Scheibengericht 14:
Gedämpfter Jazz
Samuel Leipold, Jürg Bucher, Luca Lo Bianco: Ostro
(ezz-thetics 1042)
4 von 5 Sterne
cw. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahren schlug The Jimmy Giuffre 3 im Jazz einen neuen Ton an, der amerikanischen Cool Jazz von der Westküste mit Elementen der Moderne europäischer Klassik verband. Giuffres kleines Ensemble, besetzt mit Klarinette bzw. Tenor- oder Baritonsaxophon, Gitarre und Kontrabaß, klang intim, atmosphärisch, ja manchmal fast traumversunken: Klänge wie hinter Milchglas.
An diese Vision knüpft der Schweizer Gitarrist Samuel Leipold mit seinen zwei Kollegen – Jürg Bucher, Klarinette und Luca Lo Bianco, Baß – an, wobei die drei Giuffres Konzept für die Gegenwart fruchtbar machen, ohne es einfach zu übernehmen oder zu kopieren.
Neun Kompositionen enthält ihr Album – „Ostro“ betitelt –, von denen sechs vom Bandleader stammen, eine vom Bassisten Luca Lo Bianco, während jeweils ein Stück Bearbeitungen von Kompositionen von Jimmy Giuffre und Igor Stravinsky sind.
Was sofort auffällt, ist der kammermusikalische Ton: Nie klingt die Musik aufbrausend, schon gar nicht brachial, vielmehr bestimmt ein lyrisch-verhaltener Gruppenklang das Geschehen, der auf Ebenmäßigkeit abziehlt und oft eine melancholisch-verhangene Stimmung verbreitet. Darüber hinaus ist er voller Poesie.
Leipold, Bucher, Bianco: Schaffhauser JazzFestival 2022 (youtube)
Nicht selten beginnen die Stücke mit einer atmosphärischen Einstimmung eines einzelnen Instruments, die aus Flageoletts oder einem flirrenden Bordun von der Gitarre bzw. tiefen Streichtönen vom Baß bestehen kann, bevor die Klarinette mit einer geschwungenen Melodie die Führung übernimmt, um alsbald in eine wohldosierte Improvisation überzugehen, die entweder von der Gitarre oder der Klarinette gestaltet wird, während der Baß üblicherweise die harmonischen Eckpunkte markiert.
Die Improvisationen ufern nie aus, sondern sind genau abgesteckt und präzise in die jeweilige Komposition eingepasst. Dabei geht es nicht um Virtuosität oder technische Bravourleistungen, sondern vielmehr darum, die Stimmung der jeweiligen Komposition zu treffen und noch deutlicher herauszuarbeiten.
In diesem organischen Wechselspiel von ausnotierten Sequenzen und fantasiegeleitetem Stegreifspiel entsteht eine kontrapunktische Verschlungenheit, die mit großer Disziplin durchgehalten wird, wobei jeder der drei Musiker genau die ihm zugeteilte Rolle spielt, sich manchmal in den Vordergrund schiebt, um sogleich wieder ins zweite Glied zurückzutreten. In ihren besten Momenten erreicht die Musik von Leipold, Bucher und Bianco eine Art Schwebezustand, der schon beinahe transzendent wirkt.
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