Tuesday, 16 September 2025

THE GREAT SITAR EXPLOSION

Raga-Rock

Wie die Sitar die Rockmusik revolutionierte


Die Beatles 1966 in Indien


1967 – Summer of Love! Eric Burdon & The Animals wirbeln mit einem neuen Album mächtig Staub auf. Sein Titel: “Winds of Change”. Das Eröffnungsstück mit dem gleichen Namen kommt einer Aufzählung all der Pop-Rebellen und jungen Wilden gleich, die damals mit ihrer Musik für Aufruhr sorgten: Die Beatles, die Rolling Stones, Frank Zappa, The Mamas and Papas, Jimi Hendrix und - man höre und staune -: Ravi Shankar, der indische Sitarvirtuose!  


Shankars Einfluss hatte wohl auch die Animals dazu animiert, den Song in Sitarklänge zu tauchen, die damals als der letzte Schrei galten. In der 2. Hälfte der 60er Jahre war das indische Saiteninstrument mehr und mehr in Mode gekommen und hatte die Popmusik in exotische Klänge getaucht.


Die Sitar war Teil des ”Winds der Veränderung”, der damals die Popmusik erfasste. Neue Klänge verwandelten Beat zu Rock. Gitarristen erzeugten mit Verzerrern, Phasern und Wah-Wah-Pedal die abenteuerlichsten Sounds. Tonstudios wurden zu experimentellen Klanglabors umfunktioniert und Erfindungen wie der Synthesizer lieferten neuartige Töne. Der buntschillernde Klang der Sitar fügte sich da nahtlos ein.


Für die Woodstock-Generation wurde die Sitar zum Symbol östlicher Spiritualität und Mystik. Das Instrument stand für eine Sehnsucht nach dem Orient. Indien wurde zum Traumland der Gegenkultur verklärt  - zum exotischen Paradies, frei von den Malaisen der westlichen Moderne. Mit Hermann Hesse, Zen-Buddhismus und transzendentaler Meditation hoffte man Erleuchtung zu finden und zu den Quellen der Weisheit vorzustoßen. Räucherstäbchen, indische Tücher, Kettchen und Sandalen avancierten zu Kennzeichen von Aussteigern und Zivilisationsmüden auf der Suche nach anderen Daseins- und Bewußtseinsformen. 


Die Beatles machten es vor. 1967 besuchten die vier Pilzköpfe in Bangor in Wales einen Kurs für transzendentale Meditation beim indischen Guru Maharishi Yogi, um ihn später in Indien erneut zu besuchen. Die Presse berichtete ausführlich.


Vor der spirituellen Suche waren die Beatles musikalisch fündig geworden. Bereits 1965 tauchte auf dem Titel “Norwegian Wood” vom Album “Rubber Soul” eine indische Sitar auf - das erste Mal in der Geschichte der Popmusik. Sie wurde vom Leadgitarristen George Harrison gespielt und verlieh dem Song einen ganz speziellen Charakter. Das klang frisch und neu! 


Der Sound sorgte für Furore. Immer mehr Popgruppen setzten das exotische Zupfinstrument ein, und mehr und mehr Stücke landeten in den Charts, auf denen die schwirrenden Töne der Sitar zu hören waren. Bald machte in der Presse das Wort von der “Great Sitar Explosion” die Runde.


Dass die Sitar so große Beachtung fand, war das Verdienst hauptsächlich eines einzigen Musikers: Ravi Shankar! Sein Name wurde zum Synonym nicht nur für die Sitar, sondern für exotische Musik überhaupt. 

Shankar war 1956 zum ersten Mal für Konzerte in den Westen gekommen. In England, Deutschland und den Vereinigten Staaten stellte er ein Programm aus Ragas vor und nahm in London sein erstes Album auf. Weitere Einspielungen folgten. Shankars Popularitätskurve zeigte steil nach oben. 1967 trat er beim ersten großen Popfestival der Geschichte im amerikanischen Monterey auf. Stars wie Jimi Hendrix, Janis Joplin und The Who lagen ihm zu Füßen. Der indische Sitarvirtuose stieg zu einem Idol der Blumenkinder auf. 1969 beim Woodstock-Festival feierte ihn eine halben Million Zuhörer nach einem spektakulären Auftritt.


