Thursday 1 December 2022

Nachruf auf Fredy Studer

Singende Trommeln

 

Zum Tod des Schweizer Schlagzeugers Fredy Studer und seinem Vermächtnis: einem neuen Album von OM zum 50. Bandjubiläum


Phall Fatale mit Bandleader Fredy Studer (links)

 



 

cw. Dass Schlagzeuger Gitarristen als Vorbild wählen, ist ziemlich außergewöhnlich: Doch für den Drummer Fredy Studer war Jimi Hendrix Idol und Lehrmeister. Der Schweizer sah in dem schwarzen Gitarristen einen Außerirdischen, der die Musik in andere Umlaufbahnen schoß und ihm deshalb lebenslang als Leitstern diente. Denn darauf zielte auch der Luzerner Trommler ab: die Grenzen der Musik hinauszuschieben. Dieser Vision folgte er mit viel Energie und Drive in unterschiedlichen Formationen, bei spontanen improvisatorischen Begegnungen und mit seinen eigenen Gruppen – dabei immer Hendrix‘ Gitarre im Ohr.

 

1967 war Studer noch keine zwanzig Jahre alt, da bebte die musikalische Welt. Rebellion lag in der Luft. Konzerte der Schweizer Sauterelles oder der Kinks aus England weckten in dem Teenager das Bedürfnis, selber Musik zu machen. Da er schon ein paar Jahre Basler Trommeln gelernt hatte, lag Schlagzeug nahe. Auf einer Reise nach London hörte er im Marquee Club Jimi Hendrix – ein Erweckungserlebnis! Studer eiferte nun Hendrix-Drummer Mitch Mitchell nach, durch den er auf Jazzdrummer Elvin Jones aufmerksam wurde und so bei John Coltrane landete. Durch die Schweizer Pianistin Irène Schweizer kam er zur freien Improvisation. Studer hatte seine Bestimmung gefunden: Mit Elan erkundete er von nun an das magischen Dreieck zwischen Rock, modernem Jazz und freiem Spiel. 

 

Als Nachfolger von Pierre Favre bei der Cymbal-Firma Paiste in Nottwil kam Studer mit vielen berühmten Drummerkollegen in Kontakt. Er fachsimpelte mit John Bonham von Led Zeppelin über den Klang verschiedener Gongs und testete mit Carl Palmer (Emerson Lake & Palmer) unterschiedliche Ride-, Splash- und Crash-Becken. Studer war im Trommelhimmel. 

 

Im Wiebelfetzer Workshop spielte er zum ersten Mal mit internationalen Jazzgrößen wie John Tchicai zusammen. Mit OM, 1972 gegründet, gelang dann in den 1970er Jahren der Durchbruch. Die aufregende Musik des Quartetts zwischen elektrischem Rock und ekstatischem Jazz machte in ganz Europa Furore, was Studer in die erste Liga der internationalen Drummer katapultierte. Bei manchen Konzerten war als Stargast der brasilianische Perkussionist Dom Um Romão von Weather Report dabei. Nach zehn Jahren war die kreative Energie aufgebraucht und OM fiel in einen langen Dornröschenschlaf.

 

Mit extremer “Hardcore Chambermusic” verschob Studer im Trio mit Hans Koch (Saxofon, Klarinetten) und Martin Schütz (Cello) abermals musikalische Barrieren. Zwischen ohrenbetäubendem Lärm und andächtiger Stille wogte die Musik. Mit seiner eigenen Gruppe Phall Fatale kehrte er in den letzten Jahren zu Groove und Songformat zurück. Der soulige Gesang der beiden Sängerinnen wurde von verschlungenen Linien der beiden Bassisten umspielt, während der Bandleader für die komplexen Rhythmuspattern sorgte. Bewußt suchte Studer den musikalischen Anschluß an die junge Generation mit einem abgeklärten, coolen Stilmix, der aus den Katakomben der Clubkultur zu kommen schien. Der Drummer behielt den Finger am Puls der Zeit. Vor zehn Jahren erweckte er mit seinen drei Bandkollegen OM zu neuem Leben, nicht um nostalgisch die siebziger Jahre aufzuwärmen, sondern Musik auf der Höhe der Zeit zu machen.


Koch-Schütz-Studer mit Shelley Hirsch in New York (Foto: Promo)



 

2018 legte Studer mit „Now’s The Time“ ein aufregendes Soloalbum vor, für das er sich noch einmal mächtig ins Zeug legte. Die Einspielung war die in vierzehn Kompositionen geronnene Essenz eines bewegten Trommlerlebens, mit der er demonstrierte, was auf dem Schlagzeug alles möglich ist! 

 

Im März dieses Jahres ging OM ins Studio von Thomas Gabriel in Stalden im Kanton Obwalden, um pünktlich zum 50jährigen Gründungsjubiläum ein neues Album aufzunehmen. Unter der Regie des prominenten Produzenten Roli Mosimann (u.a. The Young Gods, Faith No More) entstand dabei in einer Woche eine bemerkenswerte Platte, die in vielen Farben schimmert, ganz im Hier und Jetzt steht und von Hardcore-Rock bis zu elegischen Klangerkundungen reicht. „ElectroAcoustiCore“ lautet die Zauberformel. 


Fredy Studer Soloauftritt 2017 auf dem Jazzfestival Schaffhausen (Youtube)




Studer steuerte zu der Einspielung eine Komposition bei, die sich wie die Stücke seines Soloalbums aus einem speziellen Klangphänomen heraus entwickelt und kaum hörbar beginnt. Nur ganz allmählich formen sich die piepsenden Pfeiftönen und Zirpgeräuschen zu einem steten Beat, der mehr und mehr anschwillt. Die Gitarre steigt mit schillernden Akkorden ein, das Saxofon bläst Spalttöne, während Studer seine Metallbecken in Stellung bringt. Dann reißt die Musik plötzlich ganz unvermittelt ab und versinkt in einer unheimlichen Stille, die nur zaghaft wieder von Klängen okkupiert wird. Hören wir zerhackstückelte Radarmeldungen? Kriegslärm in der Ferne? „Im Unterholz von Kiew“ hat Studer sein Stück genannt. So politisch kann Jazz sein!

 

Im Herbst stand mit OM eine mehrwöchige Tournee im Terminkalender, an der Studer nicht mehr teilnehmen konnte. Er verstarb am 22. August im Alter von 74 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit. Gerry Hemingway wird für ihn auf dem Schlagzeugstuhl sitzen.

 

Neuerscheinung:

OM – 50 (Intakt)


Hörprobe:




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