Friday, 31 January 2025

Scheibengericht Nr. 37: Manuel Troller – Halcyon Future

Fein ziselierte Minimalmusik

Das aktuelle Album des Schweizer Gitarristen Manuel Troller


Manchmal spült einem der Zufall eine Musik zu, die außergewöhnlich ist und fasziniert, weil sie sich nicht in den üblichen Bahnen bewegt. Auf Anregung von Julian Sartorius hörte ich mir jüngst auf Bandcamp das Debutalbum der Schweizer Gruppe Baumschule von 2022 an, bei der Sartorius drummt und Manuel Troller Gitarre spielt. Eine abgeklärte Ambient-Musik, vielleicht inspiriert vom australischen Trio The Necks. Ruhige Klangmeditationsmusik!

Weil mich das Konzept von Baumschule interessierte, wollte ich mehr über Manuel Troller erfahren, den ich vom Trio Schnellertollermeier kannte, und stieß auf sein aktuelles Album „Halcyon Future“, das 2024 auf Bandcamp  erschien.


 

Es ist ein klanglich vielseitiges Album, jedes Stück schillert in einer anderen Farbe. Minimalistisch, feingliedrig geht es mit „Halcyon Future 1“ sachte los. Zurückgenommen, versunken, ja fast barock-kammermusikalisch gestaltet sich die nächste Komposition „DNA“, die Troller alleine auf seiner Gitarre zupft und die an Renaisance-Musik – gespielt auf der Vihuela – erinnert. 

 

Die beiden anschließenden Titel „Halcyon Future 2-1“ und „Halcyon Future 2-2“ nehmen den Faden des Auftaktstücks wieder auf: aus kleinteiligen Gitarrenmotiven, die wiederholt und variiert werden, sich ineinander verschränken und überlagern, formt Troller einen musikalischen Bogen, der mit der Zeit immer vielschichtiger wird, dabei nie überladen wirkt, auch wenn es im letzten Stück ziemlich zur Sache geht. Fein dosiert kommen Saxofon, Schlagzeug und Posaune dazu. Trollers „Halcyon“-Suite erinnerte mich stark an die frühe Minimalmusik eines Terry Riley, etwa das Album „A rainbow in curved air“, und klingt doch  immer zeitgemäß. Eine Entdeckung – echt!


Manuel Troller – Halcyon Future (three:four records / meakusma)


Zum Reinhören:


https://manueltroller.bandcamp.com/album/halcyon-future

Wednesday, 29 January 2025

Orientalische Jazzkapelle 1924

VOR HUNDERT JAHREN – ORIENTALISCHE JAZZKAPELLE IN KARLSRUHE

Der Karlsruher Sportverein bittet zu einer Veranstaltung in die Gaststätte LÄTITIA am 29. November 1924 im Stephaniebad. Für die Unterhaltung sorgt eine orientalische Jazz-Kapelle (4 Mann). Die 1920er Jahre waren die Zeit, als der amerikanische Jazz nach Europa kam, auch nach Deutschland. Zuerst war Jazz ein modischer Tanz. Erst danach wurde es ein Begriff für die afroamerikanische Hot Music. Aber wie eine ORIENTALISCHE JAZZKAPELLE wohl vor hundert Jahren geklungen haben mag ?
 

Badische Presse, 28.11.1924 Abendausgabe

Saturday, 25 January 2025

SCHEIBENGERICHT Nr. 36: Bleed von The Necks

Spärliche Töne, lange Pausen 

Das neue Album "Bleed" von The Necks


 

The Necks gibt es seit 1987 in unveränderter Besetzung. Jetzt legt das australische Piano-Trio sein zwanzigstes Album vor. Wie bei den meisten Veröffentlichungen der Gruppe enthält die Platte nur ein einziges Stück. Es erkundet in 42 Minuten das Konzept der Stille (=stillness), womit nicht Geräuschlosigkeit (=silence) gemeint ist, sondern eine Atmosphäre konzentrierter Ruhe. Wie immer folgt die Musik einem klaren Prinzip: Es beginnt mit einem einzigen Ton, aus dem sich alles entwickelt. Diesmal ist es Pianist Chris Abrahams, der den ersten Stein ins Wasser wirft. Er schlägt ein paar spärliche Töne an, läßt lange Pausen dazwischen, was der Musik augenblicklich viel Raum eröffnet.

 

Abrahams nutzt die ganze tonale Spannweite seines Instruments, greift von den hohen Tasten in die dunkelste Tiefe hinab. Erst nach geraumer Zeit mischt sich Schlagwerker Tony Buck ein und läßt den Reibeklang eines Metallbeckens anschwellen. Aus dumpfem Trommelgrollen und Wirbeln auf der Snare beginnt Buck dichte Texturen zu weben, über die Abrahams Pianoklänge legt, die lange nachklingen und wohl in der Nachbearbeitung elektronisch verfremdet wurden. Mit sonoren Tupfern klinkt sich nun auch Kontrabassist Lloyd Swanton ins Geschehen ein. Ein faszinierendes Spiel aus Repetition und Nachhall hebt an, das zum Finale in ein schlichtes Zwei-Akkorde-Motiv mündet. The Necks ist abermals ein großer Wurf gelungen. Das Album ist eine Meisterarbeit.


