Wednesday, 14 November 2012

LABELPORTRAIT: 50 Jahre WERGO


Anti-Ageing für die Avantgarde

Das Label Wergo hält seit einem halben Jahrhundert die zeitgenössische Musik frisch

CW.In der Öffentlichkeit gelten die Namen Stockhausen und Cage als Chiffre für avantgardistische Klänge. Für Kenner kommt ein weiteres Wort dazu: Wergo! So heisst das Label, das sich seit den 60er Jahren unermüdlich für zeitgenössische Konzertmusik stark gemacht hat. “Seit 50 Jahren neu!” lautet dann auch nicht ohne Selbstirone das Motto, mit dem das Unternehmen nun ein halbes Jahrhundert seines Bestehens feiert. Zum Geburtstag ist eine dicke CD-Box erschienen, die neben der “Sonata für zwei Pianos” von Igor Strawinsky, eingespielt im Gründungsjahr 1962, auch Schlüsselwerke von Stockhausen und Cage sowie Luigi Nono und Dieter Schnebel enthält -  Wegmarken der Musik des 20. Jahrhunderts.  
                                                                                                                              Arnold Schoenberg
1962 wurde das Label vom Baden-Badener Geschäftsmann Werner Goldschmidt gegründet. Der kunstsinnige Mäzen verband die beiden ersten Silben seines Vor- und Nachnamens und hob Wergo aus der Taufe. Nach Goldschmidts Plänen sollte sich das Label ausschließlich der zeitgenössischen Musik widmen, die kaum zwei Jahrzehnte zuvor noch von den Nationalsozialisten als “entartet” verfolgt worden war und in der Bundesrepublik des Wiederaufbaus nicht gerade hoch im Kurs stand. “Pierrot Lumaire” des Zwölfton-Erfinders Arnold Schönberg, der in der NS-Zeit in die USA hatte fliehen müssen, machte den Auftakt. Das atonale Melodrama von 1912 war genau 50 Jahre vor der Labelgründung entstanden.

Weitere bedeutende Werke der Moderne folgten. Auch erhielten junge Talente in der “Studio-Reihe Neuer Musik” eine Chance. “Goldschmidt war in Deutschland jahrelang der einzige, der moderne Musik per Schallplatte systematisch herausgebracht hat,” lobte ihn der “Spiegel” und bescheinigte ihm für seine Pioniertat “eine Menge Mut.”

1970 übernahm der Schott-Musikverlag in Mainz das Label und baute es zu einer der international führenden Marken aus. Die qualitativ hochstehenden Produktionen mit ausführlichen Informationen zu Werk, dem Komponisten und den Interpreten legten die Latte hoch. Selbst in den USA merkte man auf, sodaß einzelne Einspielungen ans amerikanische Nonesuch-Label lizenisert werden konnten.                                                                Mauricio Kagel    
                                                                                                                                                              
Wergo nahm sich nicht nur den Vertretern der klassischen Moderne an oder der Zweiten Wiener Schule, sondern veröffentlichte auch Schallplatten von jungen Radikalen wie Mauricio Kagel und György Ligeti. Zufalls- und Reihenkompositionen, elektronische Klänge oder avantgardistisches Musiktheater – alles fand unter seinem Dach Platz.
                                                                                                                                              
Das Label hatte den Finger oft am Puls der Zeit, wobei es sich als nicht gerade leicht erwies, aus dem Elfenbeinturm    der neuen Musik auszubrechen und ein breiteres Publikum anzusprechen. Mit den Elektronik-Pionieren Gottfried Michael Koenig und Karlheinz Stockhausen im Katalog, die heute bei jungen Labtop-Musikern wieder hoch im Kurs stehen, hätte sich ein Remix-Projekt eigentlich angeboten.

Mit der Musikbranche im Umbruch passte sich Wergo  den neuen digitalen Realitäten an. Nach Vinyl-Platte und CD sind inzwischen die meisten Aufnahmen auch als Download erhältlich. Selbst Re-Issue aus dem über 600 Titel umfassenden Backkatalog kann man vermehrt auf den iPod laden. Dabei bemüht sich Wergo, dem Niedergang der Klangkultur durch das MP3-Format entgegen zu wirken und die Aufnahmen in höherer Tonqualität anzubieten. “Ständig besser zu werden, ist noch immer der Garant für das Überleben in einem schwieriger werdenden Umfeld,” umreißt Geschäftsführer Rolf Stoll das Erfolgsrezept.
                                                                                                                      Mike Svoboda
Doch das Altern der Avantgarde bleibt ein Problem. Auch ist die zeitgenössische Musik vor einer gewissen akademischen Verknöcherung nicht gefeit. Stinknormale neue Musik gibt es zuhauf. Im Geburtstagsjahr erschienen neben Produktionen junger Komponisten wie Benjamin Schweitzer, auch eine Veröffentlichung von Mike Svoboda, die in eine andere Richtung weist. Der amerikanische Posaunen-Spezialist, der heute in Basel an der Musikhochschule lehrt, präsentiert darauf die gewagtesten Avantgarde-Kompositionen so sinnlich, unverkrampft und frisch, dass die Selbstironie im Jubiläumsslogan zum Understatement wird. “Seit 50 Jahren neu!” - hört man Svoboda, glaubt man das Wergo aufs Wort. 

Dieser Artikel erschien zuerst in Die Wochenzeitung (WoZ), Zürich.

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