Süffiger Folkjazz
Erik Friedlander’s Bonebridge schwelgt in Singen in träumerischen Klängen
Foto: Claudia Casanova
CW.John Cage hatte es vorgemacht. Zum 200. Jubiläum der amerikanischen
Verfassung entwarf der Avantgarde-Komponist 1976 ein Werk, das alte Kirchenhymnen,
Spirituals und Folksongs per Zufallsverfahren neu zusammensetzte, um den Geist
der frühen amerikanischen Volksmusik auf moderne Weise einzufangen.
35 Jahre später versucht sich der New Yorker Cellist Erik Friedlander an
einem ähnlichen Projekt. “Bonebridge”
heißt das Unterfangen, das vom Jazz ausgehend eine Musik erträumt, die in
organischer Manier die Vielfalt der amerikanischen Folkstile zu einem Sound
verschmelzt, in dem alles enthalten ist: Country, Blues, Gospel und Folk, ja
selbst New Yorker Latin-Traditionen wie Rumba und Mambo klingen an und
verbinden sich zu einer wunderbaren Melanche.
Die Musik ist eine Zeitreise ins Jahr 1971, als die Friedlander-Familie das "Galax Fiddlers' Festival" in der Stadt Galax in Virginia besuchte. Man campte mit Hunderten anderer Bluegrass-Fans, und der junge Erik, damals elf Jahre alt, zog durch das Zeltlager, wo überall spontane Bluegrass-Sessions stattfanden. Er sperrte mächtig die Ohren auf. "Zupfst Du?" war normalerweise die Frage, die eine Spontansession auf den Weg brachte.
Foto: Nathan Rosborough
Schon die Besetzung des Bonebridge-Quartetts ist für eine Jazzcombo
außergewöhnlich. Friedlander ist ein Meister des Cellos, das im Jazz relativ
selten zum Einsatz kommt. Der New Yorker gehört zu nur einer Handvoll von
Cellisten, die das Instrument in der improvisierten Musik mit Autorität zu
spielen vermögen. Sein Gegenüber ist der E-Gitarrist Doug Wamble, der am
liebsten Slide-Gitarre mit einem Metallröhrchen um den Zeigefinger spielt.
Damit erzeugt er die gleitenden Töne, die Blues und Countrymusik prägen.
Kontrabassist Trevor Dunn passt ausgezeichnet in dieses Kabinett der
Exzentriker, da er eigentlich aus der Rockmusik kommt und es jahrelang in der Rockband
Mr. Bungle mit Mike Patton von Faith No More ordentlich krachen ließ. Am
Schlagzeug sitzt Michael Sarin, dessen Erfahrungsschatz vom Jazz bis zur
experimentellen Improvisation reicht.
Der Auftritt der Gruppe im Singener Kulturzentrum Gems bildete das Debut
einer mehrwöchigen Europa-Tournee. Das Auftaktkonzert machte deutlich, dass die
Band noch Zeit braucht, richtig zusammenzuwachsen, vor allem auch weil sie
etliche Stücke einbezog, die erst kürzlich entstanden sind und auf Hurrikan
“Sandy” zurückgehen.
Der Orkan kappte für vier Tage den Strom von Erik Friedlanders
Appartment, so dass er Zeit hatte abends bei Kerzenschein neue Stücke zu
ersinnen. Häufig zupft er ein Cellosolo zur Einleitung, wobei er sich als
souveräner, fingerflinker und hochmusikalischer Turbovirtuose erweist. Die
Kompositionen münden meistens in einen entspannten Beat, über den Slide-Gitarre
und Cello träumerische Melodien legen, um sich danach in den Soli die
improvisatorischen Bälle zuzuwerfen. Eine Rumba wird so schräg angegangen, dass
man meint, gleich würde Tom Waits die Bühne betreten, um eine seiner verbeulten
Blues-Arien zu heulen.
Insgesamt erinnerte die Musik an Klänge, wie sie in den letzten Jahren
auch vom Jazzgitarrenstar Bill Frisell zu hören waren, der ebenfalls Exkursionen
in musikalische Traditionen wie Bluegrass und Gospel unternahm und sie
zeitgemäß aufzuarbeiten versuchte. Genau das glückt Erik Friedlander mit
Bavour. Die vier verwandeln Jazz in eine imaginäre Folkmusik des 21.
Jahrhunderts. Prädikat: äußerst süffig!
Erik Friedlander Bonebridge: Beaufair Street (SkipStone Records)
Tourdaten 2012: 30.Nov Mainz / 1. Dez Köln, Stadtgarten
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