The Necks: Bleed (Northern Spy / H’Art)


Zum Reinhören:


https://thenecksau.bandcamp.com/album/bleed

Wednesday, 22 January 2025

SCHEIBENGERICHT Nr. 35: Bill Frisell / Kit Downes / Andrew Cyrille

27 Register und 1670 Pfeifen

Jazztrio mit Kirchenorgel



Kit Downes ist einer der profiliertesten Tastenmusiker der britischen Jazzszene. Ob Flügel, E-Piano oder Synthesizer – der Engländer, der mittlerweile neben London auch in Berlin lebt, ist auf jedem Tasteninstrument ein äußerst kreativer Virtuose. Vor Jahren hat sich Downes abermals der barocken Pfeifenorgel zugewandt, die ursprünglich sein erstes Musikinstrument war. Er unternahm eine kleine Tour durch englische Kirchen, um deren Orgeln zu erkunden. Auch in der Kirche St. Luke In The Fields in Greenwich Village in Manhattan steht ein solches Monster mit 27 Registern und 1.670 Pfeifen.

 

Zu einer zweitägigen Aufnahmesession kamen hier im Mai 2022 Downes, der Gitarrist Bill Frisell und der Schlagzeuger Andrew Cyrille zusammen, um frei zu improvisieren, aber auch ein paar ausnotierte Kompositionen einzuspielen. Ein knappes Dutzend Titel schafften es auf das Album. Die Musik wirkt am interessantesten, wenn die drei sich in klangmalerisches Terrain begeben, d.h. den Vorgaben der Orgel folgen, die in anderen Zusammenhängen schwerfällig und bombastisch klingen kann. In solch freien Explorationen lotet Downes das Klangpotential des Pfeifeninstruments aus, läßt es atmen und entlockt ihm perlige Läufe sowie mächtige Akkorde, während Frisell in die Trickkiste seiner Klangmanipulatoren greift und Cyrille auf dem Schlagzeug sparsam Akzente setzt.  

 

Bill Frisell / Kit Downes / Andrew Cyrille: Breaking The Shell (Red Hook Records)


Zum Reinhören auf bandcamp:


https://redhookrecords.bandcamp.com/album/breaking-the-shell


 

Saturday, 18 January 2025

SCHEIBENGERICHT Nr 35: Samuel Rohrer, Schlagzeuger & Elektroniker

Handgemachte und synthetische Beats

Der Schweizer Drummer als Elektroniker


Der Schweizer Schlagzeuger Samuel Rohrer hat sich in den letzten Jahren immer mehr zum Elektroniker entwickelt. Wohl sind die Drums weiterhin sein Hauptinstrument, doch kombiniert er inzwischen handgemachte Rhythmen mit wehenden oder knisternden elektronischen Sounds, was faszinierende Soundscapes von unterschiedlicher Beschaffenheit ergibt. Manchmal sind es harte Beats, die das Geschehen bestimmen, dann wieder fragile synthetische Klänge. Und gelegentlich übernimmt die Elektronik sogar vollständig das Kommando. 

 

Rohrer gelingt es, jeden der acht Tracks in eine eigene Klanglichkeit zu tauchen und ihm eine individuelle Form zu geben: Einmal knarzt ein Ostinato-Motiv metallisch, über das Rohrer schwere Klangplatten schichtet und einen rohen Klaus-Dinger-Rhythmus unterlegt. Ein andermal ziehen minimalistische Tonlinien loop-artig ihre Kreise, die sich mehr und mehr zu einem polyphonen Sound-Knäuel ballen. 


 

In der Komposition The Gift stößt der skandinavische Trompeter Nils Petter Molvaer hinzu, der zuerst verwehte Trompetentöne über ein blubberndes Elektronikgebräu bläst, um dann im Naturton versonnene Linien voller Melancholie zu zeichnen. Als Drummer ist Samuel Roher heute näher an Jaki Liebezeit als an Tony Williams, und als Elektroniker läßt Aphex Twin grüßen, was keine schlechte Kombination ist. 


Samuel Rohrer: Music For Lovers (Arjuna Music)


Zum Reinhören auf bandcamp:


https://arjunamusic-records.bandcamp.com/album/music-for-lovers

Tuesday, 14 January 2025

SCHEIBENGERICHT Nr. 34: Anna Webber Trio

Math-Rock als Modern-Jazz gespielt 

Anna Webber im Simple Trio

 

Stillstand kennt Anna Webber nicht. Die New Yorker Jazzmusikerin steuert mit jedem neuen Album neue Ziele an. Sie mag Herausforderungen, stellt sich knifflige Aufgaben, die sie dann kompositorisch löst. Ihr Metier sind hochkomplexe Tonkonstrukte, die aber paradoxerweise gar nicht diffizil wirken. Kopfmusik, die nicht verkopft klingt – ein Kunststück sondersgleichen. 

 

Der Name des simpletrio2000 mit Matt Mitchell (Piano) und John Hollenbeck (Schlagzeug) kann nur als Witz verstanden werden: Denn die Musik ist alles andere als simpel. Webbers Musik klingt wie Math-Rock als Jazz gespielt, wobei die Strenge und Disziplin der Durchführung beeindruckt. 




 

Auf diesem zweiten Album widmet sich Webber der Erkundung ungerade Metren, die sie in jedem Stück mit einem anderen Klangphänomen koppelt. Tenorsaxofon sowie Querflöte wechseln sich mit dem Piano in der Führungsstimme ab, während das Schlagzeug für ein solides rhythmisches Fundament sorgt, das den jeweiligen Stücken eine Basis gibt und sie zusammenhält.


Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Jedes Stück ist bis ins kleinste Detail durchkomponiert. Nur an vereinzelten Stellen ergeben sich improvisatorische Freiräume. In einem Stück hat das Schlagzeug einen Soloauftritt, ein anderes ist als Saxofonsolo konzipiert. Wer meint, im Jazz passiere nichts Neues, hat offensichtlich Anna Webber noch nicht gehört. 


Anna Webber: simpletrio2000 (Intakt Records)



Zum Reinhören auf bandcamp:


https://annawebber.bandcamp.com/album/simpletrio2000