Jazzgitarrist Gabor Szabo wirbt für ein Sitar-Imitat




Durch die Unterstützung junger Popstars wurde Ravi Shankar selbst zum Star. Bei einer Aufnahme-Session 1964 in Los Angeles hatte er den Folkrockmusiker David Crosby kennengelernt. Crosby steckte mit seiner Sitar-Begeisterung nicht nur seine Kollegen von der Gruppe The Byrds an, sondern auch die Beatles. 


Obwohl die Byrds selbst nie das Instrument einsetzten, spielten sie im Herbst 1965 ein paar Titel ein, auf denen sie mit der elektrischen Gitarre den Sound des indischen Saiteninstruments nachahmten. Nach dem Gesang greift im Titel “Why” Roger McGuinn, der Gitarrist der Byrds, energisch in die Saiten, wobei er die Töne in Sitar-Manier zieht und biegt.


Ravi Shankars Konzerte im Westen fanden ein beachtliches Echo. Der Starviolinist der klassischen Musik Yehudi Mènuhin wurde sein größter Fan. Auch Popmusiker horchten auf - die ersten waren die Yardbirds. Sie hatten noch vor den Beatles und “Norwegian Wood” mit der Sitar experimentiert. Zur ersten Aufnahmesession mit der Band hatte ihr damals neuer Gitarrist Jeff Beck das Instrument mit ins Studio gebracht. Beck besaß ein Ohr für außergewöhnliche Sounds und gab dem Titel “Heart Full of Soul” einen psychedelischen Touch. Doch die Schallplattenfirma stellte sich quer. Der Sitar-Sound wurde als zu skurril empfunden. Erst mit den Beatles stieg die Akzeptanz. Die Yardbirds musste deshalb eine zweite Version aufnehmen, diesmal mit E-Gitarre statt Sitar.


In den Regenbogenklängen der Sitar manifestierte sich der Zeitgeist der Hippie-Ära, der sonst in bunten Batik-T-Shirts, bewußtseinserweiternden Drogen und pulsierenden Lightshows zur Geltung kam.  Für die meisten Popbands war die Sitar nur ein modischer Gag. Nicht für George Harrison von den Beatles, der bei Ravi Shankar ernsthaft Unterricht nahm. 


Immer wieder griff Harrison auf das Instrument zurück, etwa auf “Love to you” vom Album “Revolver” von 1966. Tiefer drang er im Stück “Within you, without you” in die indische Musik ein, das auf “Sgt. Pepper” von 1967 enthalten ist.


Die Beatles und die Yardbirds fungierten als Türöffner. Die Rolling Stones, die Animals, Traffic, The Move und Donovan folgten nach. Für einen kurzen Zeitraum avancierte die Sitar zum absoluten Modeinstrument des Pop. Das Wort vom “Raga Rock” machte die Runde, ein Begriff, der von der typischen Musikform Indiens namens Raga   entlehnt war, mit der die Sitar am engsten verbunden ist.


Dave Mason von Traffic mit Sitar




Selbst Folkmusiker öffneten sich dem Neuen. Die Incredible String Band und ihr Produzent Joe Boyd ließen sich von exotischen Klängen verzaubern. Neben Robin Williamson war Mike Heron die andere Hälfte des Duos aus Schottland, das innerhalb weniger Jahre von einer traditioneller Folkcombo zu einer psychedelischen Acid-Folk-Band mutierte, ein Sprung, zu dem neben Drogen vor allem das exotische Instrumentarium beitrug. “Nachdem wir das erste Album gemacht hatten, ging Robin nach Marokko und hatte eigentlich nicht vor, zurückkommen. Als er zurückkehrte, brachte er eine Menge Musikinstrumente mit und hatte all diese Songs geschrieben - sehr inspiriert,” erinnert sich Mike Heron. “Wir taten uns wieder zusammen, fuhren nach London und nahmen unser zweites Album auf: Five-thousand Spirits, das viel psychedelischer klang. Wir zogen einen Sitarspieler hinzu, weil ich damals noch nicht Sitar spielen konnte. Robin spielte eine Vielzahl von Instrumenten: Flöte, Geige, Perkussion. Ich spielte dagegen nur Keyboard und Gitarre - das war alles. Das brachte mich dazu. die Sitar zu erlernen. Wir hatten das Gefühl, das sie gut zu den Songs passte. Ich nahm Unterricht bei einem indischen Sitarspieler in London, der mir ein Instrument besorgte und mir die Grundlagen beibrachte. Ich konnte ein bißchen spielen und wurde besser. Das Lied “Nightfall” stellt den Höhepunkt meines Sitarspiels dar. Danach gab ich es auf.”   


