Wednesday, 8 May 2024

Kühn mit 80

Eine Nummer für sich – Joachim Kühn zum 80sten

Joachim Kühn, 1970 


Joachim Kühn, der deutsche Jazzpianist mit internationalem Renommee (er hat immerhin mit Ornette Coleman ein Album eingespielt), ist diesen März 80 Jahre alt geworden. Um seinen Geburtstag öffentlich zu feiern, gibt er gerade ein paar Konzerte, bei denen er mit seinem Trio (Eric Schäfer, Drums & Chris Jennings, Baß) zu hören ist, und sich zudem den jüngeren Pianokollegen Michael Wollny ins Boot geholt hat. Im Stuttgarter Theaterhaus eröffneten die beiden an zwei Flügeln den Abend.

Mit zehn Fingern kann ein Virtuose am Klavier alleine wie ein vielstimmiges Ensemble klingen, zwei Pianisten beinahe wie ein ganzes Orchester. Diese Möglichkeiten nutzten Kühn und Wollny, indem sie streckenweise Cecil-Taylor-artig voll in die Tasten griffen und einen brausenden Strom aus Tönen erzeugten, der an- und abschwoll, sich ausdünnte und wieder verdichtete, um sich im Crescendo in dynamischen Eruptionen zu entladen. Wie bei einem ausdauernden Regenguß ließen die beiden die Töne und Noten nur so purzeln und prasselten und arbeiteten sich mit längeren Improvisationen von einer kurzen, kantigen Unisono-Passage zur nächsten vor. Mehr Raum, mehr Pausen hätten der Musik gut getan. In diesem Fall kann man die generelle Kritik von Brian Eno am Jazz nachvollziehen: Zu viele Töne!

In der zweiten Halbzeit des Abends spielte sich dann Altmeister Kühn durch Stücke seiner drei letzten Alben mit seinem aktuellen Trio, was deutlich jazzigere Züge trug als die neo-klassische Pianomusik der ersten Halbzeit. Eric Schäfer am Schlagzeug und Chris Jennings am Baß gaben die kongenialen Partner, die einfühlsam die Improvisationen ihres Chefs zu begleiten wußten, aber auch selbstbewußt eigene Akzente setzen. Hier verlief die Reise gelegentlich in eher impressionistisches, besinnliches Terrain – es wurde eine Balladenmelodie angestimmt und in feinen Linien weitergesponnen. Erwähnenswert, weil auffällig: die superbe Lichtregie des Abends, die so dezent wie abwechslungsreich der Musik eine zusätzliche Dimension gab.

Das Joachim Kühn Trio, Theaterhaus 2024 (Foto: Jane Revitt)


Für meinen Teil hätte ich gerne auf das obligatorische Schlagzeug- bzw. Baß-Solo verzichtet, das ja normalerweise nichts mit der jeweiligen Komposition zu tun hat, sondern allein die technischen Fertigkeiten des jeweiligen Musikers zur Schau stellt und ausschließlich der demokratischen Attitüde geschuldet ist, dass auch die beiden Begleiter – die Wasserträger des Solisten – es verdienen, einmal im Vordergrund zu stehen. Geschenkt!  Die Qualität eines Begleiters offenbart sich in der Begleitung.

Im letzten Stück des Abends verstärkte dann Michael Wollny einmal mehr die pianistische Wucht, wobei Geburtstagskind Kühn die Zugabe als Solist bestritt. Ob er seinen 85sten Geburtstag wieder hier feiern würde? "Wir werden sehen", war die sybillinische Antwort des vitalen Oldies, der in seiner Person 60 Jahre deutsche Jazzgeschichte verkörpert. Mir war er das erste Mal 1973 beim Flute Summit der Donaueschinger Musiktage begegnet, wo er mit John Lee (Kontrabaß) und Aldo Romano (Drums) eine derart superbe Rhythmusgruppe bildete, dass sie mir bis heute in Erinnerung geblieben ist. Schon damals war Kühn eine Nummer für sich – wagemutig, hochvirtuos und doch einfühlsam: kühn eben im wahrsten Sinne des Wortes!


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