Monday, 5 December 2022

Charlie Watts Biographie

 Freie Sicht auf den Drummer

 

Eine Biographie zeichnet den Rolling Stones-Schlagzeuger Charlie Watts (1941 - 2021) als eigenwilligen Musiker, der durch Zufall zum Superstar wurde

 


 

cw. Ob Ringo Starr der beste Drummer der Welt sei, wurde John Lennon einst gefragt. „Er ist nicht einmal der beste Drummer der Beatles“, gab er schnoddrig zur Antwort. Charlie Watts, dem Schlagzeuger der Rolling Stones, wäre ein solcher Affront nicht widerfahren, genossen seine Trommelkünste doch bei seinen Bandkollegen höchsten Respekt. Watts galt als Idealbesetzung für die Stones. Selbstverständlich war er nicht der beste Schlagzeuger der Welt, so wenig wie Mick Jagger der beste Sänger oder Keith Richards der beste Gitarrist war. Doch darauf kam es nicht an. Von größerer Relevanz war, dass Charlie Watts‘ Schlagzeugspiel Charakter besaß. Es strahlte Persönlichkeit und Individualität aus, ebenso wie Mick Jaggers Gesang und Keith Richards‘ Gitarrenspiel. Und genau diese Mischung aus Eigenheiten machte den unverwechselbaren Stil der Rolling Stones aus. Dazu trug Charlie Watts einen beträchtlichen Anteil bei. 

 

Watts war ein Jazzdrummer, der sich in eine Rockband verirrt hatte. Schon in jungen Jahren, als er auf einer kleinen Marschtrommel, die er aus einem alten Banjo gebastelt hatte, zur Musik aus dem Radio trommelte, hießen seine Idole nicht Elvis Presley oder Bill Haley, sondern Charlie Parker und Gerry Mulligan. Watts eiferten deren Drummern nach, ob Max Roach oder Chico Hamilton. Mit vierzehn schenkten ihm seine Eltern ein Schlagzeug zu Weihnachten. Wenn der Teenager nun samstagabends zum Auftritt einer Jazzband ging, plazierte er sich direkt am Bühnenrand mit freier Sicht auf den Drummer, um ihm genau auf die Finger zu schauen. Auf diese Art brachte sich „Charlie Boy“ das Trommelspiel bei.


Charlie Watts mit der Bluesband von Alexis Korner



 

Nach ersten öffentlichen Auftritten mit traditionellen Jazzformationen trat Watts der Gruppe von Alexis Korner bei, die als Karrieresprungbrett für viele junge Blues-Musiker fungierte. Durch Korner lernte er Brian Jones, Mick Jagger und Keith Richards kennen, die 1962 versuchten, ihn in ihre Band zu holen. Doch Watts, der nach einem Designstudium als Grafiker arbeitete, zögerte. Er wollte den Rolling Stones nur beitreten, wenn sie ihm mindestens zwei regelmäßige Auftritte pro Woche (und damit ein einigermaßen gesichertes Einkommen) garantieren konnten. Erst als es besser lief, gab Watts seinen Brotberuf auf und ließ sich auf das Abenteuer einer Profimusikerkarriere ein.

 

Obwohl Watts lieber Jazz gespielt hätte, entwickelte er rasch ein tieferes Verständnis für die Rhythmen von Rock ‘n‘ Roll und Rhythm & Blues. Er ersetzte den Swing des Jazz durch einen schnörkellosen Backbeat, der den Songs Rückgrat und Klarheit verlieh. Sein „Timing“ kam dem eines Uhrwerks gleich. In relaxter Manier spielte Watts immer leicht hinter dem Beat, wobei er sich an den Drummern der schwarzen Soulmusik orientierte, denen ein prägnanter Groove immer wichtiger war als technische Raffinesse. Watts brachten den schwarzen „Funk“ in die weiße Rockmusik. Er entwickelte eine Spieltechnik, die den Beat auf der Snare-Drum nicht wie üblich mit einem Schlag auf der Hi-hat verdoppelte, wodurch der Akzent deutlicher hervortrat. 




 

Das Rockstar-Leben war seine Sache nicht. Watts hasste Tourneen und nahm auch nur selten an den berüchtigten After-Show-Exzessen der Stones teil. Immer elegant gekleidet mit makellosen Manieren war er ein Gentleman alter Schule. Ganz „Family Man“ war er zeitlebens mit derselben Frau verheiratet, die er bereits vor seiner Zeit mit den Stones kennengelernt hatte. Bis auf eine düstere Periode in den 1980ern ließ der Vegetarier seine Finger von Drogen.

 

Um Auszeiten der Stones mit musikalischen Aktivitäten zu füllen, hob er Ende der 1980er Jahre ein Jazzquintett und eine Bigband aus der Taufe. Mit ihnen wollte er noch einmal in die Atmosphäre der Jazzclubs seiner Jugend eintauchen. Als er mit seiner Combo im „Blue Note“ in New York auftrat, ging ein lebenslanger Wunschtraum in Erfüllung. 


Charlie Watts mit Alexis Korner, Jack Bruce und Ian Stewart auf dem North Sea Jazz Festival 1979




 

Eine Sucht wurde Watts nie los. Er sammelte historische Drumkits, nicht irgendwelche, sondern die seiner Jazzidole, ob von Kenny Clarke, Max Roach, Joe Morello oder Sonny Greer, dem langjährigen Swingmeister von Duke Ellington. Über hundert hat er für viel Geld bei Auktionen erstanden, mit denen er gerne ein Schlagzeug-Museum eingerichtet hätte. Gelegentlich zog sich Watts in die langen Gänge seines Lagerraums zurück, wo die Trommeln in ihren Originalboxen in den Regalen lagerten, um Zwiesprache mit den Rhythmusgöttern der Vergangenheit zu halten.




 

Der englische Musikjournalist Paul Sexton zeichnet die bewegte Biographie des Drummers, der durch Zufall zum Superstar wurde, detailgenau nach, die sich allerdings durch die vielen Lobpreisungen von Freunden und Musikerkollegen passagenweise wie eine Hagiographie (=Heiligenerzählung) liest. Ein kritischeres Lektorat und eine gestraffte Edition hätte dem Buch gutgetan. 

 

Paul Sexton: Charlie’s Good Tonight. Die autorisierte Biographie von Charlie Watts. Mit einem Vorwort von Mick Jagger und Keith Richards384 Seiten mit zahlreichen Fotos in Schwarzweiß. Ullstein Paperback;

 

 

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