Mike Heron (The Incredible String Band) mit Sitar




Von Großbritannien sprang der Funke aufs europäische Festland über. In Deutschland griff die Münchner Underground-Formation Amon Düül 2 den Trend auf. Weil es die exotischen Klangerzeuger nirgends zu kaufen gab, griff man kurzerhand zur Selbsthilfe und entwendete zwei tibetanische Schalmeien sowie eine Sitar aus dem Münchner Stadtmuseum, die 1970 auf dem Album “Tanz der Lemminge” zu hören war.


Größere Bedeutung besaß die Sitar für die Gruppe Krokodil. Das Saiteninstrument avancierte zum Wahrzeichen der Band und zierte sogar ihr Logo. Krokodil stammten eigentlich aus Zürich, wurden aber zur deutschen Szene gerechnet, weil sie pausenlos zwischen Konstanz und Flensburg unterwegs waren, sowie beim Münchner Liberty-Label unter Vertrag standen. “Wir haben ziemlich schnell Stücke gemacht, die psychedelisch angefangen haben, also z.B. mit Sitar und Congas, und mehr solchem indisches Zeug, und dann haben wir das sich entwickeln lassen und nach einer halben Stunde sind wir erst auf den Punkt gekommen. Wir haben auf der Bühne improvisiert und Stimmungen erzeugt. Das ist das Markenzeichen von Krokodil gewesen,” erzählt Düde Dürst, Schlagzeuger der Band. “Das hat eigentlich sonst niemand in dieser Art gemacht - akustisch. Unser Gitarrist Walty Anselmo hat sich schon ganz ganz früh, also in den sechziger Jahren, für Sitar interessiert und besaß sogar mehrere Sitars. Wir haben das schön gefunden und total gut und passend zu unseren Ideen. Und deshalb haben wir gefunden, er müsste die Sitar einsetzen. Das ist einfach eine stimmige Geschichte gewesen und anders. Das hat es einfach so nicht mehr gegeben.”


Die Schweizer Rockband Krokodil mit Sitar




Als die Sitarwelle abebbte, verschwand das Instrument nicht völlig von der Bildfläche. Bis heute greifen Rockmusiker immer wieder darauf zurück  - ob Coldplay, die Red Hot Chilly Peppers, Lenny Kravitz oder Fatboy Slim. Auch bei Beck Hansen wird man fündig. Schon auf seinem Megahit “Loser” von 1994  trug eine Sitar zur Gesangsbegleitung bei, von Beck selbst gespielt und im Overdub-Verfahren im Studio dazugemischt. Ein paar Jahre später tauchte auf dem Album “Mutations” erneut eine Sitar auf. Diesmal hatte Beck den routinierten Sessionmusiker Warren Klein ins Studio geholt, der schon in den 60er Jahren in der Gruppe Fraternity of Man das indische Instrument gespielt hatte. 


Für Popmusiker aus Großbritannien mit indischem Migrations-Hintergrund ist die Sitar zum Wahrzeichen ihrer Identität geworden. Das Instrument gibt ihnen das Gefühl, mit ihrer ehemaligen Heimat weiterhin verbunden zu sein. Musiker und Bands aus diesem Milieu sorgen dafür, dass es auf der Popszene präsent bleibt. Die Gruppe Cornershop aus Leicester in Mittelengland wurde 1997 durch ihren Megahit “Brimful of Asha” zu einem Begriff. In ihrem ganz speziellen anglo-indischen Ethno-Pop taucht neben den Tablas und dem Harmonium auch die Sitar auf.


Am weitesten wagt sich Anoushka Shankar vor. Die Tochter des Sitarpioniers Ravi Shankar bastelt an der großen Weltmusik-Synthese. In ihrer Musik wird alles durcheinander gewürfelt: verfremdete Sitarklänge, neuste Studio-Elektronik, Elektro-Beats, Synthi-Sounds und Tablas. Dabei entsteht ein Ethno-Mix des 21. Jahrhunderts, der tauglich für Dancefloor und Weltmusik-Disco ist. Erfolgreich surft die Sitar auf jeder neuen Welle des Pop.


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