisauer Jazzfestival kann man seit 44 Jahren musikalische Entdeckungen machen. Dieses Jahr findet es vom 29. August bis zum 2. September statt
cw. Letztes Jahr wollte es Fredy Studer noch einmal wissen. Der Luzerner Schlagzeuger zog sich in seinen Übungsraum zurück und arbeitete wie besessen an einem Soloprogramm. „Ein Jahr lang habe ich fast nur gegessen, geschlafen und getrommelt,“ beschreibt er sein Eremiten-Dasein. Studer, der dieses Jahr siebzig geworden ist und seit Jahrzehnten zu den profiliertesten Drummern der Schweizer Szene gehört, tauchte noch einmal tief in der Welt der Trommeln, Becken und Gongs, der Rhythmen und Grooves ein und entwickelte ein Programm, das höchsten spieltechnischen Anforderungen genügt, sich aber doch nicht auf bloße Virtuosität beschränkt. „Ich hab Stücke entworfen, daran gearbeitet und gefeilt, bis sie meinen Vorstellungen entsprachen,“ beschreibt er den Destillationsprozeß. „Dann habe ich sie geübt, geübt und nochmals geübt: Stunden lang, Tage, Wochen. Erst wenn ein Stück völlig im Körper drin ist, kann man wieder die Freiheit finden, die fürs Musikmachen nötig ist. Denn letztlich geht es ja nicht um technische Bravourstücke, sondern um Musik!“
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Mit Trommel-Größen wie Pierre Favre oder Paul Motian spielte Studer zeitweise in reinen Perkussionsensembles oder Drum-Orchestern zusammen, wobei er sein Schlagzeugspiel mehr und mehr verfeinert hat. Dabei wurde der Grundstein gelegt, um sich nun an das Soloprojekt zu wagen. „Die Stücke frisch zu halten und nicht nur abzuspulen, ist die größte Herausforderung,“ sagt Studer.
Mit orchestraler Opulenz gleicht das Willisau-Festival Studers solistische Askese aus. Als Kontrastmittel wirkt Fischermanns Orchestra, eine Bigband von 14 Musikern, die vor zehn Jahren gegründet wurde. Allein die Musik bringt die Mitglieder immer wieder zusammen. Denn Geld zu verdienen, ist mit solch einer Großformation reine Illusion. Doch das schreckt die Fischermänner nicht. Im Gegenteil: Bis heute lassen sie sich von den Möglichkeiten faszinieren, die eine Bigband bietet. Sie können großorchestrale Kompositionen entwerfen und sie sogar zu Gehör bringen. Was für eine Chance in einer Jazzwelt, in der eine Großformation heute eigentlich ökonomisches Harakiri bedeutet.
Befreit von jedem kommerziellen Druck ziehen die Musiker alle Register, scheren sich weder um Moden noch um Verkäuflichkeit, sondern loten in völlig unorthodoxer Manier das Großformat aus, wobei sie stark vom üblichen Brassband-Sound – ob Latin oder Balkan – abweichen. Da wirkt schon eher das Sun Ra Arkestra als Inspiration oder Straßenformationen aus New Orleans.
In der Musik von Fischermanns Orchestra gibt es kosmische Keyboardklänge neben psychedelischen Gitarrensounds. Da heulen gelegentlich die Bläser in kollektiven Improvisationen um die Wette, um danach in ausgetüftelte Arrangements einzumünden, wo wuchtige Bläsersätze, Heavy-Metal-Blockakkorde und knackige Grooves die Szenerie bestimmen. „Wichtig ist, dass die Musik nicht stillsteht, sondern sich weiterentwickelt, dass wir uns immer wieder von Neuem herausfordern,“ sagt Drummer und Bandleader Thomas Reist.
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Weitere Infos:
www.jazzfestivalwillisau.ch
Der Text erschien zuerst in der WoZ, linke Wochenzeitung in der Schweiz.